Etwa zwei Drittel aller Menschen über 18 Jahre geben auf Nachfrage an, schon einmal unter Rückenschmerzen gelitten zu haben. Nimmt man die Bereiche Arthrosen, Tendinopathien und Muskelverhärtungen/-verletzungen dazu und berücksichtigt, dass von jeher die Hausärzte für dieses enorm große Beschwerdegebiet die erste Anlaufstelle sind, ergibt sich für die Behandlung muskuloskelettaler Erkrankungen bzw. Beschwerden am Bewegungsapparat in der Hausarztpraxis ein signifikanter Stellenwert. Wo hier die extrakorporale Stoßwellentherapie nutzbringend eingesetzt werden kann, wird nachfolgend beschrieben.

Fall 1 – Schweres Lymphödem im gesamten rechten Bein bei einem 54-jährigen Patienten mit Osteochondrosarkom im Bereich des rechten Knies und im rechten Unterbauch
Anamnese: Es handelt sich um ein sehr schweres Lymphödem des gesamten rechten Beines, das sich als Folge eines Osteochondrosarkoms des rechten Knies und im rechten Unterbauch und der notwendigen therapeutischen Bestrahlung eingestellt hatte. Die Diagnose besteht seit 2010. Der Patient hatte eine Vielzahl von Bestrahlungen erhalten, was zu einer massiven Induration der Haut und des Weichteilgewebes der bestrahlten Gebiete geführt hatte. Er wurde jahrelang von Spezialisten einer onkologischen Klinik betreut und dort auch bestrahlt. Das massive Lymphödem am betroffenen rechten Bein hatte sich im Laufe der Bestrahlungen eingestellt. Die von den Onkologen vorgeschlagene Oberschenkelamputation zur Behandlung des Osteochondrosarkoms am Knie hatte der Patient abgelehnt, da die behandelnden Ärzte keine Lösung für den Tumor im Bauchraum vorschlagen konnten. Aufgrund der eingewachsenen Gefäße galt dieser von Beginn an als inoperabel.

Erstuntersuchung im September 2017: Der Patient stellte sich auf Empfehlung eines gemeinsamen Freundes beim Erstautor vor. Zu diesem Zeitpunkt war er kaum gehfähig; mittlere Strecken – im Sinne eines Spaziergangs – waren unmöglich und auch Alltagsdinge wie Hosen oder Schuhe anziehen waren nur mit Hilfe möglich. Der Umfang sowohl in der Mitte des Oberschenkels als auch im Bereich des Tumors (3 cm proximal der Kniescheibe) betrug zu diesem Zeitpunkt 74 cm und der Umfang in der Mitte des Unterschenkels 56 cm (Abb. 1A). Die Beugung im Kniegelenk war aufgrund der Schwellung bzw. des Tumorgewebes auf weniger als 20° reduziert. Der Umfang am Mittelfuß betrug 31 cm; die aktive Beugung im Sprunggelenk war nahezu vollständig aufgehoben. Aufgrund der Gewebsspannung und der Reibung der Verbände hatte sich zusätzlich ein oberflächliches Ulkus von ca. 8 x 2 cm in der medialen Kniekehle gebildet (Abb. 1B). Zu diesem Zeitpunkt bestand die Therapie in Lymphdrainage (4 x wöchentlich über je 90 min) und täglichen elastischen Wickelungen (Abb. 1A).

Therapie und Verlauf: Nach ausführlicher Aufklärung und Einwilligung durch den Patienten begannen wir mit vorsichtiger rESWT (max. 1,5 bar Arbeitsdruck; Abstand zwischen den rESWT-Sitzungen 7 Tage) im indurierten Gebiet und an der Achillessehne, wobei die rESWT in Lymphdrainage-Technik streng von distal nach proximal durchgeführt wurde. Schon bei der dritten rESWT-Sitzung fand sich eine deutliche Entspannung im Gewebe und eine Schmerzlinderung, und der Arbeitsdruck konnte auf 2,2 bar gesteigert werden. Zu diesem Zeitpunkt war die Achillessehne zum ersten Mal seit mehreren Jahren beschwerdefrei. Nach der fünften rESWT-Sitzung berichtete der behandelnde Physiotherapeut, dass er bei der manuellen Lymphdrainage viel besser arbeiten könne als zuvor. Der Patient hatte zum ersten Mal seit Jahren 6 Stunden am Stück geschlafen; vorher waren es nie mehr als 2 Stunden. Im anschließenden Verlauf wurden die Abstände zwischen den Behandlungen immer weiter ausgedehnt; dennoch zeigte sich eine kontinuierliche Befundbesserung (Abb. 1C–E). Heute liegt der Umfang des Oberschenkels des Patienten 3 cm proximal der Patella bei 45 cm (also knapp 30 cm weniger als zu Beginn der rESWT). Der Patient ist sehr gut mobil, kann sich vollständig alleine anziehen und hat auch nach langem Stehen oder Sitzen nur leichtere Schwellungen, die er erstaunlicherweise jetzt aber wieder selbst durch regelmäßiges Spazierengehen oder Hochlagerung behandeln kann. Bis heute wird die Behandlung zum Erhalten des erzielten Ergebnisses mit einer rESWT-Sitzung alle 8–10 Wochen weitergeführt.

Besonders wichtig bei diesem Fall ist die Tatsache, dass beim Screening ein Jahr nach Beginn der Behandlung mit rESWT keine Metastasierung aufgetreten war und der Haupttumor im Knie um über 1 cm im Durchmesser abgenommen hatte. Negative Auswirkungen auf das Osteosarkom wurden also nicht beobachtet. In unserem Fall hat der Patient von der rESWT stattdessen massiv profitiert.

Abb. 1: Behandlung eines schweren Lymphödems im gesamten rechten Bein bei einem 54-jährigen Patienten mit Osteochondrosarkom im Bereich des rechten Knies und im rechten Unterbauch mit rESWT. (A) Zustand vor Beginn der Behandlung. (B) Oberflächliches Ulkus (Pfeil) im Bereich der medialen Kniekehle rechts als Folge der Reibung der Verbände. (C) Zustand 7 Monate nach Beginn der Behandlung. Man beachte die fast vollständig zurückgebildete Schwellung im Bereich der Achillessehne rechts (weißer Pfeil) sowie die Ausheilung des Ulkus im Bereich der medialen Kniekehle rechts (gelber Pfeil). (D, E) Zustand ca. 1 Jahr nach Beginn der Behandlung. Man beachte den deutlichen Rückgang der Schwellung im Vergleich zu (A–C) und die Möglichkeit, das Knie wieder bis über 90° zu beugen.

Fall 2 – Schwerste Polyarthritis der Hände bei einer 59-jährigen Patientin
Anamnese: Es handelt sich um eine schwerste Polyarthritis beider Hände, die im Alter von 29 Jahren begann (Abb. 2). Seit ca. 10 Jahren konnte die Patientin die Finger nicht mehr ganz strecken und ihren Ehering aufgrund der massiven Schwellung aller Finger nicht mehr tragen. Sie berichtete über tägliche, teils sehr starke Schmerzen. Vor Beginn der rESWT musste die Patientin jeden Morgen die Finger und Hände ca. 10 Minuten unter teils starken Schmerzen bewegen, um überhaupt in den Tag starten zu können.

Erstuntersuchung im Juni 2017: Die Patientin wurde dem Erstautor von ihren Familienangehörigen, die auch bei ihm in Behandlung sind, wegen der stark schmerzenden Hände vorgestellt. Es zeigte sich das typische Bild einer schwer ausgeprägten Polyarthritis beider Hände mit druck- und bewegungsschmerzhaften, teilweise stark geschwollenen Fingergelenken (DIP, PIP und GG, auch Daumen-GG und DSG) sowie beginnender Deformierung/Kontraktur unterschiedlicher Fingergelenke. Die Patientin nahm zu diesem Zeitpunkt regelmäßig Ibuprofen oder Diclofenac mehrfach am Tag sowie Novaminsulfon-Tropfen 3–4 x 40 Tr. tgl. Tramal® 100 wurde bei Bedarf (teilweise 2 x tgl. über mehrere Tage) zusätzlich eingenommen. Leider hatten diese medikamentösen Schmerztherapien nie den gewünschten Effekt. Zum Zeitpunkt der Vorstellung überlegte die Patientin, ihre große Wäscherei mit mehreren Angestellten wegen der Beschwerden aufzugeben.

Therapie und Verlauf: Nach ausführlicher Aufklärung und Einwilligung durch die Patientin begannen wir mit vorsichtiger rESWT (Arbeitsdruck 0,5 bar; Abstand zwischen den Behandlungen 4–5 Tage). Nach vier Behandlungen war die Patientin im Alltag beschwerdefrei, konnte die Finger (bis auf DIP II der linken Hand) komplett strecken und trug zum ersten Mal nach 10 Jahren wieder ihren Ehering. Der Arbeitsdruck konnte auf 1,3 bar gesteigert werden. Es folgten zwei weitere rESWT-Sitzungen im August 2017; ab September 2017 wurde die Behandlung als Erhaltungstherapie weitergeführt (zunächst eine rESWT-Sitzung pro Monat; seit Dezember 2017 beträgt die Zeitspanne zwischen zwei rESWT-Sitzungen ca. 8–10 Wochen). Die Patientin ist bis heute durch diese Behandlung glücklich, braucht keine Schmerzmedikamente mehr, kann ihre harte, aber geliebte Arbeit weiter fortführen, musste niemanden entlassen und hat ihre Lebensqualität zurück.

Abb. 2: Behandlung einer schwersten Polyarthritis der Hände bei einer 59-jährigen Patientin mit rESWT. (A, B) Applikation von radialen extrakorporalen Stoßwellen durch den Erstautor direkt auf die betroffenen Gelenke. (C) Zustand nach vier rESWT-Sitzungen. Bis auf DIP II der linken Hand (Pfeil) konnte die Patientin zu diesem Zeitpunkt alle Finger wieder komplett strecken.

In der Hausarztpraxis wird zunächst basierend auf umfassender Anamnese, einer gezielten klinischen Untersuchung, Laboruntersuchungen und ggf. Ultraschalluntersuchungen eine Eingrenzung der möglichen Ursachen vorgenommen, um eine erste richtungsweisende Verdachtsdiagnose zu stellen. Danach sind den Hausärzten aber oftmals die Hände gebunden, und die Patienten werden unter Angabe der gestellten Verdachtsdiagnose und einer Empfehlung an einen Spezialisten überwiesen.

Patientenorientiert vorgehen

Diese Vorgehensweise ist aber oftmals nicht zufriedenstellend, da das, was anschließend im deutschen Gesundheitssystem häufig passiert, leider nicht immer wirklich patientenorientiert ist – und insbesondere nicht das ist, was sich die Hausärzte für ihre Patienten wünschen. Wir kennen alle Berichte, nach denen Patienten mit entsprechender Verdachtsdiagnose teils mehrfach geröntgt wurden und ihnen innerhalb weniger Minuten als erste (und oftmals leider auch einzige) Maßnahme eines der bekannten NSAR verschrieben wurde. Sollten die Beschwerden bestehen bleiben, darf sich der Patient wieder vorstellen. Diese zweite Vorstellung beinhaltet meist ein weiteres Röntgenbild, ein erneutes Rezept für NSAR und evtl. ein Physiotherapie-Rezept. Die dritte Vorstellung ermöglicht dann nach vielen Wochen eventuell ein MRT, wieder NSAR und noch mehr Physiotherapie. Eventuell kommen noch Kortison- oder Lokalanästhetika-Spritzen in alle möglichen Bereiche des Körpers hinzu, die aber in den meisten Fällen – außer bei der bekannten rein intraartikulären Kortisonspritze – nicht wirklich zielführend sind. Durch diese Vorgehensweise enttäuschte Patienten mit muskuloskelettalen Erkrankungen dürften in jeder Hausarztpraxis bekannt sein.

Wo die extrakorporale Stoßwellentherapie eingesetzt werden kann

Die radiale extrakorporale Stoßwellentherapie (rESWT) bietet sich hier als sinnvolle Alternative an. Es handelt sich um eine rein konservative Behandlungsmethode, mit der man Patienten mit muskuloskelettalen Erkrankungen in vielen Fällen sehr schnell Linderung verschaffen und oftmals sogar Heilung ermöglichen kann. Tatsächlich hat sich die rESWT in den letzten Jahren in der wissenschaftlichen Literatur zu einer Speerspitze der evidenzbasierten konservativen Therapie bei muskuloskelettalen Erkrankungen entwickelt (siehe z. B. Schmitz et al., 2015; Literatur bei den Verfassern). Die Liste der Indikationen reicht weit über die bekannten Klassiker Tendinopathien, Achillodynie, Fersensporn, Tennisarm und Kalkschulter hinaus. Die rESWT wird heute u. a. in der Hausarztpraxis des Erstautors erfolgreich zur Wundheilung, zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen in allen Segmenten, bei Spannungskopfschmerzen, Arthrosen der großen und kleinen Gelenke, vielen Arten von Sehnen-, Band- und Muskelverletzungen, chronischen Muskelspannungsstörungen wie dem Tractussyndrom, Knochenmarködemen, teils massiven Lymphödemen und weiteren Indikationen eingesetzt.

Schmerzlinderung und Heilung

Die beiden Hauptziele der rESWT sind Schmerzlinderung und Heilung. Die Wirkung im Gewebe lässt sich am besten durch die folgenden Stichworte beschreiben: Schmerzlinderung, Entzündungshemmung, Muskelentspannung, Durchblutungssteigerung im behandelten Gewebe und Aktivierung regenerativer Vorgänge im Gewebe (durch Sekretion von Wachstumsfaktoren, Änderung der Genexpression und Aktivierung regenerativ agierender Zellen wie z. B. der Osteoblasten).

Der große Erfolg der rESWT liegt in der deutlichen Zunahme der Lebensqualität bei einem sehr hohen Prozentsatz der behandelten Patienten. Die beiden Fallbeschreibungen aus der Praxis des Erstautors geben ein Beispiel, wie unter Vorlage chronischer und nicht heilbarer Erkrankungen eine eindrucksvolle Zunahme der Lebensqualität nachweisbar war und ist. Beide Patienten haben der Veröffentlichung ihrer Fälle ausdrücklich zugestimmt. In beiden Fällen haben wir das gewählte Behandlungsschema gemeinsam entwickelt, wobei der Erstautor seine breite, mehr als 10-jährige Erfahrung als Hausarzt eingebracht hat und der Letztautor seine mehr als 20-jährige Erfahrung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit extrakorporaler Stoßwellentherapie. Alle geschilderten Behandlungen erfolgten mit dem Swiss DolorClast (Electro Medical Systems, Nyon, Schweiz), dem Evo-Blue-Handstück und dem 36-mm-Applikator dieses rESWT-Gerätes.

Patienten müssen Kosten selbst tragen

Die geschilderten Beispiele sind nur zwei von vielen, die exemplarisch zeigen, welchen Stellenwert die rESWT in der Hausarztpraxis des Erstautors mittlerweile einnimmt (ca. 50–70 Behandlungen pro Woche). Der Tatsache, dass es sich bei diesen Behandlungen ausnahmslos um IGeL-Leistungen handelt, begegnen die Patienten häufig mit Erstaunen – ist es doch gerade diejenige Behandlungsform, die ihnen oftmals am meisten hilft, deren Kosten von ihren gesetzlichen Krankenkassen jedoch nicht übernommen werden. Andererseits sind die Patienten in der Praxis des Erstautors gerne bereit, diese Kosten selber zu übernehmen, da sie in keinem Verhältnis zur gewonnenen Lebensqualität stehen. Leider stellt sich im deutschen Gesundheitssystem zu häufig der Eindruck ein, dass dieser Aspekt (Kosten im Vergleich zur gewonnenen Lebensqualität) trotz aller Beteuerungen von offizieller Seite nach wie vor eher eine untergeordnete Rolle spielt. Dies ist einerseits sehr schade, andererseits – wie im Fall der Praxis des Erstautors – aber auch eine große Chance gerade für die Hausarztpraxis.



Autor:

© Stiller/Schmitz
Peter Stiller

Allgemeinmedizin Lechhausen, Stiller/Eser/Ilea
86167 Augsburg

Interessenkonflikte: Peter Stiller erklärt keinen Interessenkonflikt. Prof. Schmitz, Inhaber des Lehrstuhls für Anatomie II der LMU München, war bis Ende 2017 nebenberuflicher Berater der Firma Electro Medical Systems (Nyon, Schweiz). Seit Anfang 2018 wird seine Forschung zur rESWT an der LMU München von der Firma Electro Medical Systems durch frei zur Verfügung gestellte Mittel unterstützt. Electro Medical Systems hatte keinen Einfluss auf Inhalt und Gestaltung des hier vorliegenden Artikels, die Erhebung, Analyse und Interpretation der vorgelegten Daten sowie die Entscheidung, diesen Artikel zu veröffentlichen.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (14) Seite 38-41