Die sogenannten Immuncheckpoint-Inhibitoren sind für eine große Zahl von Patienten mit metastasiertem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom eine gute Alternative zur Chemotherapie. Ob diese neue Therapieform für den jeweiligen Patienten infrage kommt, muss zuvor durch Nachweis spezifischer Biomarker geklärt werden. Nebenwirkungsarm sind die neuen Antikörper allerdings nicht.

Die Feinregulation von Immunreaktionen erfolgt durch eine intensive Kommunikation zwischen Lymphozyten und Antigen-präsentierenden Zellen. Eine Vielzahl von Rezeptor-Liganden-Systemen vermittelt aktivierende und inhibitorische Signale an zytotoxische T-Lymphozyten (ZTL). Tumoren können diese Systeme nutzen, um sich der Abstoßung durch das Immunsystem zu entziehen. Beispielsweise findet sich in manchen Tumoren eine Aufregulation des Liganden PD-L1, der mit dem PD-1-Rezeptor auf ZTL interagiert und diesen anergisiert. Monoklonale Antikörper gegen PD-1 oder PD-L1 blockieren diese Interaktion und reaktivieren somit die immunologische Tumorzellabstoßung. Diese „Immuncheckpoint-Inhibitoren“ genannten Antikörper zeigen bei einer Gruppe von Patienten mit metastasierten, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) eine hohe Wirksamkeit. Die anti-PD-1-Antikörper Nivolumab und Pembrolizumab sowie der anti-PD-L1-Antikörper Atezolizumab befinden sich bereits in breitem klinischen Einsatz. Diese neuen Therapeutika sind relativ gut verträglich, zeichnen sich aber durch spezifische, immunvermittelte Toxizitäten aus. Diese entwickeln sich oft erst innerhalb von einigen Wochen und umfassen beispielsweise Diarrhoe, Hautveränderungen und Juckreiz, Hypothyreosen bis hin zu seltenen, schweren Autoimmunreaktionen wie Pneumonitis, Kolitis, Hypophysitis und Nephritis.

Therapeutische Auswahlkriterien

In den vergangenen zehn Jahren gab es wesentliche Fortschritte in der Behandlung des metastasierten NSCLC. War lange Zeit die zytotoxische Chemotherapie die einzige Behandlungsoption für alle Patienten [1], so wird heute eine sehr differenzierte Therapiestrategie angeboten. In die Auswahl der optimalen medikamentösen Therapie fließen die Tumorhistologie, genomische Biomarker und aktuell auch die Expression von PD-L1 mit ein.

Auf diese Weise wird die Gesamtheit der Patienten mit NSCLC in mehrere durch die jeweiligen therapierelevanten Biomarker charakterisierte Untergruppen aufgeteilt. Durch zielgerichtete Behandlungen können für einige dieser Subgruppen gegenüber der konventionellen Chemotherapie deutlich überlegene Ansprechraten, Zeiten der Krankheitskontrolle und teilweise auch Überlebenszeiten erreicht werden.

Aber auch die gezielte Auswahl von Chemotherapeutika sowie die Ergänzung von in biologische Prozesse wie die Angiogenese eingreifenden Medikamenten hat für Patienten mit NSCLC ohne charakteristische Biomarkerexpression verbesserte Behandlungsergebnisse und eine verbesserte Lebensqualität erreicht [2, 3]. Diese zunehmende Komplexität stellt hohe Anforderungen an das onkologische Team, aber auch den mitbetreuenden Hausarzt, denen über eine enge Kommunikation am besten begegnet werden kann. Dies ist auch deswegen von besonderer Bedeutung, da die allermeisten Patienten mit metastasiertem NSCLC heute ambulant behandelt werden können.

Biomarker-gesteuerte Erstbehandlung

Aufgrund der Tatsache, dass mehrere auf Basis eines spezifischen Biomarkernachweises eingesetzte, zielgerichtete Medikamente deutliche Vorteile gegenüber der ungezielt eingesetzten, konventionellen Chemotherapie gezeigt haben, ist heute für alle Patienten mit metastasiertem NSCLC die Untersuchung zumindest eines minimalen Biomarker-Panels vor der Therapieentscheidung zu fordern [1]. Bei Patienten mit "nicht-plattenepithelialen" Tumoren (überwiegend Adenokarzinome) sowie bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen, die nie oder nur sehr wenig geraucht haben, müssen eine Sequenzierung von Genabschnitten des Epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor-Gens (EGFR) sowie Untersuchungen zum Nachweis von Genumlagerungen des ALK-Gens und des ROS1-Gens erfolgen.

Bei etwa 12 % aller Patienten mit Adenokarzinomen und bei einem noch höheren Anteil der weiblichen Patienten und Nie-Rauchern finden sich aktivierende Mutationen des EGFR im Tumorgewebe. Diese Patienten sollten als Erstbehandlung einen der zielgerichteten oralen Hemmstoffe des EGFR – Afatinib, Erlotinib oder Gefitinib – erhalten [4, 5, 6]. Genumlagerungen von ALK finden sich in 3 bis 5 % der Adenokarzinome und in weiteren 2 % Genumlagerungen von ROS1. Diese Patienten profitieren deutlich von einer Erstbehandlung mit dem Multikinaseinhibitor Crizotinib oder Alectinib (Alectinib ist nur bei Vorliegen einer Genumlagerung von ALK und nicht von ROS1 zur Erstlinientherapie zugelassen). Bei ca. 1 – 2 % aller Patienten mit einem NSCLC liegt eine BRAF-V600-Mutation vor. Diese Patienten profitieren von einer Erstlinientherapiekombination bestehend aus dem BRAF-Inhibitor Dabrafenib und dem MEK-Inhibitor Trametinib. Alle diese Medikamente sind in Deutschland zugelassen und werden erstattet, so dass etwa 15 bis 20 % der Patienten eine zielgerichtete und der konventionellen Chemotherapie deutlich überlegene Behandlung angeboten werden kann.

Die aktuelle Forschung konnte weitere, seltene Subgruppen von Lungenkarzinomen (z. B. Mutationen von HER2, RET, MET, NTRK) identifizieren, die ebenfalls von zielgerichteten Hemmstoffen profitieren. Wegen deren Seltenheit liegen hier jedoch noch keine ausreichenden Studiendaten vor, die eine zielgerichtete Erstbehandlung anstelle der Chemotherapie rechtfertigen.

Erstbehandlung mit Immuncheckpoint-Inhibitoren

Eine aktuelle Studie, die unbehandelte Patienten mit metastasiertem NSCLC einschloss, in deren Tumoren auf mindestens 50 % der Zellen immunhistochemisch eine Expression des Liganden PD-L1 nachweisbar war (etwa 20 bis 30 % aller NSCLC), zeigte eine deutliche Überlegenheit der Behandlung mit dem anti-PD-1-Antikörper Pembrolizumab gegenüber einer Standardchemotherapie [7]. Pembrolizumab erzielte bei deutlich mehr Patienten eine Rückbildung von Tumorherden, eine deutlich verlängerte Zeit bis zum erneuten Tumorwachstum und eine verlängerte Überlebenszeit als die Chemotherapie.

Auf Basis dieser Daten erfolgte in den USA und der Europäischen Union die Zulassung von Pembrolizumab als Erstbehandlung von Patienten mit NSCLC, sofern in mindestens 50 % der Tumorzellen eine PD-L1-Expression nachweisbar ist. Damit steigert sich der Anteil der Patienten mit metastasiertem NSCLC, denen auf Basis von Biomarkeruntersuchungen eine spezifische, zielgerichtete Behandlung angeboten werden kann, auf mehr als 40 %.

Immuncheckpoint-Inhibitoren bei Patienten mit vorbehandeltem NSCLC

Aufgrund zweier randomisierter Studien [8, 9], die bei Patienten mit vorbehandeltem, metastasiertem NSCLC (Plattenepithelkarzinome und "nicht-plattenepitheliale" Lungenkarzinome) den anti-PD-1-Antikörper Nivolumab mit dem Chemotherapeutikum Docetaxel verglichen, erfolgte die Zulassung von Nivolumab für diese große Patientengruppe. Nivolumab zeigte sich deutlich verträglicher und in Bezug auf das Überleben der Patienten wirksamer als die Chemotherapie. Bei einem kleineren Anteil der Patienten wurde in diesen Studien eine mehrjährige Krankheitskontrolle beobachtet – eine nachhaltige Wirkung, die bislang durch keine andere medikamentöse Therapie metastasierter NSCLC erreicht werden konnte. Ob diese Patienten dauerhaft von dieser Behandlung profitieren, kann aufgrund noch relativ kurzer Nachbeobachtungszeiten nicht beurteilt werden.

In weiteren Studien konnten der anti-PD-1-Antikörper Pembrolizumab [10] und der anti-PD-L1-Antikörper Atezolizumab [11] eine vergleichbare Überlegenheit gegenüber der Chemotherapie mit Docetaxel demonstrieren. In Deutschland ist Pembrolizumab daher zur Behandlung von Patienten mit vortherapiertem, metastasiertem NSCLC zugelassen, wenn auf mindestens 1 % der Tumorzellen immunhistochemisch eine PD-L1-Expression nachgewiesen wurde. Atezolizumab ist in Deutschland zur Behandlung des vortherapierten, metastasierten NSCLC unabhängig von der PD-L1-Expression zugelassen.

Derzeit werden in einer Vielzahl von Studien weitere immunmodulatorische Antikörper, Antikörperkombinationen und Kombinationen von Immuncheckpoint-Inhibitoren mit Chemotherapien oder zielgerichteten Substanzen geprüft. Allein schon vor dem Hintergrund der aktuell vorliegenden Studienergebnisse sowie der Zulassungs- und Erstattungssituation in Deutschland ist davon auszugehen, dass nahezu jeder therapiefähige Patient mit einem metastasierten NSCLC mit einem dieser Immuncheckpoint-Inhibitoren behandelt werden wird.

Wirkmechanismen

Anti-CTLA-4 (Ipilimumab, Tremelimumab)

CTLA-4 (CD152) ist ein Rezeptor, der von aktivierten T-Lymphozyten exprimiert wird. Die Interaktion mit den Liganden CD80 bzw. CD86, die von Antigen-präsentierenden Zellen exprimiert werden, führt zu einem inhibitorischen Signal. Therapeutische Antikörper gegen CTLA-4 unterbinden dieses negative Signal und sollen somit das "Priming" bzw. die Aktivierung von antigenspezifischen T-Lymphozyten insbesondere in den Lymphknoten fördern.

Anti-PD-1/anti-PD-L1 (Nivolumab, Pembrolizumab, Atezolizumab)

PD-1 (CD279) wird von T-Lymphozyten und von Vorläufer-B-Lymphozyten exprimiert. Tumorzellen und tumorinfiltrierende Immunzellen können PD-L1 exprimieren und dadurch eine antitumorale Immunreaktion unterdrücken. Antikörper gegen PD-1 oder PD-L1 unterbinden diese Immunhemmung.

Weitere Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI)

Derzeit befindet sich eine Vielzahl therapeutischer Antikörper gegen weitere immunregulatorische Rezeptor-Liganden-Systeme (z. B. LAG-3, TIM-3, OX40) in meist früher klinischer Entwicklung. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sie die bereits in breitem klinischen Einsatz befindlichen Antikörper gegen CTLA-4, PD-1 und PD-L1 ergänzen werden.

Toxizitäten

Aufgrund des oben beschriebenen, Antigen-unspezifischen Wirkmechanismus können ICI grundsätzlich alle Immunreaktionen modulieren, die durch die betreffenden Zielmoleküle reguliert werden. Neben der gewünschten Aktivierung bzw. Reaktivierung von antitumoraler Immunität können somit auch Autoimmunreaktionen verstärkt oder induziert werden. Entsprechend werden unter ICI insbesondere immunologische Toxizitäten beobachtet, die entweder nach Unterbrechung der Behandlung selbstlimitierend verlaufen oder einer therapeutischen Immunsuppression bedürfen.

Meist ist hier Prednison ausreichend, in besonders ausgeprägten Fällen (insbesondere mit anti-CTLA-4-AK beobachtet) kann die Gabe von Immunmodulatoren wie anti-TNF-Antikörpern (z. B. Infliximab) oder TNF-Rezeptor-Fusionsproteinen (z. B. Etanercept) erforderlich werden. Häufige klinische relevante Toxizitäten umfassen Erytheme, Pruritus, Diarrhoe, Kolitis, Nephritis, Pneumonitis, Hepatitis, Hypophysitis, Hypo- und Hyperthyreose.

Kasuistik

Nebenwirkungen der ImmuntherapieHerr Z. ist ein 54-jähriger Patient mit ossär und adrenal metastasiertem NSCLC. Er stellt sich bei seiner betreuenden Fachärztin für Allgemeinmedizin aufgrund von Fatigue und Dyspnoe vor. Seit vier Wochen wird er mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor (z. B. Nivolumab, Pembrolizumab oder Atezolizumab) behandelt. Seinen Onkologen hat Herr Z. aus Angst vor einer Therapieunterbrechung noch nicht über seine Beschwerden informiert.

Herr Z. verneint Fieber, produktiven Husten und pektanginöse Beschwerden.

Laborchemisch besteht keine Leukozytose, keine Anämie, jedoch eine neu aufgetretene Hypothyreose mit deutlich erhöhtem basalen TSH. Die Pulsoxymetrie zeigt eine Sättigung von 92 % unter Raumluft.

Eine Substitution mit L-Thyroxin in einer Dosierung von 75 µg/Tag wird eingeleitet. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Zunahme der Dyspnoe und Abfall der Sättigung, sodass nach Rücksprache mit dem behandelnden Onkologen eine Vorstellung in der onkologischen Klinik erfolgt.

Im Thoraxröntgen finden sich Infiltrate, die differenzialdiagnostisch einer Infektion oder einer immunvermittelten Pneumonitis zugeordnet werden können. Die weitere Abklärung bestätigte die Entwicklung zweier typischer Nebenwirkungen der Immuncheckpoint-Inhibitoren, einer Autoimmunhypothyreose und einer Pneumonitis. Nach Unterbrechung der Antikörpertherapie bildet sich die Pneumonitis ohne weitere immunsuppressive Behandlung rasch zurück. Die Hypothyreose ist nicht reversibel und bleibt substitutionspflichtig. Nach vollständiger Rückbildung der Pneumonitis wird die anti-PD-1-Antikörperbehandlung wieder aufgenommen und kann ohne weitere Toxizitäten fortgeführt werden.Immuncheckpoint-Inhibitoren sind gut wirksam und relativ gut verträglich, zeichnen sich aber durch spezifische, immunvermittelte Toxizitäten aus.Bei allen Patienten mit nicht metastasierten, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) sollte der Biomarker-Status erhoben werden.


Literatur
1. National Comprehensive Cancer Network: National Comprehensive Cancer Network Guidelines in Oncology. Non-Small Cell Lung Cancer Version 4.2016 www.nccn.org/professionals/physician_gls/f_guidelines.asp
2. Sandler A, Gray R, Perry MC, et al (2006) Paclitaxel-carboplatin alone or with bevacizumab for non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 355:2542-2550
3. Reck M, Kaiser R, Mellemgaard (2014) A et al. Docetaxel plus nintedanib versus docetaxel plus placebo in patients with previously treated non-small-cell lung cancer (LUME-Lung 1): a phase 3, double-blind, randomised controlled trial. The Lancet Oncol 15: 143-155
4. Xiaofeng C, Quan Z, Lingjun Z et al. (2013) Clinical perspective of afatinib in non-small- cell lung cancer. Lung Cancer 81: 155-161
5. Yang J C H, Wu Y-L, Schuler M et al. Afatinib versus cisplatin-based chemotherapy for EGFR mutation-positive lung adenocarcinoma (LUX-Lung 3 and LUX-Lung 6): analysis of overall survival data from two randomised, phase 3 trials. The Lancet Oncol 2015; 16: 141-151
6. Seto T, Kato T, Nishio M et al. (2014) Erlotinib alone or with bevacizumab as first-line therapy in patients with advanced non-squamous non-small-cell lung cancer harboring EGFR mutations (JO25567): an open-label, randomised, multicentre, phase 2 study. The Lancet Oncol 11: 1236-1244
7. Reck M, Rodríguez-Abreu D et al. (2016) Pembrolizumab versus Chemotherapy for PD-L1–Positive Non–Small-Cell Lung Cancer The New England J Med 375: 1823-1833
8. Brahmer J, Reckamp K L, Baas P et al. (2015) Nivolumab versus Docetaxel in Advanced Squamous-Cell Non–Small-Cell Lung Cancer. The New England J Med 373:123-135
9. Borghaei H, Luis P-A, Horn L et al. (2015) Nivolumab versus Docetaxel in Advanced Nonsquamous Non–Small-Cell Lung Cancer. The New England J Med 373:1627-1639
10. Herbst R S, Baas P et al. (2016) Pembrolizumab versus docetaxel for previously treated, PD-L1-positive, advanced non-small-cell lung cancer (KEYNOTE-010): a randomised controlled trial. The Lancet 387: 1540-1550
11. Rittmeyer A, Barlesi F, Waterkamp D et al. (2016) Atezolizumab versus docetaxel in patients with previously treated non-small-cell lung cancer (OAK): a phase 3, open-label, multicentre randomised controlled trial. The Lancet published online: http://dx.doi.org/10.1016/S0140- 6736(16)32517-X



Autor:

Dr. med. Martin Metzenmacher

Prof. Dr. med. Martin Schuler
Westdeutsches Tumorzentrum
Universitätsklinikum Essen
45147 Essen

Interessenkonflikte: Prof. Schuler erhält Unterstützungen für Berater- und Vortragstätigkeiten sowie wissenschaftliche Projekte u. a. von Bristol-Myers Squibb, Roche, Astra Zeneca, Boehringer Ingelheim, Novartis, Lilly, Alexion, Celgene, MSD



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (3) Seite 42-45