2018 haben forschende Pharma-Unternehmen dazu beigetragen, die Behandlungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Gebieten zu verbessern. Dafür haben sie mehr als 30 Medikamente mit neuen Wirkstoffen herausgebracht. Hinzu kamen Medikamente mit neuer – beispielsweise kindgerechter – Darreichungsform. Für einige Patientengruppen stellen die neuen Medikamente die ersten spezifischen Therapien überhaupt dar.

Dieser Artikel stellt den Arzneimittel-Jahrgang 2018 bis zum Redaktionsschluss am 30.11.2018 vor. Zu ihm zählen insbesondere 36 Medikamente mit neuem Wirkstoff. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) wird zum Jahresende eine vollständige Aufstellung des Jahrgangs unter www.vfa.de/innovationsbilanz-2018 veröffentlichen. Angaben zu einzelnen Medikamenten entsprechen, soweit nicht anders angegeben, den Informationen (European Public Assessment Reports, EPARs) der European Medicines Agency EMA [1].

Innere Medizin

Das Jahr der metabolischen Innovationen

An 2018 ist außergewöhnlich, dass fast ein Drittel der Medikamente mit neuem Wirkstoff der Behandlung von Stoffwechselkrankheiten dient (bis dato elf). In den drei vorangegangenen Jahren waren es nie mehr als drei [2].

Zwei neue Mittel kamen für Patienten mit Typ-2-Diabetes heraus. Zum einen wurde der neue SGLT-2-Hemmer Ertugliflozin mit einem bekannten DPP-4-Hemmer kombiniert (orale Anwendung). Das andere Medikament enthält das GLP-1-Analogon Semaglutid in einem Pen zur wöchentlichen Selbstinjektion. In klinischen Studien bewirkte dieser Arzneistoff neben der Blutzuckerregulation auch eine deutliche Gewichtsabnahme. Eine weitere Zulassung für die Adipositas-Therapie ist geplant. Zudem ist eine orale Darreichungsform in klinischer Entwicklung (Phase III).

Mit einem weiteren neuen Medikament mit dem Wirkstoff Patiromer können Patienten mit Hyperkaliämie bei chronischer Nierenerkrankung behandelt werden.

Mehrere Stoffwechselmedikamente richten sich gegen monogene Erbkrankheiten: Vestronidase alfa gegen Sly-Syndrom, Velmanase alfa gegen Alpha-Mannosidose, Inotersen und Patisiran gegen Transthyretin-Amyloidose, Trietin gegen Morbus Wilson, Glycerolphenylbutyrat gegen Harnstoffzyklus-Störungen und Metreleptin gegen Lipodystrophie z. B. durch Berardinelli-Seip-Syndrom. Ebenso ist Mukoviszidose eine Erbkrankheit; mit der Kombination Tezacaftor/Ivacaftor lässt sich nun eine genetisch definierte Unterform davon behandeln. Erblich ist auch die muskuloskelettale Erkrankung X-chromosomale Hypophosphatämie, gegen die mit Burosumab ebenfalls ein Medikament auf den Markt kam. Die Diagnose und die Ersteinstellung der Patienten dürfte nur selten in einer allgemeinärztlichen Praxis erfolgen – wohl aber die wohnortnahe Anschlussbehandlung.

Medikamente gegen Entzündungskrankheiten

Erstmals ist mit Darvadstrocel eine gezielte medikamentöse Behandlung von Perianalfisteln bei Patienten mit Morbus Crohn möglich. Es handelt sich um eine allogene Zelltherapie mit mesenchymalen Stammzellen aus dem Fettgewebe eines Spenders.

Zur Behandlung des schweren eosinophilen Asthmas kam – nach Mepolizumab und Reslizumab – mit Benralizumab ein weiterer Interleukin-5-bindender Antikörper auf den Markt.

Infektionskrankheiten

Antiinfektiva

Für viele Personen ab 50 Jahren kommt das Impfen gegen Herpes Zoster in Betracht. Neben einem Lebendimpfstoff ist seit 2018 auch ein adjuvantierter Totimpfstoff auf dem Markt, der Studien zufolge eine Schutzwirkung von mehr als 88 % erzielt. Die Ständige Impfkommission hat die Zoster-Impfung bislang noch nicht in den Impfkatalog aufgenommen, konstatiert aber: "Nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung kann eine Impfung im Einzelfall sinnvoll sein. [...] die Kostenerstattung [ist] vor der Impfung zu klären." [3]

Für HIV-Positive wurde eine neue Tripeltherapie herausgebracht, für die eine Tablette täglich genügt. Neu daran ist der Integrasehemmer Bictegravir.

Der Antikörper Bezlotoxumab neutralisiert das Toxin B von Clostridium difficile. In Kombination mit anderen antibakteriellen Mitteln soll er die Rekurrenz einer C.-difficile-Infektion verhindern.

Schon zugelassen, aber bis Redaktionsschluss noch nicht eingeführt wurde das Antibiotikum Eravacyclin, ein Tetracyclin gegen komplizierte Bauchrauminfektionen. Gleiches gilt für ein weiteres Antibiotikum, das ein Carbapenem mit dem neuen Betalactamase-Inhibitor Vaborbactam kombiniert [4].


Neurologie

Medikamente gegen neurologische Krankheiten

Starke Medien-Aufmerksamkeit erfuhr die neue Klasse der CGRP-Rezeptorantagonisten (CGRP = Calcitonine Gene-Related Peptide) zur Migräne-Prävention. Das erste Mittel mit dem Antikörper Erenumab ist seit November verfügbar; drei weitere könnten in den nächsten Monaten folgen. Erenumab können sich Patienten einmal im Monat selbst injizieren. Studien zufolge erlitten viele Patienten mit unterschiedlichen Migräne-Formen mit dieser Prophylaxe deutlich weniger Migräne-Tage pro Monat.

Mit Ocrelizumab kam auch das erste Medikament mit Zulassung für die Basistherapie von Patienten mit primär-progredienter Multipler Sklerose (MS) heraus; es ist auch gegen schubförmige MS zugelassen.

Hämatologie und Onkologie

Hämophilie-Medikamente

Der Zustrom neuer Hämophilie-Medikamente (darunter solche mit längerem Anwendungsintervall gegenüber etablierten Präparaten) setzte sich 2018 mit zwei Medikamenten gegen Hämophilie A (Faktor-VIII-Defizienz) fort. Obwohl beide wie der Faktor VIII wirken, enthält eines davon keinen Faktor, sondern den bifunktionalen Antikörper Emicizumab, der die Funktion des fehlenden Faktors in der Gerinnungskaskade übernimmt. Er kann bei Patienten eingesetzt werden, die Hemmkörper gegen Faktor VIII entwickelt haben. Rurioctocog alfa ist pegyliert, was seine Halbwertszeit verlängert.

Neue Krebsmedikamente

Gewohnt stark vertreten bei den Neueinführungen sind Krebsmedikamente: Bis Redaktionsschluss waren es elf. Ihre Entwicklung knüpft an intensive Grundlagenforschung an. Das hat unter anderem der diesjährige Nobelpreis für Medizin für die Erfindung der Checkpoint-Inhibitoren veranschaulicht. Diese Medikamente aktivieren T-Zellen des Patienten für die Tumorbekämpfung. Mehrere sind schon länger verfügbar, 2018 kam mit Durvalumab gegen NSCLC noch ein weiterer hinzu.

Die ersten beiden CAR-T-Zell-Therapien sind individuelle Gentherapien, bei denen als Wirkstoff gentechnisch modifizierte T-Zellen des Patienten fungieren. Sie lassen sich als Last-Line-Therapie gegen diffuses bzw. primäres mediastinales großzelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL bzw. PMBCL) und akute lymphoblastische Leukämie einsetzen. Die Behandlung ist nebenwirkungsträchtig, aber mit der Chance verbunden, die Tumorzellen dauerhaft in Schach zu halten. Beide Therapien dürfen nur in speziell geschulten Kliniken angewendet werden.

Abemaciclib (gegen Mammakarzinom), Sonidegib (gegen Basalzellkarzinom) und die kombiniert einzusetzenden Binimetinib und Encorafenib (gegen Melanom) sind oral anwendbare Kinase-Hemmer. Hingegen müssen Padeliporfin gegen Prostatakrebs und das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Gemtuzumab-Ozogamicin gegen akute myeloische Leukämie parenteral verabreicht werden.

Zwei Medikamente sind begleitend zu einer Stammzelltransplantation einsetzbar: Das eine enthält gentechnisch modifizierte Spender-T-Zellen; das andere das Virostatikum Letermovir gegen das Cytomegalovirus. Das diagnostische Medikament Tilmanocept dient erstmals der Lokalisation von Wächterlymphknoten.

Ins Gebiet des Allgemeinarztes fällt die Krebsprävention. Hier gab es 2018 zwar kein neues Produkt, jedoch eine wesentliche Entscheidung: Die Ständige Impfkommission STIKO empfiehlt die HPV-Impfung nun auch für Jungen zwischen 9 und 14 Jahren bzw. (als Nachholimpfung) bis 17 Jahre [5]. Seit dem 30. November 2018 ist sie auch Kassenleistung [6].

Seltene Erkrankungen

Orphan Drugs

Von den 36 bis Redaktionsschluss in Deutschland eingeführten Medikamenten verfügen 15 über den Orphan-Drug-Status. Sie sind zugelassen gegen Krankheiten, an denen in der EU nicht mehr als fünf von 10.000 Bürgern leiden [7]. Keines dieser Medikamente ist zugelassen gegen einen seltenen Subtyp einer an sich nicht-seltenen Erkrankung, also etwa gegen ALK-positives Bronchialkarzinom. Das Gleiche gilt für alle Medikamente mit Orphan-Drug-Status der EU, denn die europäische Arzneimittelbehörde EMA wacht darüber. Eines der Orphan Drugs dieses Jahres wartet sogar mit einem besonderen Rekord auf: Mit weltweit wohl unter 100 Patienten (ca. 12 in Deutschland) mit Sly-Syndrom hat Vestronidase alfa weniger potenzielle Nutzer als jedes andere Medikament (von individuell für Patienten bereiteten Medikamenten einmal abgesehen).

Sonstiges

Sonstige neue Medikamente

Die Reihe der Medikamente mit neuem Wirkstoff wird komplettiert durch das Medikament Caplacizumab gegen thrombotische thrombozytopenische Purpura (als einziges neues Herz-Kreislauf-Mittel) und das atypische Antipsychotikum Cariprazin zur Therapie der Schizophrenie. Zudem wurde gegen Plaque-Psoriasis mit Tildrakizumab ein weiteres immunmodulatorisches Medikament eingeführt, das den proinflammatorischen Botenstoff Interleukin-23 blockiert.

Medikamente für Minderjährige

Bis Redaktionsschluss wurde das Sortiment für die Pädiatrie 38-mal erweitert [8]. In vielen Fällen wurde das mit einer kindgerechten Darreichungsform (Granulat, Lösung) erreicht, mit der jüngere Kinder als bisher behandelt werden können, z. B. für Hydrocortison. Emtricitabin/Tenofovir disoproxil kann zur Präexpositionsprophylaxe einer HIV-Infektion jetzt schon ab 12 Jahren verordnet werden.

Ausblick
Derzeit befinden sich rund 60 weitere Medikamente mit neuem Wirkstoff im Zulassungsverfahren oder nach erteilter Zulassung vor der Markteinführung. Sie könnten also innerhalb der nächsten 16 Monate die Versorgung erreichen. Viele dienen der Krebstherapie, mehrere auch der stationären Behandlung schwerer bakterieller Infektionen; doch sind auch Medikamente für Patienten mit Typ-1-Diabetes, Migräne-Attacken, Psoriasis, atopischer Dermatitis und Osteoporose darunter, die für die hausärztliche Praxis Bedeutung erlangen könnten [9].


Literatur
1. European Medicines Agency: European Public Assesment Reports http://https://www.ema.europa.eu/en/medicines/field_ema_web_categories%253Aname_field/Human/ema_group_types/ema_medicine ; aufgerufen am 08.11.2018
2. www.vfa.de/neu-seit-2003; aufgerufen 08.11.2018
3. Robert Koch Institut (2018) Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Herpes zoster, Stand: 17.07.2018; www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Herpes_zoster/FAQ-Liste.html; abgerufen am 04.11.2018
4. www.ema.europa.eu/documents/smop-initial/summary-opinion-vabomere_en.pdf
5. Robert Koch Institut (Hrsg.) (2018): Epidemiologisches Bulletin 26/2018, S. 1; http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/26_18.pdf?__blob=publicationFil e
7. www.vfa.de/orphans ; aufgerufen am 08.11.2018
8. www.vfa.de/kinder ; aufgerufen am 08.11.2018
9. European Medicines Agengy, Applications for new human medicines under evaluation


Autor:

Dr. Siegfried Throm

Apotheker, Geschäftsführer Forschung, Entwicklung, Innovation (vfa)

Dr. Rolf Hömke
Forschungssprecher beim vfa
vfa – Verband der forschenden Pharma-Unternehmen
10117 Berlin

Interessenkonflikte: Beide Autoren sind Mitarbeiter des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen. Dieser vertritt die Interessen von 43 weltweit führenden Herstellern und ihren über 100 Tochter- und Schwesterfirmen in der Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (21) Seite 62-65