Der digitale Gesundheitsmarkt boomt. Zu filtern, welche Angebote seriös sind und den Patient:innen tatsächlich eine sinnvolle Unterstützung bieten können, wird immer schwieriger. Das Verzeichnis für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), das seit Oktober vom BfArM veröffentlicht wird, listet auf Basis eines Zertifizierungsverfahrens jene DiGA, die nun auch von Ärzt:innen verordnet werden können. Doch die DiGA sind noch längst nicht im Praxisalltag angekommen. Lesen Sie hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen, um die neue Verordnungsoption besser einordnen zu können.

"Das DiGA-Verzeichnis ist eine Weltneuheit: Deutschland ist das erste Land, in dem es Apps auf Rezept gibt", so die Worte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum Startschuss des DiGA-Verzeichnisses. Die "App auf Rezept" wurde mit dem Inkrafttreten des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) im Dezember 2019 eingeführt, verordnungsfähig sind die DiGA seit dem 15. Oktober 2020. Damit haben ca. 73 Millionen Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf eine Versorgung mit DiGA, die von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen verordnet werden können und durch die Krankenkasse erstattet werden [1].

Wer nun denkt, man könne in dem DiGA-Verzeichnis aus einer Fülle von digitalen Anwendungen das Passende für seine Patient:innen auswählen, wird zumindest aktuell noch enttäuscht. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses sind genau fünf DiGA gelistet (s. Tabelle) [2]. Weitere werden aber sukzessive folgen*. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), welches das DiGA-Verzeichnis erstellt, wurden bislang insgesamt 40 Anträge von Herstellern eingereicht [1]. Zu den DiGA gehören übrigens nicht nur Apps, sondern auch browserbasierte Web-Anwendungen.

1. Welcher Anspruch wird an eine DiGA gestellt?

DiGA sollen dabei helfen, Krankheiten zu erkennen, zu überwachen, zu behandeln oder zu lindern [3]. Sie sollen außerdem auf dem Weg zu einer selbstbestimmten gesundheitsförderlichen Lebensführung unterstützen [1]. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass sie unabhängig von Behandlungsort und Praxisöffnungszeiten angewendet werden können. Nicht als DiGA qualifiziert werden Anwendungen, die lediglich von der Ärzt:in zur Behandlung der Patient:innen eingesetzt werden, ohne dass sie mit der Patient:in interagieren. Ebenso auszuschließen sind Anwendungen, die lediglich Daten wie z. B. Sensorik-Daten des Smartphones auslesen und übermitteln, sowie Anwendungen, die ausschließlich der Primärprävention dienen.

Um in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen zu werden, muss der Hersteller nach erfolgreicher CE-Zertifizierung zum Medizinprodukt einen Antrag beim BfArM einreichen, welches dann in einem sog. Fast-Track-Verfahren weitere Prüfungen und Nachweise für einen positiven Versorgungseffekt erhebt (für Details s. Kasten zum Prüfverfahren). Durch dieses Prüfverfahren grenzen sich DiGA von allen übrigen knapp 2.800 Gesundheits-Apps auf dem deutschen Markt ab, bei denen Nutzen, Patientensicherheit und Funktionstauglichkeit nicht durch eine Prüfinstanz nachgewiesen wurden. Je nach Prüfausgang kann eine DiGA dauerhaft, vorläufig oder eben gar nicht in das Verzeichnis aufgenommen werden.

Wer`s genau wissen will: Wie sieht das Prüfverfahren für eine DiGA aus?
Bevor eine DiGA in das Verzeichnis aufgenommen werden kann, muss der Hersteller eine CE-Zertifizierung als Medizinprodukt mit niedrigem Risiko erhalten haben. Hiermit ist gesichert, dass ihre Marktzulassungsvoraussetzung hinsichtlich Sicherheit und Leistungsfähigkeit, klinischer Bewertung, Qualitätssicherung und Risikobewertung überprüft und bestätigt wurde. Dies ist die Voraussetzung, um dann im zweiten Schritt vom BfArM im sog. Fast-Track-Verfahren geprüft zu werden. Hierbei handelt es sich um einen Bewertungszeitraum von höchstens drei Monaten nach Eingang des Antrags. Es werden zum einen konkrete für die DiGA definierte Anforderungen eingehender geprüft, wie z. B. Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit, Datenschutz und Informationssicherheit. Ein weiterer wichtiger Schritt im Rahmen dieser Prüfung ist ein Nachweis über die mit der DiGA realisierbaren positiven Versorgungseffekte, dieser Nachweis muss vom Hersteller der Anwendung erbracht werden. In diesem Zusammenhang berichtet der "Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung" [6] als Vertreter der Hersteller, dass die Mehrzahl seiner Mitglieder angeben, ihren positiven Versorgungseffekt anhand von randomisierten Kontrollstudien (RCT) zu erbringen. Liegen zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine ausreichenden Nachweise vor, räumt das BfArM allerdings eine Übergangslösung ein: Liegen vielversprechende Daten für positive Versorgungseffekte vor und sind weitere Anforderungen erfüllt, kann der Hersteller einen entsprechenden Antrag auf vorläufige Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis stellen. Die notwendigen Studien müssen dann innerhalb eines Jahres nachgereicht werden, in Ausnahmefällen kann diese Frist um ein weiteres Jahr verlängert werden. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Beitrags wurden 17 der insgesamt 40 Anträge zur dauerhaften Aufnahme gestellt und 23 Anträge zur vorläufigen Aufnahme.*

2. Wie kann ich eine DiGA verordnen?

Analog zu der Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln nutzen Ärzt:innen für die Verordnung der DiGA das reguläre Rezept, also das Formular 16 [1, 4]. Benötigt wird hierfür die Pharmazentralnummer (PZN). Über die PZN sind sowohl die Diagnose als auch die Verordnungsdauer kodiert. Analog zu Arzneimitteln, die für unterschiedliche Dosierungen oder Packungsgrößen eigene PZNs haben, sind auch bei den DiGA unterschiedliche Verordnungseinheiten möglich. Diese können z. B. durch unterschiedlich lange Verordnungszeiträume entstehen oder durch mehrere Module einer App. Die jeweilige PZN ist über das DiGA-Verzeichnis (unter "Informationen für Fachkreise") abrufbar, wird aber auch sukzessive in die Praxisverwaltungssoftware (PVS) eingepflegt, so dass die Verordnung hierüber wie gewohnt erfolgen kann.

3. Wie wird die DiGA-Verordnung vergütet?

Laut Digitale-Versorgung-Gesetz sollen die ärztlichen Leistungen im Zusammenhang mit den DiGA honoriert werden. Bislang ist dies jedoch noch nicht final geregelt. Die Vergütung soll aber extrabudgetär erfolgen. Mit der Aufnahme einer jeden DiGA hat der Bewertungsausschuss die Leistungsvergütung zu prüfen und ggf. den EBM anzupassen. Aus der Ärzteschaft und vonseiten der KBV wird angemerkt, dass hierbei nicht nur die Verordnung sowie die hierfür erbrachten ärztlichen Leistungen berücksichtigt werden müssen, sondern auch der zeitliche Aufwand, um sich inhaltlich mit den DiGA zu befassen.

Solange die Vergütung nicht final geregelt ist, können Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen laut KBV diese dennoch verordnen, und Patient:innen können sie auf dem Weg der Kostenerstattung in Anspruch nehmen. Bereits im Mai hat die Bundesärztekammer eine Abrechnungsempfehlung zu telemedizinischen Leistungen bekannt gegeben [5], laut welcher im Falle der "Verordnung und ggf. Einweisung in Funktionen bzw. Handhabung sowie Kontrolle der Messungen zu digitalen Gesundheitsanwendungen" analog der Nr. 76 GOÄ abgerechnet werden kann (9,38 € bei 2,3-fachem Satz). Weitere Möglichkeiten könnten sich aus den "Informationen für Fachkreise" bei manchen DiGA im Verzeichnis des BfArM ergeben: Hier finden Sie unter "Ihre Mitwirkung als Leistungserbringer" konkrete Hinweise, welche ärztlichen Leistungen seitens des BfArM als erforderlich für die Versorgung mit der jeweiligen DiGA angesehen werden und damit ebenfalls erstattungsfähig sind. Als Beispiel: Für die DiGA zanadio, die bei Adipositas verordnet werden kann, sind u. a. eine Pauschale für die Indikationsstellung (GOP 03000), das Motivationsscreening (GOP 35100) und das therapeutische Gespräch zur Definition der Therapieziele (GOP 03230) als mögliche vertragsärztliche Tätigkeiten aufgeführt.

4. Welchen Nutzen hat eine DiGA für den Behandlungsablauf?

In einer gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung vom Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung, Hartmannbund und Bündnis Junger Ärzte war man sich einig, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis sich die DiGA im Praxisalltag etabliert haben. Zwei Punkte werden hier entscheidend sein: Zum einen der Wunsch der Patient:innen: Werden die DiGA häufig eingefordert, werden die Ärzt:innen sich diesem Angebot in gewisser Weise öffnen müssen. Der bessere Weg wäre aber natürlich, wenn die Ärzteschaft selbst einen gewissen Nutzen für die Patient:innen, aber auch für die eigene Arbeit erkennt. Hier erhoffen sich die Beteiligten, dass die Ärzt:innen insbesondere aus einem ganz konkreten Tool der DiGA einen Vorteil für sich ziehen können, und zwar aus dem Arztreport bzw. dem Therapiebericht. Diese können i. d. R. unmittelbar aus der DiGA heraus generiert und direkt an die behandelnde Ärzt:in übermittelt werden. Der Report soll übersichtliche Informationen zum Verlauf, z. B. aus Symptom-, Ernährungs- oder Bewegungstagebüchern, und weitere relevante krankheitsspezifische Zusatzinformationen enthalten, die für den Behandlungsverlauf und das Arzt-Patienten-Gespräch hilfreich sein können. Aber auch darüber hinaus erhofft man sich, dass der medizinische Nutzen die Ärzt:innen überzeugen wird: Ziele sind u. a. eine Verbesserung des Gesundheitszustandes, eine Verkürzung der Krankheitsdauer und eine Verbesserung der Lebensqualität. Wichtige Nebeneffekte können eine Verbesserung der Therapie-Adhärenz, der Gesundheitskompetenz und der Alltagsbewältigung der Patient:innen sein.

5. Wie erhalten die Patient:innen eine DiGA?

Aus Patientensicht gibt es grundsätzlich zwei Wege, eine DiGA zu erhalten. Im ersten Fall verordnet die Ärzt:in die passende DiGA per Rezept, die Patient:in reicht das Rezept bei der gesetzlichen Krankenversicherung ein und erhält über diesen Weg einen Freischaltcode, über den die Patient:in die App bzw. die webbasierte Anwendung direkt downloaden (z. B. im jeweiligen App-Store) und aktivieren kann.

Bei der zweiten Option kann die Verordnung über die Ärzt:in quasi "übersprungen" werden: Die Patient:in sucht die spezifische DiGA entsprechend ihrer Diagnose eigenständig aus dem Verzeichnis aus und beantragt diese bei ihrer gesetzlichen Krankenversicherung. Diese prüft den Versicherungsstatus und den Leistungsanspruch entsprechend der vorliegenden Diagnose. Ggf. muss der Versicherte einen entsprechenden Nachweis über die Indikation vorlegen. Besteht ein Anspruch, übermittelt die Krankenversicherung ebenfalls den Freischaltcode für die Aktivierung der DiGA.

6. Wer zahlt die DiGA, wie hoch sind die Kosten?

Die GKV muss den vollen Preis der DiGA erstatten, eine Selbstbeteiligung durch die Patient:innen ist nicht vorgesehen, auch dann nicht, wenn die DiGA nur wenige Tage genutzt wird. Die Kosten werden von allen GKVen übernommen, Selektivverträge gibt es nicht. Die Erstattung durch die privaten Krankenversicherungen ist nach aktuellem Stand noch nicht eindeutig geregelt. Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung empfiehlt Privatversicherten, sich im Zweifelsfall bei ihrer PKV zu erkundigen, ob die Kosten übernommen werden.

7. Wie gestaltet sich die Preisfindung für die DiGA?

Im ersten Jahr unterliegen die Preise der Entscheidung der Hersteller, bis in den Verhandlungen der Spitzenorganisationen der DiGA-Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband die endgültigen Preise festgelegt sind. Diese Regelung stößt bereits jetzt von mehreren Seiten auf Kritik. Denn indem die Kassen verpflichtet sind, die Kosten zu erstatten, sind sie zumindest im ersten Jahr den Preisvorstellungen der Hersteller komplett ausgeliefert. Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, sieht hier ein enormes Ausgabenpotenzial, dafür, dass der Nutzen aus seiner Sicht nicht ausreichend belegt ist. Auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) und die Kassen selbst sehen ein erhebliches Kostenrisiko auf die GKVen zukommen. Von den aktuell fünf verordnungsfähigen DiGA (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses)* ist mit 116,97 € die App Kalmeda (Indikation Tinnitus) am günstigsten und mit 499,80 € die DiGA zanadio (Indikation Adipositas) am teuersten – beide Preise gelten für eine Verordnungsdauer von 90 Tagen (weitere Preise s. Tabelle).

Aus dem Kreise des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung wird berichtet, dass die Hersteller schon jetzt den Preisdruck zu spüren bekommen und deshalb nicht davon ausgehen, dass es zu Wucherpreisen kommen wird. Man müsse sich gut überlegen, was man für sein Produkt verlangen kann, um den neuen Markt zu etablieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass Qualität auch seinen Preis hat. doctors today hält Sie über die weiteren Entwicklungen des DiGA-Verzeichnisses auf dem Laufenden.

Yvonne Emard


* Redaktionelle Aktualisierung: Zu Jahresbeginn (5. Janaur 2021) sind mittlerweile insgesamt zehn Gesundheitsanwendungen im DiGA-Verzeichnis aufgenommen:
https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis

Essentials: Wichtig für die Sprechstunde
Seit Oktober können Ärzt:innen die vom BfArM zertifizierten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) verordnen. Alle Informationen zu den Anwendungen werden im DiGA-Verzeichnis bereitgestellt, welches sukzessive erweitert wird. Alle hier gelisteten DiGA haben ein umfangreiches Prüfverfahren durch das BfArM durchlaufen. DiGA-Verzeichnis: https://diga.bfarm.de Verordnung: Über Muster 16 mit Angabe der PZNAbrechnung: solange nicht im EBM geregelt, analog der Nr. 76 GOÄ (9,38 € bei 2,3-fachem Satz)


Quellen:
1. BfArM: Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA); https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/DVG/_node.html
2. DiGa-Verzeichnis des BfArM: https://diga.bfarm.de
3. Kassenärztliche Bundesvereinigung. Praxisnachrichten: Teure Apps mit unklarem Nutzen - Erste verschreibungsfähige DiGA auf dem Markt; https://www.kbv.de/html/1150_48513.php
4. BfArM: Informationen für Leistungserbringer: https://diga.bfarm.de/de/leistungserbringer
5. Deutsches Ärzteblatt Jg.117: 26, A1358
6. Offizielle Seite des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung; https://digitalversorgt.de/

Erschienen in: doctors|today, 2020; 1 (1) Seite 26-29