Viel lieber als Beschwerden hören wir alle Lob. Doch gemessen am Verbesserungspotenzial gibt eine Beschwerde viel mehr her. Denn so erfährt das Team aus Patientensicht von Stärken und Schwächen der Praxis, die sonst gar nicht auffallen würden. Ein organisierter Ablauf im Umgang mit Beschwerden und und Fehlern bringt viele Vorteile und führt sogar zu einer besseren Patientenbindung.

Eine Beschwerde ist die Äußerung von Unmut und Unzufriedenheit eines Patienten, der mit einer Erwartungshaltung in die Praxis gekommen ist und dann enttäuscht feststellt, dass seine Erwartung nicht erfüllt wird. Seine Reaktion ist eine subjektiv formulierte Beschwerde, seine empfundene Unzufriedenheit führt zu negativen Gefühlsäußerungen. Und diese wecken häufig auch bei den Adressaten im Praxisteam negative Gefühle. Aber Beschwerden sind auch ein gutes Indiz, um Schwachpunkte zu erkennen und um sich zu verbessern. Dies umso mehr, wenn der Grund einer Beschwerde ein Fehler, mithin ein Defizit im Praxisablauf ist: Fehler müssen zu 100 % abgestellt werden.

Systematisch erfassen und bearbeiten

Ein gutes Beschwerde- und Fehlermanagement sorgt für Patientenzufriedenheit. Nur jeder dritte unzufriedene Kunde oder Patient beschwert sich. Das heißt: Einige sind unzufrieden und beschweren sich, aber fast doppelt so viele sind ebenfalls unzufrieden, und wir wissen nichts davon. Hinter jedem Meckerer stehen zwei weitere Patienten, die dasselbe denken, es aber nicht sagen. Das alleine sollte Grund genug sein, jede Beschwerde ernst zu nehmen. Aus Statistiken wissen wir aber auch Positives: Wenn ca. 15 % der Patienten unzufrieden sind, dann sind 85 % der Patienten mit ihren Praxisteams durchaus zufrieden.

Manche Praxisteams sind der Ansicht, die Bearbeitung von Beschwerden koste nur Zeit und Geld. Der „wutschnaubende Patient“ ist jedoch, richtig angesprochen, meist kooperativ. Und damit hilft er, Kosten zu senken und das Praxisimage zu stärken. Letztlich ist er sogar loyal, denn es sind die verärgerten Patienten, die sich nicht beschweren, welche ihre Frustration nach draußen weitertragen und dort – vielleicht mit einem hohen Multiplikationsfaktor – davon erzählen. Wenn also manche Praxisteams der Ansicht sind: „Je weniger Beschwerden, desto besser“ – dann befinden sie sich im Irrtum. Denn es ist um ein Vielfaches einfacher und wirtschaftlicher, einen verärgerten Patienten durch geschicktes Beschwerde- und Fehlermanagement an die Praxis zu binden, als neue Patienten zu gewinnen.

Zunächst ist bei jeder Beschwerde die Dokumentation wichtig

Ebenfalls dokumentieren sollte das Team die Handlungsabsichten des Patienten (erwartet er z. B. nur eine Entschuldigung oder will er einen Rechtsbeistand beauftragen?), eine eventuelle Lösungsvorstellung des Beschwerdeführers und ob es sich um Erst- oder Folgebeschwerde/-fehler handelt.

Die schriftliche Dokumentation dient später zur Unterstützung der Praxis, insbesondere, wenn es tatsächlich zu einem Rechtsstreit kommt. Denn mit Einführung des neuen Patientenrechtegesetzes zum 1.1.2013 wurden die Rechte des Patienten gestärkt: Nun muss der Arzt mithilfe seiner vollständigen Dokumentation beweisen, dass er bei der Behandlung nicht fehlerhaft gehandelt hat.

Beschwerde und Fehler – eine Begriffsklärung

Eine Beschwerde ist eine Reaktion auf eine nicht erfüllte Erwartung und damit zunächst nur eine gefühlsmäßige Äußerung. Ein Fehler hingegen ist ein Vorkommnis, welches zu einer Beschwerde führen, aber auch zur Grundlage für einen konkreten Rechtsanspruch werden kann. Positiv gesehen ist ein Fehler ein Ereignis, aus dem das Team lernen und Konsequenzen ziehen kann, damit ein gemachter Fehler nicht noch einmal passiert. Für ein patientenorientiertes Beschwerde- und Fehlermanagement scheint die Unterscheidung zwar weniger hilfreich, weil aus Sicht des Patienten natürlich jede Beschwerde gerechtfertigt und wichtig ist. Doch im Ziel gibt es einen grundlegenden Unterschied: Eine Beschwerde nehme ich an, versuche ihre Gründe herauszufinden, und am Ende kommt es in 80 % der Fälle zu einer guten Einigung. Bei einem Fehler nehme ich die Rückmeldung ebenfalls an, finde die Gründe heraus und stelle den Fehler dann zu 100 % ab.

Auch bei den Gründen bzw. Ursachen unterscheiden sich Beschwerden und Fehler. Beschwerdegründe sind in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit:
  • lange Wartezeiten in der Praxis
  • lange Wartezeit bis zum nächsten Termin
  • zu wenig Zeit/Zuwendung von Arzt und Praxispersonal
  • das Gefühl, man werde als Kassenpatient wie ein "Patient zweiter Klasse" behandelt
  • KostenfragenBehandlungserfolg und/oder Nebenwirkungen.

Beispiele für Fehler sind:
  • ein Notfallpatient wird abgewiesen
  • es wurde ein falsch gewählter Impfstoff injiziert
  • Abrechnungsfehler bei einem Privatpatienten
  • Verletzung des Datenschutzeskeine oder unzureichende Aufklärung vor einem Eingriff.

Es ist nicht dumm, Fehler zu machen – Fehler sind der menschlichen Tätigkeit zugehörig. Aber es ist dumm, nichts aus gemachten Fehlern zu lernen. Besser noch: Man muss nicht jeden Fehler selber machen, um daraus zu lernen! Deshalb gibt es auch das Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausarztpraxen www.jeder-fehler-zaehlt.de.

Kriterien für ein gutes Beschwerde- und Fehlermanagement

Für ein gutes Beschwerde- und Fehlermanagement bedarf es eines konstruktiven Praxisklimas. Das bedeutet, Beschwerden und Fehler werden nicht emotionalisiert, niemand handelt bewusst oder mutwillig fahrlässig und es kommt im Zusammenhang mit diesem Thema auch nicht zu Schuldzuweisungen im Team. Die Zuständigkeiten für die Bearbeitung und der Ablauf der Bearbeitung sollten geklärt sein. Die Auswertung der Dokumentation erfolgt dann im Team (Teamsitzung) – so kommt es zu neuen Erkenntnissen. Danach muss unbedingt eine Rückmeldung an den Patienten erfolgen.

„Erste-Hilfe-Maßnahmen“

Damit eine Beschwerdesituation nicht eskaliert, sollte das Praxisteam den professionellen Umgang mit ärgerlichen, wütenden Patienten geübt haben. Zudem sollte es eine Abmachung geben, dass die Teammitglieder sich in schwierigen Situationen gegenseitig unterstützen und einander danach Feedback geben. So entsteht nebenbei kontinuierliche Verbesserung. Sollte es zu Drohungen kommen, wissen alle im Team Bescheid, können gelassen und freundlich bleiben. Denn im Mittelpunkt des Beschwerde- und Fehlermanagements steht immer der Patient. Auch die Praxisleitung wünscht sich keine Sanktionen, sondern zufriedene Patienten und entspannte MFAs.

Passivität schafft Stress

Auch wenn Philosophen dieses Verhalten nicht empfehlen – jeder Mensch hat Meckerfreiheit. Passives Beschwerde- und Fehlermanagement in einer Praxis bedeutet abzuwarten, ob Beschwerden geäußert werden. Ein unvorbereitetes Team sieht sich dann möglicherweise einer unvorhersehbaren, kaum steuerbaren Entwicklung gegenüber. Das bedeutet Stress. Der aber muss nicht sein und ist abwendbar, wenn sich ein Praxisteam aktiv und präventiv auf solche Situationen vorbereitet hat, um souverän und gelassen aufzutreten. Ein Beispiel für Prophylaxe beim Thema „lange Wartezeit“ wäre, ein Terminmanagement-Seminar zu besuchen, die Wartezimmergestaltung zu überdenken und Patienten vorab über Wartezeiten zu informieren. Praxisteams, die ihr Beschwerdemanagement aktiv gestalten, nutzen auch Informationen aus der Patientenbewertung in Online-Portalen wie Sanego, Jameda, Docinsider etc.

Verhandlungsstrategien bei Beschwerden

Seien Sie bestimmt in der Sache, aber freundlich gegenüber dem Beschwerdeführer. Signalisieren Sie dem Patienten Verständnis und verwandeln Sie den Vorwurf in einen Wunsch. Zeigen Sie dabei, dass Sie die Empfindungen des Gesprächspartners wahrnehmen. Bringen Sie gute Sachargumente erst dann ein, wenn die Emotionen abgeklungen sind. Mitunter hilft auch eine Veränderung der Sichtweise (Perspektivenwechsel), um Verständnis auf beiden Seiten zu erreichen. Wichtig im Gespräch ist, das Ziel nie aus den Augen zu verlieren.

Im Gespräch helfen lösungsorientierte W-Fragen weiter:
  • „Was erwarten Sie von mir?“
  • „Wie kann ich Ihnen jetzt helfen?“
  • „Wie wollen wir weiter vorgehen?“
  • „Was kann ich für Sie tun?“
  • „Was würde Ihnen denn ein wenig helfen?“
  • „Wie lösen wir denn jetzt das Problem?“

Grenzen setzen

Manche Situationen und Vorgänge brauchen klare Regelungen und dürfen nicht erst geklärt werden, wenn eine schwierige Situation da ist und es schon brennt. Legen Sie präventiv fest, bis zu welchem Punkt die Kompetenzen jedes Mitarbeiters durch den Praxischef geschützt sind und wo eine Grenze erreicht ist – auch für ein kompetentes und verständnisvolles Team. Konkret: Wann fliegt ein Patient raus? Despektierliches Benehmen darf man nicht fördern!

Wenn ein Praxisteam nach gutem Training und mit dem richtigen Kommunikationswerkzeug im Gepäck Beschwerden als Geschenk ansehen kann, sollte die Philosophie sein: Wir provozieren die offene Aussprache von Unzufriedenheit; wir wollen uns auf jeden Patienten freuen, der kommt und sich beschwert; jede Beschwerde ist eine Chance. Denn im Vordergrund steht die Wiederherstellung der Patientenzufriedenheit.

Fazit

Eine Beschwerde ist ein Hilfsmittel zur kontinuierlichen Verbesserung der Praxis, ein Geschenk von Ihrem Patienten! Wichtig ist, dass wir diese nicht persönlich nehmen und nicht emotional darauf reagieren. Die hilfreiche Frage lautet nicht: WER war das, sondern: WAS ist passiert?



Autor:

Iris Schluckebier

Medizinische Fachangestellte und QM-Visitorin
46282 Dorsten

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (SH practica) Seite 36-39