Fachleute haben über sie diskutiert und gestritten, haben sie geprüft und schließlich beschlossen. Seit Dezember 2012 gibt es die DIN EN 15 224 – eine Qualitätsnorm speziell für den Gesundheitssektor. Müssen sich Hausärzte damit auf einen neuen QM-Standard einstellen?

Der Normenausschuss Medizin im Deutschen Institut für Normung (DIN) hat sein Werk vollbracht: Die bisher neben einer Reihe anderer Systeme für die Zertifizierung von Gesundheitsdienstleistern benutzte, weltweit in Industrie und Dienstleistung etablierte ISO 9001 wurde zu einer neuen, speziell auf den Gesundheitssektor zugeschnittenen Norm weiterentwickelt, der EN 15 224. Sie erscheint mit dem Anspruch, einen Branchenstandard für das gesamte Gesundheitswesen zu setzen. Dafür sind viele Begriffe redaktionell angepasst worden, was ihre Verständlichkeit und Akzeptanz in der Praxis verbessern soll – so heißt es statt „Kunde“ nun „Patient“. Als evolutionäre, bereichsspezifische Weiterentwicklung der ISO 9001 legt die EN 15 224 Anforderungen an ein QM-Managementsystem mit Elementen wie QM-Handbuch, Audits, Behandlungs- und Dokumentenmanagement fest. Viele der Anforderungen scheinen recht dehnbar formuliert (siehe Kasten „Die elf Qualitätsmerkmale“): „Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung sind für den Patienten erreichbar und möglich“, „… sorgen in relativ kurzer Zeit“ für ein positives Ergebnis, das „unter Einsatz eines Minimums von Ressourcen“ erzielt werden soll. Andererseits werden die Anforderungen an Patientensicherheit und Risikomanagement schwerpunktmäßig konkretisiert: Klinische Risiken müssen analysiert und Verfahren dazu im QM-Handbuch beschrieben werden, Zwischenfälle sind in die Managementbewertung aufzunehmen. „Wer sich an DIN EN 15 224 orientiert, verbessert seine Rechtssicherheit und seine Wettbewerbsfähigkeit“, kommentiert Birgit Klusmeier von der TÜV-Süd-Akademie in München. Allerdings wird das neue Verfahren auch aufwendiger als die Zertifizierung nach ISO 9001: 15 bis 20 % mehr Zeitaufwand veranschlagen Experten des TÜV Süd. Die Zertifizierung einer Durchschnittspraxis mit einem Arzt und mehreren MfAs dürfte 2 000 bis 2 500 Euro kosten.

QM künftig „erlösrelevant“?
Die Einführung eines QM-Systems ist für Arztpraxen zwar Pflicht, nicht aber eine Zertifizierung. Noch nicht – aber das könnte sich in Zukunft ändern. Dem Beispiel von Krebszentren und stationären Reha-Einrichtungen folgend, könnte die Erfüllung der Normanforderungen und damit die Zertifizierung „per Gesetz oder vertraglich zur Bedingung dafür gemacht werden, dass Gesundheitsdienstleistungen vergütet oder zugelassen werden. Darüber hinaus könnten künftig Gerichte und ihre Gutachter die Norm als Bewertungsmaßstab bei Streitigkeiten um Behandlungsfehler heranziehen. Dazu brauchte es nicht einmal eine gesetzliche Vorschrift“ (www.jomec.de). Unabhängig von solchen Risiken kann ein Zertifikat nicht nur eine motivierende Belohnung für das Team sein, sondern – in der Praxis sichtbar ausgehängt – auch nach außen hin das Bemühen dokumentieren, für die Patienten das Beste zu leisten.

Künftig Pflicht für Arztpraxen?

Aber noch ist es nicht so weit. Die EN 15 224 ist zwar seit Dezember veröffentlicht, doch damit sie für Zertifizierungen genutzt werden kann, muss sie ihrerseits von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) geprüft werden.

Zertifizierung: Begriffe

Unter Zertifizierung versteht man ein Verfahren, in dem ein (unparteiischer) Dritter schriftlich bestätigt, dass ein Produkt, Prozess oder eine Dienstleistung mit festgelegten Anforderungen konform ist.

Ein Zertifikat bestätigt im Qualitätsmanagement das Vorhandensein eines normkonformen und funktionsfähigen Qualitätsmanagementsystems. Akkreditierung stellt eine formelle Anerkennung der Kompetenz einer Einrichtung (ursprünglich eines Prüflaboratoriums) dar, bestimmte Prüfungen oder Prüfungsarten auszuführen.

(Quelle: Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin)


Mindestens drei Monate dauert dieses Verfahren, sechs bis zwölf Monate sind normal. Frühestens im 2. Quartal 2013 würden demnach Zertifizierungen durch akkreditierte Zertifizierungsstellen möglich. Doch zur Anwendung zwingt das bloße Vorhandensein der Norm ebenso wenig wie ihre Akkreditierung. Zwar verpflichtet §135a SGB V die Gesundheitsdienstleister dazu, ein Qualitätsmanagementsystem aufzubauen und fortzuentwickeln.

Welches, darüber sagt das Gesetz indes nichts. Es gibt eine ganze Reihe anderer Zertifizierungssysteme, auch speziell für Arztpraxen. Nicht zu kompliziert sollte das System sein, rät das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin: „Die Entscheidung für die Etablierung und Ausgestaltung des Qualitätsmanagements in der Praxis kann letztendlich nur der Praxisinhaber als Unternehmer unter Berücksichtigung der individuellen Betriebssituation fällen. Da Qualitätsmanagement von allen Teammitgliedern in der Praxis umgesetzt wird, lohnt es sich, die Entscheidung soweit möglich im Team zu treffen.“ ▪

Werner Enzmann

Die 11 Qualitätsmerkmale nach EN 15 224
  1. Angemessene, richtige Versorgung Der Patient wird untersucht und mit keinen/geringfügigen Komplikationen oder Nebenwirkungen behandelt.
  2. Verfügbarkeit Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung sind für den Patienten erreichbar und möglich.
  3. Kontinuität der Versorgung Es besteht eine nahtlose Kette von Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung für den Patienten.
  4. Wirksamkeit Tätigkeiten der Gesundheitsversorgung führen in relativ kurzer Zeit zu einem erwartet positiven Ergebnis für den Patienten.
  5. Effizienz Das für den Patienten erwartete Ergebnis wird unter Einsatz eines Minimums an Ressourcen erzielt.
  6. Gleichheit Patienten mit gleichartigen Erfordernissen wird die gleiche Versorgung erbracht.
  7. Evidenzbasierte Versorgung Untersuchungen und Behandlungen beruhen auf wissenschaftlich fundierten Tatsachen und/oder Erfahrungen auf der Basis von Wissen/bester Praxis.
  8. Auf körperliche und geistige Unversehrtheit ausgerichtete Versorgung Tätigkeiten sind auf die Sichtweise des Patienten konzentriert, werden stets mit dessen Einverständnis und mit Blick auf seine körperliche und psychologische Unversehrtheit ausgeführt.
  9. Einbeziehung des Patienten Der Patient wird in Kenntnis gesetzt, befragt und nach Möglichkeit in alle Behandlungen aktiv einbezogen.
  10. Patientensicherheit Allen vermeidbaren Schäden wird vorgebeugt.
  11. Rechtzeitigkeit und Zugänglichkeit Der Patient kann die Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung ohne unzumutbare Wartezeiten erhalten.

(Quelle: TÜV Süd)



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; 35 (4) Seite 34-35