Chronische Schlafstörungen und psychische Erkrankungen scheinen sich gegenseitig negativ zu beeinflussen. Indem man die Insomnie behandelt, kann sich dies auch positiv auf die psychiatrische Erkrankung auswirken. Bei der Behandlung spielt die kognitive Verhaltenstherapie eine wichtige Rolle. In letzter Zeit gibt es dafür auch webbasierte Ansätze, die von den Patient:innen in Eigenregie durchgeführt werden können.

Beeinträchtigungen der Schlafkontinuität wie etwa Ein- und Durchschlafstörungen oder frühmorgendliches Erwachen und damit verbundene Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit werden in den meisten diagnostischen Systemen als insomnische Störung zusammengefasst. In chronischer Form betreffen sie etwa 7 – 10 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen, Angsterkrankungen, Zwänge, Abhängigkeitserkrankungen und Psychosen haben in den letzten Jahrzehnten weltweit deutlich zugenommen und inzwischen einen hohen Anteil der Krankheitslast (burden of disease) eingenommen. Interessanterweise können ausgeprägte Schlafstörungen im Sinne einer Insomnie bei fast allen psychischen Erkrankungen auftreten. Darüber hinaus konnte z. B. durch Meta-Analysen [1, 2] gezeigt werden, dass Insomnie einen unabhängigen Prädiktor für Depressionen und Angsterkrankungen darstellt. Zudem weisen erste Untersuchungen darauf hin, dass die frühe und adäquate Behandlung von Insomnien möglicherweise ein wirksames präventives Instrument für psychische Erkrankungen sein kann. Deshalb gehen wir aktuell davon aus, dass die Zusammenhänge zwischen Insomnie/Schlaflosigkeit und psychischen Erkrankungen bidirektional sind.

Epidemiologie der Insomnie

In den neuesten diagnostischen Kriterien, die von der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung und von der American Academy of Sleep Medicine [3, 4] veröffentlicht wurden (DSM-5/ICSD-3), wird die Insomnie nicht mehr als primäre oder sekundäre Insomnie, sondern als insomnische Störung aufgeführt. Es ist davon auszugehen, dass auch im ICD-11 diese Terminologie und Definitionskriterien übernommen werden. Danach besteht dann eine chronische Insomnie, wenn die Beeinträchtigung der Schlafkontinuität von Störungen der Tagesbefindlichkeit begleitet wird, wie etwa Stimmungsschwankungen, Irritabilität, Dysphorie, Müdigkeit, Konzentrations- und Leistungsstörungen etc. Diese Beschwerden müssen drei Monate anhalten, um als krankheitswertig angesehen zu werden, und mindestens dreimal pro Woche auftreten. Eine andere körperliche oder psychische Erkrankung oder auch Substanzeinnahme, die ursächlich für die Insomnie verantwortlich ist, muss ausgeschlossen sein. Hervorgehoben wird das Prinzip der Komorbidität, d. h., dass Insomnie und Depression auch komorbid diagnostiziert werden können, wenn die Insomnie einen eigenständigen Verlauf zeigt, anstatt wie früher üblich beim gleichzeitigen Auftreten von insomnischen Beschwerden und z. B. einer Depression nur die Depression zu diagnostizieren.

Neueste Untersuchungen aus Deutschland (z.B. [5]) weisen darauf hin, dass Insomnie als gelegentliches Symptom bei fast zwei Drittel aller erwachsenen Bundesbürger:innen einmal im Jahr auftritt. Übereinstimmend mit vielen internationalen Untersuchungen sind mehr Frauen als Männer betroffen und die Prävalenz der Insomnie nimmt mit dem Alter zu. Neben der Verknüpfung als unabhängiger Risikofaktor mit psychischen Erkrankungen hat die chronische Insomnie auch einen nicht zu unterschätzenden ökonomischen Einfluss, z. B. was Krankschreibungen, Arbeitsunfähigkeit etc. betrifft.

Ätiologie der Insomnie

Das aktuell am meisten diskutierte Modell der Insomnie stellt die sogenannte Hyperarousal-Theorie dar [6, 7]. Dabei wird davon ausgegangen, dass bei Menschen, die an einer chronischen Insomnie leiden, ein permanent erhöhtes Arousal auf psychologischer, emotionaler, physiologischer und motorischer Ebene besteht. Dieses äußert sich in dokumentierbaren Veränderungen, z. B. im autonomen Nervensystem (Herzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität), aber auch was den Output der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde betrifft in einer erhöhten Kortisolausschüttung. Auf zentralnervöser Ebene lässt sich das Hyperarousal in einer Zunahme schneller Frequenzen im Schlaf-EEG dokumentieren. Ein von uns vorgeschlagenes Insomniemodell [9] ist in Abb. 1 dargestellt:

Laut diesem Modell gibt es prädisponierende, auslösende und perpetuierende Faktoren einer chronischen Insomnie. Es spricht vieles dafür, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen, dass zudem neurobiologische Mechanismen involviert sind, insbesondere solche, die an der Schlaf-Wach-Regulation beteiligt sind, dass aber auch Persönlichkeitscharakteristika wie etwa Perfektionismus zur Insomnie disponieren. Unter bestimmten psychosozialen Stressoren kommt es dann zu Beeinträchtigungen des Nachtschlafs, die nach einiger Zeit auch mit Tagessymptomen einhergehen und wiederum in ein chronisches Hyperarousal neurobiologischer und psychophysiologischer Art einmünden. Aufrechterhaltende Faktoren sind dann Verhaltensweisen der Betroffenen wie etwa zu lange Bettzeiten, Schlaf während des Tages, irreguläre Schlafzeiten und generell maladaptive Verhaltensweisen, die die Schlaflosigkeit aufrechterhalten. Im Verlauf kommt es dann zu einer emotionalen Dysregulation, die dann das "Tor öffnet" für psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen oder auch Angsterkrankungen [8].

Diagnostik von Insomnien

Laut Leitlinien der Deutschen und Europäischen Gesellschaften für Schlafforschung [9, 10] kann folgendes diagnostische Procedere vorgeschlagen werden (Tabelle 1):

Das Vorgehen richtet sich nach dem spezifischen Kontext, etwa ob diese Diagnostik im hausärztlichen oder fachärztlichen Kontext stattfindet, und nach dem klinischen Bild. Neben einer somatischen Anamnese ist unter Umständen eine apparative Diagnostik inklusive Laborparameter, ggf. auch EEG, EKG, CT oder MRT des Schädels erforderlich. Eine Polysomnographie sollte allerdings nur besonders schweren Fällen vorbehalten sein. Im Rahmen der Diagnostik empfiehlt sich der Einsatz von Schlaftagebüchern, die über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen ausgefüllt werden sollten und dann von der Patient:in zusammen mit der Behandler:in evaluiert werden. Ein entsprechendes Schlaftagebuch findet sich auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.

Behandlung der Insomnie

Hinsichtlich der Behandlung der Insomnie sind sich alle in den letzten fünf Jahren veröffentlichten diagnostischen Leitlinien, insbesondere im deutschen und europäischen Raum [9, 10], einig, dass die kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie (KVT-I) die Therapie der ersten Wahl darstellen sollte. Einen Überblick über dieses Therapieverfahren gibt Tabelle 2. Zusammenfassend basiert diese Therapie auf Psychoedukation, der Vermittlung der Regeln für einen gesunden Schlaf, Entspannungstechniken, Stimuluskontrolle, Schlafrestriktion und kognitiven Techniken. Die Verhaltensmaßnahmen wie die Stimuluskontrolle und die Schlafrestriktion zielen insbesondere auf eine Verkürzung der Bettzeit ab, um somit den nächtlichen Schlafdruck wieder zu erhöhen.

Die Regeln der Schlafhygiene, die im hausärztlichen Kontext gut vermittelt werden können, sind in Tabelle 3 dargestellt:

Da aktuell immer noch zu wenig gut ausgebildete Therapeut:innen zur Verfügung stehen, die kognitive Verhaltenstherapie entweder im psychotherapeutischen oder psychiatrischen Kontext anbieten, haben sich in letzter Zeit auch Ansätze etabliert, die die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnien webbasiert, d. h. im Internet anbieten. Im englischen Sprachraum stehen hier z. B. die Ansätze Sleepio oder SHUTi zur Verfügung, im deutschsprachigen Raum prüfen wir gerade im Rahmen eines groß angelegten Versorgungsprojekts in Hausarztpraxen, das vom Innovationsfonds gefördert wird, den Ansatz Get Sleep. Hierbei werden die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätze internetbasiert umgesetzt und können so vom Betroffenen selbst in Eigenregie eingesetzt werden. Im Sinne eines Stepped-Care-Modells schlagen wir vor, dass nach einer intensiven hausärztlichen Abklärung und Beratung, falls dies nicht zum Sistieren der Beschwerden führt, ein Verweis an ein internetbasiertes Selbsthilfeprogramm erfolgt. Falls dieser Ansatz nicht erfolgreich ist, sollte dann eine weiterführende fachärztliche Evaluierung (Neurologie, Psychiatrie, Schlafmedizin) und Therapie erfolgen. Eine medikamentöse Therapie sollte nur dann eingeleitet werden, wenn die ausführliche Diagnostik und Beratung sowie ggf. die spezifische kognitive Verhaltenstherapie für Insomnien nicht erfolgreich oder nicht verfügbar sind. Vorgeschlagen werden von den entsprechenden Leitlinien [9, 10] die hierfür zugelassenen Medikamente wie Benzodiazepine, Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten und teilweise auch sedierende Antidepressiva in niedriger Dosierung. Aktuell wird in den Leitlinien vorgeschlagen, diese medikamentösen Behandlungen auf Zeiträume von maximal drei bis vier Wochen zu begrenzen aufgrund der mit ihnen verbundenen möglichen Risiken wie Rebound-Insomnie, Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung.

Präventive Wirksamkeit

In den letzten Jahren haben mehrere Studien gezeigt, dass die frühzeitige und adäquate Behandlung von Insomnien, insbesondere mit der KVT-I, einen wirksamen Beitrag zur Prävention psychischer Erkrankungen leisten kann [8]. Allein dies scheint, neben dem Effekt auf die insomnische Störung, einen für uns wichtigen Anreiz darzustellen, so zu verfahren. Speziell für den hausärztlichen Bereich wurde von der DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin) ein Leitfaden [11] zum Umgang mit Insomnien vorgeschlagen, auf den an dieser Stelle für die interessierten Leser:innen hingewiesen werden soll.

ESSENTIALS - Wichtig für die Sprechstunde
  • Eine chronische Insomnie besteht, wenn auch die Tagesbefindlichkeit über mindestens 3 Monate gestört ist.
  • Ätiologisch spielt die Hyperarousal-Theorie eine Rolle.
  • Therapeutisch stellt die kognitive Verhaltenstherapie (KVT-I) die Methode der ersten Wahl dar.


Literatur:
1 Baglioni, C., Battagliese, G., Feige, B., Spiegelhalder, K., Nissen, C., Voderhol-zer,U., Lombardo, C., & Riemann, D. (2011). Insomnia as a predictor of depression: A meta-analytic evaluation of longitudinal epidemiological studies. Journal of Affec-tive Disorders, 135, 10-19. https://doi.org/10.1016/j.jad.2011.01.011
2 Hertenstein,,E., Feige, B., Gmeiner, T., et al. (2019). Insomnia as a predictor of men-tal disorders: A systematic review and meta-analysis. Sleep Medicine Reviews, 43, 96-105. https://doi.org/10.1016/J.smrv.2018.10.006
3 American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (5th ed.: DSM-5). APA, Washington DC.
4 American Academy of Sleep Medicine (2014). International Classification of Sleep Disorders, 3rd edition. AASM, Rochester
5 Schlack, R., Hapke, U., Maske, U., Busch, M.A., Cohrs, S.: Häufigkeit und Vertei-lung von Schlafproblemen und Insomnie in der deutschen Erwachsenenbevölke-rung. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 5/6, 740-748, 2013.
6 Riemann, D., Spiegelhalder, K., Feige, B., Voderholzer, U., Berger, M., Perlis, M.L., & Nissen, C. (2010). The hyperarousal model of insomnia: a review of the concept and its evidence. Sleep Medicine Reviews, 14, 19-31.
7 Riemann, D., Nissen, C. , Palagini, L., Otte, A., Perlis, M.L., & Spiegelhader, K. (2015). The neurobiology, investigation and treatment of chronic insomnia. Lancet Neurology, 14, 547-558.
8 Riemann, D., Krone, L.B., Wulff, K., & Nissen, C. (2020). Sleep, insomnia, and de-pression. Neuropsychopharmacology, 45, 74-89.
9 Riemann, D., Baum, E., Cohrs, S., et al. (2017a). S-3 Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/ Schlafstörungen. Kapitel Insomnie bei Erwachsenen (AWMF Registrier-nummer 063-003), Update 2016. Somnologie, 20 (Suppl s2), S97-S180.
10 Riemann, D., Baglioni, C., Bassetti, C., et al. (2017b). European guideline for the diagnosis and treatment of insomnia. Journal of Sleep Research, 26, 675-700.
11 DEGAM: Insomnie bei Erwachsenen. DGSM-Anwenderversion zur S3 Leitlinie " Nichterholsamer Schlaf/ Schlafstörungen". http://www.Degam-leitlinien.de .


Autor

Prof. Dr. rer. soc. Dipl.-Psych. Dieter Riemann

Abteilung für Klinische Psychologie und Psychophysiologie
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Freiburg 79104 Freiburg
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (11) Seite 50-55