Etwa zwei Drittel aller Menschen über 18 Jahre geben auf Nachfrage an, schon einmal unter Rückenschmerzen gelitten zu haben. Nimmt man die Bereiche Arthrosen, Tendinopathien und Muskelverhärtungen/-verletzungen dazu und berücksichtigt, dass von jeher die Hausärzte für dieses enorm große Beschwerdegebiet die erste Anlaufstelle sind, ergibt sich für die Behandlung muskuloskelettaler Erkrankungen bzw. Beschwerden am Bewegungsapparat in der Hausarztpraxis ein signifikanter Stellenwert. Wo hier die extrakorporale Stoßwellentherapie nutzbringend eingesetzt werden kann, wird nachfolgend beschrieben.
Abb. 1: Behandlung eines schweren Lymphödems im gesamten rechten Bein bei einem 54-jährigen Patienten mit Osteochondrosarkom im Bereich des rechten Knies und im rechten Unterbauch mit rESWT. (A) Zustand vor Beginn der Behandlung. (B) Oberflächliches Ulkus (Pfeil) im Bereich der medialen Kniekehle rechts als Folge der Reibung der Verbände. (C) Zustand 7 Monate nach Beginn der Behandlung. Man beachte die fast vollständig zurückgebildete Schwellung im Bereich der Achillessehne rechts (weißer Pfeil) sowie die Ausheilung des Ulkus im Bereich der medialen Kniekehle rechts (gelber Pfeil). (D, E) Zustand ca. 1 Jahr nach Beginn der Behandlung. Man beachte den deutlichen Rückgang der Schwellung im Vergleich zu (A–C) und die Möglichkeit, das Knie wieder bis über 90° zu beugen.
Abb. 2: Behandlung einer schwersten Polyarthritis der Hände bei einer 59-jährigen Patientin mit rESWT. (A, B) Applikation von radialen extrakorporalen Stoßwellen durch den Erstautor direkt auf die betroffenen Gelenke. (C) Zustand nach vier rESWT-Sitzungen. Bis auf DIP II der linken Hand (Pfeil) konnte die Patientin zu diesem Zeitpunkt alle Finger wieder komplett strecken.
In der Hausarztpraxis wird zunächst basierend auf umfassender Anamnese, einer gezielten klinischen Untersuchung, Laboruntersuchungen und ggf. Ultraschalluntersuchungen eine Eingrenzung der möglichen Ursachen vorgenommen, um eine erste richtungsweisende Verdachtsdiagnose zu stellen. Danach sind den Hausärzten aber oftmals die Hände gebunden, und die Patienten werden unter Angabe der gestellten Verdachtsdiagnose und einer Empfehlung an einen Spezialisten überwiesen.
Patientenorientiert vorgehen
Diese Vorgehensweise ist aber oftmals nicht zufriedenstellend, da das, was anschließend im deutschen Gesundheitssystem häufig passiert, leider nicht immer wirklich patientenorientiert ist – und insbesondere nicht das ist, was sich die Hausärzte für ihre Patienten wünschen. Wir kennen alle Berichte, nach denen Patienten mit entsprechender Verdachtsdiagnose teils mehrfach geröntgt wurden und ihnen innerhalb weniger Minuten als erste (und oftmals leider auch einzige) Maßnahme eines der bekannten NSAR verschrieben wurde. Sollten die Beschwerden bestehen bleiben, darf sich der Patient wieder vorstellen. Diese zweite Vorstellung beinhaltet meist ein weiteres Röntgenbild, ein erneutes Rezept für NSAR und evtl. ein Physiotherapie-Rezept. Die dritte Vorstellung ermöglicht dann nach vielen Wochen eventuell ein MRT, wieder NSAR und noch mehr Physiotherapie. Eventuell kommen noch Kortison- oder Lokalanästhetika-Spritzen in alle möglichen Bereiche des Körpers hinzu, die aber in den meisten Fällen – außer bei der bekannten rein intraartikulären Kortisonspritze – nicht wirklich zielführend sind. Durch diese Vorgehensweise enttäuschte Patienten mit muskuloskelettalen Erkrankungen dürften in jeder Hausarztpraxis bekannt sein.
Wo die extrakorporale Stoßwellentherapie eingesetzt werden kann
Die radiale extrakorporale Stoßwellentherapie (rESWT) bietet sich hier als sinnvolle Alternative an. Es handelt sich um eine rein konservative Behandlungsmethode, mit der man Patienten mit muskuloskelettalen Erkrankungen in vielen Fällen sehr schnell Linderung verschaffen und oftmals sogar Heilung ermöglichen kann. Tatsächlich hat sich die rESWT in den letzten Jahren in der wissenschaftlichen Literatur zu einer Speerspitze der evidenzbasierten konservativen Therapie bei muskuloskelettalen Erkrankungen entwickelt (siehe z. B. Schmitz et al., 2015; Literatur bei den Verfassern). Die Liste der Indikationen reicht weit über die bekannten Klassiker Tendinopathien, Achillodynie, Fersensporn, Tennisarm und Kalkschulter hinaus. Die rESWT wird heute u. a. in der Hausarztpraxis des Erstautors erfolgreich zur Wundheilung, zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen in allen Segmenten, bei Spannungskopfschmerzen, Arthrosen der großen und kleinen Gelenke, vielen Arten von Sehnen-, Band- und Muskelverletzungen, chronischen Muskelspannungsstörungen wie dem Tractussyndrom, Knochenmarködemen, teils massiven Lymphödemen und weiteren Indikationen eingesetzt.
Schmerzlinderung und Heilung
Die beiden Hauptziele der rESWT sind Schmerzlinderung und Heilung. Die Wirkung im Gewebe lässt sich am besten durch die folgenden Stichworte beschreiben: Schmerzlinderung, Entzündungshemmung, Muskelentspannung, Durchblutungssteigerung im behandelten Gewebe und Aktivierung regenerativer Vorgänge im Gewebe (durch Sekretion von Wachstumsfaktoren, Änderung der Genexpression und Aktivierung regenerativ agierender Zellen wie z. B. der Osteoblasten).
Der große Erfolg der rESWT liegt in der deutlichen Zunahme der Lebensqualität bei einem sehr hohen Prozentsatz der behandelten Patienten. Die beiden Fallbeschreibungen aus der Praxis des Erstautors geben ein Beispiel, wie unter Vorlage chronischer und nicht heilbarer Erkrankungen eine eindrucksvolle Zunahme der Lebensqualität nachweisbar war und ist. Beide Patienten haben der Veröffentlichung ihrer Fälle ausdrücklich zugestimmt. In beiden Fällen haben wir das gewählte Behandlungsschema gemeinsam entwickelt, wobei der Erstautor seine breite, mehr als 10-jährige Erfahrung als Hausarzt eingebracht hat und der Letztautor seine mehr als 20-jährige Erfahrung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit extrakorporaler Stoßwellentherapie. Alle geschilderten Behandlungen erfolgten mit dem Swiss DolorClast (Electro Medical Systems, Nyon, Schweiz), dem Evo-Blue-Handstück und dem 36-mm-Applikator dieses rESWT-Gerätes.
Patienten müssen Kosten selbst tragen
Die geschilderten Beispiele sind nur zwei von vielen, die exemplarisch zeigen, welchen Stellenwert die rESWT in der Hausarztpraxis des Erstautors mittlerweile einnimmt (ca. 50–70 Behandlungen pro Woche). Der Tatsache, dass es sich bei diesen Behandlungen ausnahmslos um IGeL-Leistungen handelt, begegnen die Patienten häufig mit Erstaunen – ist es doch gerade diejenige Behandlungsform, die ihnen oftmals am meisten hilft, deren Kosten von ihren gesetzlichen Krankenkassen jedoch nicht übernommen werden. Andererseits sind die Patienten in der Praxis des Erstautors gerne bereit, diese Kosten selber zu übernehmen, da sie in keinem Verhältnis zur gewonnenen Lebensqualität stehen. Leider stellt sich im deutschen Gesundheitssystem zu häufig der Eindruck ein, dass dieser Aspekt (Kosten im Vergleich zur gewonnenen Lebensqualität) trotz aller Beteuerungen von offizieller Seite nach wie vor eher eine untergeordnete Rolle spielt. Dies ist einerseits sehr schade, andererseits – wie im Fall der Praxis des Erstautors – aber auch eine große Chance gerade für die Hausarztpraxis.
Peter Stiller
Interessenkonflikte: Peter Stiller erklärt keinen Interessenkonflikt. Prof. Schmitz, Inhaber des Lehrstuhls für Anatomie II der LMU München, war bis Ende 2017 nebenberuflicher Berater der Firma Electro Medical Systems (Nyon, Schweiz). Seit Anfang 2018 wird seine Forschung zur rESWT an der LMU München von der Firma Electro Medical Systems durch frei zur Verfügung gestellte Mittel unterstützt. Electro Medical Systems hatte keinen Einfluss auf Inhalt und Gestaltung des hier vorliegenden Artikels, die Erhebung, Analyse und Interpretation der vorgelegten Daten sowie die Entscheidung, diesen Artikel zu veröffentlichen.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (14) Seite 38-41