In der alltäglichen Praxis wird der Allgemeinarzt immer wieder mit unklaren Bauchschmerzen bei Kindern jeglicher Altersgruppen konfrontiert. Die hausärztliche Hauptaufgabe besteht darin, die Kinder herauszufiltern, deren abdominelle Beschwerden schwerwiegende oder potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen als Ursache haben (= akutes Abdomen). Bei Säuglingen und Kleinkindern, die sich nicht gezielt äußern können, fällt das akute Abdomen meist durch Schmerzäußerungen und Nahrungsverweigerung auf. Klein- und Schulkinder lokalisieren die Schmerzen häufig im Bereich des Nabels.

Neben den intraabdominellen "kinderchirurgischen" Ursachen von akuten Bauchschmerzen bei Kindern kommen auch extraabdominelle Ursachen wie bronchopulmonale oder Hals-Nasen-Ohren-Infektionen, zerebrale Erkrankungen, aber auch Pathologien im muskuloskelettalen Bereich als Differenzialdiagnosen infrage [1].

Die Anamnese sollte man immer im Beisein der Eltern erheben. Wichtig ist natürlich, nach Vorerkrankungen, bekannten Allergien sowie dem Zeitpunkt der letzten Mahlzeit zu fragen. Die Stuhl- und Urinanamnese (Farbe, Konsistenz, Menge und Zeitpunkt der letzten Defäkation bzw. Miktion) ist ebenso essenziell [1, 2]. Bei Mädchen ab der Pubertät muss zudem die Frage nach dem Beginn der letzten Regelblutung gestellt werden, während bei Jungen auch immer das äußere Genitale zum Ausschluss einer akuten Hodentorsion mituntersucht werden muss [1, 2].

Die Abbildungen 1 – 4 zeigen typische Ursachen für ein akutes Abdomen in Abhängigkeit vom Lebensalter der Kinder. Da die Beschreibung aller Krankheitsbilder den Rahmen dieser Veröffentlichung sprengen würde, soll im Weiteren auf die vier – aus kinderchirurgischer Sicht – häufigsten Krankheitsbilder (Appendizitis, Meckel-Divertikel, Leistenhernie und Hodentorsion), die Bauchschmerzen verursachen können, eingegangen werden.

Appendizitis im Kindesalter

Die Appendizitis stellt eine der häufigsten Ursachen für ein akutes Abdomen im Kindesalter dar. Die Prävalenz liegt heute bei 86 pro 100.000 Kinder weltweit. Die Appendicitis acuta ist für gut ein Drittel aller stationären Aufnahmen von Kindern mit Bauchschmerzen verantwortlich. Der Altersgipfel liegt vor allen Dingen in der 2. Dekade, die Appendicitis acuta kann jedoch auch im Säuglings- und Kleinkindesalter vorkommen. Die Rate der Perforationen wird heute zwischen 20 und 76 % angegeben. Im Rahmen einer eigenen Analyse konnten wir zeigen, dass insbesondere die Rate der Perforationen im Kleinkindes- und Säuglingsalter im Vergleich zu Schulkindern und Jugendlichen deutlich erhöht ist [2 – 5]. Trotz der Tatsache, dass ca. 33 – 50 % der Fälle eine atypische klinische Präsentation zeigen, spielen in der Diagnostik der akuten Appendizitis heute immer noch die klassische Anamnese (periumbilical beginnender Schmerz, welcher im Verlauf in den rechten Unterbauch wandert), die Labordiagnostik sowie die Sonographie die entscheidende Rolle [2 – 5]. Auf eine rektale/digitale Untersuchung, die beim erwachsenen Patienten standardisiert durchgeführt werden sollte, sollte aus unserer Sicht beim Kind verzichtet werden.

Die immer wieder angeführten Appendizitis-Score-Systeme zeigen zwar mit einer maximalen Sensitivität und Spezifität von gut 78 % eine zusätzliche, nützliche diagnostische Aussage, sind aber unserer Meinung nach als alleinige Methode zur Diagnosestellung einer akuten Appendizitis nicht geeignet [6].

Ebenfalls kontrovers wird auch immer die Schmerzmitteltherapie diskutiert. Die pauschale Aussage "Analgetika maskieren die Klinik" kann durch klinische Studien nicht unterstützt werden. Eine Schmerzmittelgabe beeinflusst nach der Studie von Bromberg et al. [7] den weiteren Verlauf nicht und sollte daher erfolgen.

Ebenfalls kontrovers wird der optimale Zeitpunkt der operativen Versorgung diskutiert. Taylor et al. [8] konnten bereits 2005 zeigen, dass im Hinblick auf Perforationsrate, postoperative Komplikationen und Dauer des Krankenhausaufenthaltes keinerlei signifikante Vor- bzw. Nachteile bei früher Operation bestehen. In einer von Meier et al. 2017 veröffentlichten Arbeit [9] konnte ebenfalls gezeigt werden, dass eine Appendektomie im Kindesalter nicht zwingend während der Nachtstunden durchgeführt werden muss. Auch Cameron et al. [10] konnten im Rahmen einer Metaanalyse im Jahre 2017 zeigen, dass eine operative Versorgung während der ersten 24 Stunden nach Diagnosestellung die Rate an Komplikationen nicht erhöht.

In Bezug auf die operative Versorgung sollte meiner Meinung nach heutzutage unabhängig vom Alter des Patienten immer der laparoskopischen Appendektomie der Vorzug gegeben werden [3]. Dies kann in Single-Trokar-Technologie bzw. in der klassischen Drei-Trokar-Technologie mit kindgerechten Instrumenten (3 bzw. 5 mm) erfolgen [3].

Aufgrund des doch deutlich kleineren Situs erfolgt bei den Kindern in unserem Hause standardisiert die Absetzung der Appendix vermiformis zwischen Röderschlingen (vgl. Abb. 5 und 6). Dies zeigte in unserem eigenen Patientengut, aber auch in der Literatur, im Vergleich zu einem Linear-Stapler keinen Hinweis für eine signifikant gesteigerte Rate an Insuffizienzen im Bereich des Appendixstumpfes [3, 11].

2015 veröffentlichten Svensson et al. [12] ihre Pilotstudie zur konservativen Therapie (antibiotischen Therapie) der Appendizitis im Kindesalter. Diese vielbeachtete und kontroverse Studie konnte zeigen, dass auch eine konservative Therapie der Appendizitis im Kindesalter möglich ist.

Bei der Überlegung einer konservativen Therapie sollte man jedoch zwischen der unkomplizierten und der komplizierten Appendizitis unterscheiden. Während möglicherweise die unkomplizierte Appendizitis gut auf eine Antibiotikatherapie anspricht, bleibt die komplizierte Appendizitis weiterhin eine kinderchirurgische Domäne. Auch die unreflektierte Antibiotikagabe bei kindlichen Bauchschmerzen unter der Verdachtsdiagnose einer unkomplizierten Appendizitis ist im Hinblick auf die Resistenzbildung extrem kritisch zu sehen. Die Auswirkungen auf das kindliche Mikrobiom sind hierbei sicherlich nicht zu unterschätzen.

Meckel-Divertikel

Das Meckel-Divertikel ist eine als Rest des embryonalen Ductus omphaloentericus übriggebliebene Ausstülpung des Dünndarmes, dieses Divertikel stellt die häufigste Fehlbildung des Dünndarmes dar. Obwohl die Häufigkeit nicht ganz klar ist, wird von einer Inzidenz von 2 % der Bevölkerung ausgegangen. Ungefähr 4 % aller Menschen mit einem Meckel-Divertikel werden symptomatisch, d. h. ungefähr acht von 10.000 Menschen entwickeln eine Komplikation durch ihr Meckel-Divertikel [13]. Hiervon werden 50 – 60 % bereits während der ersten zwei Lebensjahre auffällig und nur 15 % der Patienten sind älter als vier Jahre, wenn das erste Mal Symptome auftreten [13]. Zwischen 40 und 60 % der Patienten fallen durch eine intestinale Blutung, 25 % durch eine Obstruktion und 10 – 20 % der Kinder durch eine Entzündung des Meckel-Divertikels auf [13, 14].

Neben dem Meckel-Divertikel kann jedoch noch seltener die Persistenz des kompletten Ductus omphaloentericus als Gang zwischen dem Dünndarm und dem Nabel bestehen (Abb. 7). Dies kann auch mit einem Meckel-Divertikel kombiniert vorliegen, ferner kann als Rest des Ductus omphaloentericus ein fibröser Strang übrig bleiben [15]. Gerade dieser fibröse Strang kann zu einer strangförmigen Anheftung des Dünndarmes an den Nabel mit nachfolgendem Volvulus und möglicherweise ausgeprägter Darmnekrose führen [13, 14].

Operativ kann bei schmaler Basis die Absetzung des Meckel-Divertikels mittels eines Staplers in querer Richtung erfolgen. Ein eher flaches bzw. breitbasiges Divertikel bedarf zumindest einer keilförmigen Exzision aus der Dünndarmwand bzw. einer Segmentresektion. Dies kann ebenfalls komplett intrakorporal erfolgen (Abb. 8 und 9) oder über die Erweiterung des subumbilicalen Zuganges [13 – 15].

Kindliche Leistenhernie

Der kindliche Leistenbruch (Abb. 10) ist in der Mehrzahl eine indirekte Hernie und entsteht aus einem offen gebliebenen Processus vaginalis peritonei. Der Processus vaginalis peritonei begleitet den deszendierenden Hoden, um schließlich die Tunica vaginalis testis als Verschiebeschicht auszubilden. Bei Mädchen begleitet er das Ligamentum rotundum (Nuckscher Kanal) und schließt sich deutlich früher als bei Jungen. Die Prävalenz der kindlichen Leistenhernie liegt heute bei 1,1 %, wobei Jungen neunmal häufiger als Mädchen betroffen sind. Die kindliche Leistenhernie wird in der Regel bereits im Säuglingsalter diagnostiziert und hat eine höhere Inzidenz bei der Frühgeburtlichkeit [16].

Die Gefahr der Inkarzeration besteht vor allem im ersten Lebensjahr, wobei auch hier die Frühgeborenen eine deutlich erhöhte Inzidenz an Inkarzerationen aufweisen. Die Diagnose der kindlichen Leistenhernie basiert in erster Linie auf der klinischen Untersuchung. Primär sollte der äußerliche Aspekt des Inguinalbereiches beurteilt werden [16].

Klinisch zeigt sich häufig bereits ein Seitenunterschied im Sinne einer verstärkten Vorwölbung, auch wenn keine intraabdominellen Organe vorgefallen sind. Beim Knaben muss die reguläre Lage des Hodens im Skrotalfach überprüft werden. Bei weiblichen Neugeborenen oder Säuglingen imponiert die Leistenhernie ebenfalls als rundliche inguinale Schwellung, wobei es hier zu beachten gilt, dass es sich beim Bruchinhalt auch um das Ovar handeln kann [16].

Die kindliche Leistenhernie stellt eine klare Indikation zur operativen Korrektur dar. Diese sollte möglichst kurzfristig nach Diagnosestellung erfolgen. Die inkarzerierte Leistenhernie stellt immer eine Notfall-Indikation dar. Die Technik der operativen Korrektur unterscheidet sich grundlegend von den Techniken, die bei Erwachsenen Anwendung finden.

Bei der klassischen, offenen Herniotomie erfolgt über einen sparsamen Hautschnitt in Höhe einer inguinalen Falte nach Eröffnen der Externusaponeurose und eindeutigen Identifikation von Ductus und Gefäßen die hohe Bruchsackligatur mittels eines resorbierbaren Nahtmaterials. In den letzten zehn Jahren hat aber auch die laparoskopische Hernienversorgung (laparoskopische Herniorrhaphie) Einzug in die kinderchirurgische Hernienversorgung gehalten.

Akutes Skrotum:

Das akute Skrotum beschreibt ein Krankheitsbild mit den Symptomen: Rötung, Schmerzen und Schwellung einer oder beider Skrotalhälften (Abb. 11) [17, 18].

Hinter einem akuten Skrotum können sich ganz unterschiedliche Differenzialdiagnosen verbergen (Tabelle 1). In keinem Fall darf dabei eine Hodentorsion übersehen werden. Eine Hodentorsion ist in 10 – 30 % der Fälle Ursache eines akuten Skrotums. Am häufigsten bedingen entzündliche Prozesse wie die Epididymitis, gefolgt von der Hydatidentorsion im Kindesalter ein akutes Skrotum. Die Diagnostik des akuten Skrotums muss unverzüglich eingeleitet werden. Nach wie vor ist neben der Anamnese die klinische Untersuchung von größter Bedeutung. Ebenso sollte eine apparative Untersuchung mittels Dopplersonographie immer durchgeführt werden, um die Durchblutungssituation eindeutig beurteilen zu können. Die Hodentorsion hat zwei typische Altersgipfel: die Neugeborenenperiode und die Pubertät [19]. Die Klinik ist geprägt von der akuten Schmerzsymptomatik. Typischerweise steigert sich dabei der Schmerz im Verlauf, nicht selten kommt es zum Erbrechen. Dabei ist das Symptom Erbrechen bei akutem Skrotum ein signifikanter klinischer Parameter für das Vorliegen einer Hodentorsion. Ein schleichender, subakuter Beginn über mehrere Tage spricht hingegen eher für ein entzündliches Geschehen, auch wenn hier oft intermittierende Schmerzen angegeben werden [19].

Bei der klinischen Untersuchung steht an erster Stelle die Beurteilung der Hodenlage (Brunel-Zeichen). Bei der Hodentorsion ist der Hoden hochskrotal oft quer liegend zu tasten. Diese Zeichen sowie der fehlende Cremasterreflex sind ebenfalls signifikante klinische Parameter eines akuten Skrotums. Die Duplex-Sonographie steht im Rahmen der apparativen Untersuchung des akuten Skrotums heute an erster Stelle. Bei entzündlichen Geschehen wie einer Epididymitis zeigt sich eine deutliche Hyperperfusion des Nebenhodens wie auch eine als reaktiv zu bezeichnende Hyperperfusion des Hodens selbst.

Anzumerken bleibt jedoch, dass wegen der Möglichkeit eines falsch-positiven Ultraschallbefundes (falsch dargestellte Perfusion bei vorliegender Ischämie) das Ergebnis der Ultraschalluntersuchung nicht alleinig ausschlaggebend sein darf für die Entscheidung, weiter konservativ oder operativ vorzugehen. Bei unklarem Befund muss immer eine explorative Hodenfreilegung erfolgen [18, 19].


Literatur
1. Mayr J, Fasching G: Grundlagen des akuten Abdomens bei Kindern. In: Mayr J, Fasching G (Hrsg.) Akutes Abdomen im Kindes- und Jugendalter. Springer Verlag Berlin 2018: 127-130
2. Backhaus K., Sperling P., Meyer Th: Akute Appendizitis im Kindesalter – Ursachen und Konsequenzen einer verzögerten Diagnosestellung. Chirurgische Praxis 2015; 769: 525-530
3. Meyer Th: Muss die Appendizitis bei Kindern vom Kinderchirurgen operiert werden? Pädiatrische Praxis 2015; 84: 295-304
4. Zachariou Z: Appendizitis. In: von Schweinitz D und Ure B (Hrsg.) Kinderchirurgie. Springer Verlag 2013: 457-464
5. Fasching G, Mayr J: Akute Appendizitis. In: Mayr J, Fasching G (Hrsg.) Akutes Abdomen im Kindes- und Jugendalter. Springer Verlag Berlin 2018: 179-192
6. Schneider C, Kharbanda A, Bachur R et al.: Evaluation appendicits scoring systems using a prospective pediatric cohort. Ann Emerg Med 2007 Jun; 49: 778-784
7. Bromberg R and Goldman RD: Does analgesia mask diagnosis of appendicitis among children. Can Fam Physician 2007; 53: 39-41
8. Taylor M, Emil S, Nguyen N, Ndiforchu F. Emergent vs urgent appendectomy in children: a study of outcomes. J Pediatr Surg 2005; 40: 1912-1915
9. Meier CM, Latz H, Kraemer J, Wagenpfeil S, Graeber S, Glanemann M, Simon A. Acute appendicitis in children: can surgery be postponed? Short-term results in a cohort of 225 children. Langenbecks Arch Surg 2017; 402(6): 977-986
10. Cameron DB, Williams R, Geng Y, Gosain A, Arnold MA et al.: Time to appendectomy for acute appendicitis: A systematic review. J Pediatr Surg 2018; 53:396-405
11. Partecke LI, Kessler W, Diedrich S, von Bernstorff W et al. Stadiengerechte Versorgung der Appendixbasis im Rahmen der laparoskopischen Appendektomie. Zentralbl Chir 2013; 138: 262-269
12. Svensson JF, Patkova B, Almström M et al.: Nonopeerative treatment with antibiotics versus surgery for acute nonperforated appendicitis in children: a pilot randomized controlled trial. Ann Surg 2015: 261: 67-71
13. Von Schweinitz D: Meckel-Divertikel und persistierender Ductus omphaloentericus. In: von Schweinitz D und Ure B (Hrsg.) Kinderchirurgie. Springer Verlag 2013: 360-367
14. Fasching G, Mayr J: Meckel Divertikel. In: Mayr J, Fasching G (Hrsg.) Akutes Abdomen im Kindes- und Jugendalter. Springer Verlag Berlin 2018: 175-178
15. Stratman R, Meyer Th: Anhaltende abdominelle Beschwerden nach laparoskopischer Appendektomie. Chirurg 2018; 89: 149-151
16. Rokitansky A. Hernienchirurgie. In: von Schweinitz D und Ure B (Hrsg.) Kinderchirurgie. Springer Verlag 2013: 567-578
17. Mayr J, Fasching G: Inkarzerierte Hernie, Hoden- und Adnextorsion. In: Mayr J, Fasching G (Hrsg.) Akutes Abdomen im Kindes- und Jugendalter. Springer Verlag Berlin 2018: 205-217
18. Stehr M. Das akute Skrotum. In: von Schweinitz D und Ure B (Hrsg.) Kinderchirurgie. Springer Verlag 2013: 589-596



Autor:

Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Meyer

Abteilung für Kinderchirurgie – Kinderurologie und Kindertraumatologie
Universitätsklinikum Würzburg 97080 Würzburg

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert


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Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (2) Seite 16-20