Patienten, die wegen Halsschmerzen zum Hausarzt kommen, seien es nun Erwachsene oder Kinder, erwarten meist schnelle Hilfe - nicht selten in Form von Antibiotika. Treten die Beschwerden häufiger auf, stellt sich früher oder später die Frage nach einer Entfernung der Tonsillen. Eine aktuelle Leitlinie zeigt auf, wann Antibiotika und wann eine Tonsillektomie indiziert sind.

Bei Halsschmerzen geht es in der Praxis nicht um eine präzise klinische Diagnose. Sie ist nicht nur sehr schwierig zu stellen, sondern meist ohnehin lediglich von akademischem Interesse und nur in schwereren Fällen tatsächlich klinisch relevant, betont die Arbeitsgruppe des Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN) unter dem Vorsitz von S. S. Musheer Hussain, Hals-Nasen-Ohrenarzt in Dundee. Sie hat im April 2010 eine Leitlinie „Management of sore throat and indications for tonsillectomy“ [1] herausgegeben.

Bakterien oder Viren ursächlich?

Für die Therapieentscheidung müsse der Hausarzt in erster Linie abklären, ob eine virale oder bakterielle Infektion Auslöser der Beschwerden ist. Eine virale Infektion steckt zu 50 - 80 % hinter akuten Halsschmerzen, einschließlich Influenza und Herpes simplex; weitere 1 - 10 % werden vom Epstein-Barr-Virus ausgelöst, erläutern Hussain und Kollegen. Der häufigste bakterielle Erreger sind demnach beta-hämolytische Streptokokken der Gruppe A (GABHS). Sie sind für 5 - 36 % der Fälle mit akuten oder wiederkehrenden Halsschmerzen verantwortlich. Daneben können auch Chlamydia pneumoniae, Mycoplasma pneumoniae, Hämophilus influenzae, Candida, Neisseria meningitidis und Neisseria gonorrhoeae ursächlich sein.

Score erleichtert Differenzierung

Als Hilfsmittel, um zwischen viralen und unter Umständen antibiotisch zu behandelnden GABHS-Infekten zu unterscheiden, empfiehlt die Leitlinie den Centor clinical prediction Score (Abb. 1). Sie weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass er für Kinder unter drei Jahren nicht validiert ist. Je höher der Punktwert des Centor Scores, desto wahrscheinlicher ist eine GABHS-Infektion. Je nach Alter, örtlicher Prävalenz und saisonalen Einflüssen liegt eine solche bei vier Punkten mit 25 - 86 %iger Wahrscheinlichkeit vor. Bei einem Punkt liegt die Wahrscheinlichkeit zwischen 2 und 23 %. Besonders häufig tritt eine GABHS-Infektion in der Altersgruppe der Fünf- bis 15-Jährigen auf. Bei jüngeren oder älteren Patienten sinkt die Wahrscheinlichkeit mehr und mehr.

Rachenabstrich verzichtbar

Von routinemäßigen Rachenabstrichen rät die Leitlinie ausdrücklich ab. Zum einen korreliert die Flora auf der Oberfläche der Tonsillen kaum mit der in den Vertiefungen, die wahrscheinlich die Infektion verursacht. Zum anderen haben sich die Abstriche weder als sensitiv noch als spezifisch für eine serologisch bestätigte Infektion erwiesen. Lediglich wenn bei einem erwachsenen Patienten bereits eine Tonsillektomie erwogen wird, kann so die Ätiologie wiederkehrender schwerer Episoden abgeklärt werden.

Therapie: Auf Analgesie beschränken

Die Diagnose Halsschmerzen bedeutet - auch bei bakterieller Genese - nicht, dass ein Antibiotikum verordnet werden sollte, stellen Hussain und Kollegen ausdrücklich klar - im Gegenteil: Zur Symptomlinderung sollen Antibiotika nicht eingesetzt werden (Evidenzgrad A). Eine adäquate Analgesie ist hierzu normalerweise völlig ausreichend. Zur Linderung von Fieber, Kopf- und Halsschmerzen bei Erwachsenen ist die Gabe von 400 mg Ibuprofen dreimal täglich zu empfehlen; Patienten mit Ibuprofen-Unverträglichkeit erhalten nach Bedarf 1?g Paracetamol viermal täglich (Evidenzgrad A).

Erste Wahl zur Schmerzlinderung bei Kindern ist eine adäquate Dosis von Paracetamol. Alternativ kann Ibuprofen eingesetzt werden (Evidenzgrad A). Bei Kindern mit einem Risiko für oder bei bereits bestehender Dehydratation ist dieser Wirkstoff jedoch kontraindiziert.

Auch bei wiederkehrenden Halsschmerzen wird eine Prophylaxe mit Antibiotika nicht empfohlen. Ebenso wenig sollten sie eingesetzt werden, um einer Entwicklung von rheumatischem Fieber oder akuter Glomerulonephritis vorzubeugen.

Antibiose in Ausnahmefällen

Allerdings sollte der Hausarzt in schweren Fällen, je nach klinischer Verfassung des Patienten, diesem ein Antibiotikum nicht vorenthalten, räumt die Leitlinie ein: In der Mehrzahl der Studien wurde Penicillin V 500 mg viermal täglich für zehn Tage eingesetzt, alternativ ein Makrolid. Vorsicht ist dagegen bei Ampicillin-basierten Wirkstoffen einschließlich der Kombination von Amoxicillin mit Clavulansäure (Co-amoxiclav) angebracht: Sie können bei Patienten mit Pfeifferschem Drüsenfieber Ausschlag verursachen.

Unter besonderen Umständen, z. B. bei Epidemien, kann eine großzügigere Verordnung von Antibiotika angezeigt sein - je nach Empfehlungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Treten beispielsweise in Internaten oder Kasernen gehäuft Fälle von Halsschmerzen auf, lässt sich mit Antibiotika unter Umständen einer Kreuzinfektion mit GABHS vorbeugen. In der Allgemeinbevölkerung sollten sie jedoch nicht routinemäßig zu diesem Zweck eingesetzt werden.

Psychosoziale Hintergründe beachten

Hussain und Kollegen weisen im Zusammenhang mit dem Für und Wider einer Antibiose bei Halsschmerzen auf die besondere Vertrauensbeziehung von Patient und Hausarzt hin: So seien Halsschmerzen oft nur der Aufhänger für den Besuch beim Hausarzt. In der Sprechstunde geht es dem Patienten oftmals eigentlich um weitere Anliegen. Zudem gebe es in der Literatur Hinweise darauf, dass eine Verordnung von Antibiotika bei Halsschmerzen den Glauben des Patienten an diese Substanzen stärkt und seine Absicht steigert, bei künftigen Episoden diese wieder verordnet zu bekommen. Hier kann ein Patienten-Informationsblatt gute Dienste leisten, das erläutert, wie akute Halsschmerzen selbst behandelt werden können. Es sollte jedoch auch darüber aufklären, dass unbedingt ein Arzt zu kontaktieren ist bei:

  • Atembeschwerden
  • Schwierigkeiten, den Speichel zu schlucken oder den Mund zu öffnen
  • anhaltend erhöhter Temperatur
  • besonders starken Beschwerden und Symptomen hauptsächlich auf einer Halsseite
  • sich über mehrere Tage verschlimmernden Schmerzen

Keine Evidenz für adjuvante Therapie

Die unterstützende Anwendung von Echinacea purpurea kann nicht empfohlen werden, ebenso wenig ist die Wirksamkeit nicht verschreibungspflichtiger Rachensprays, -pastillen und Mittel zum Gurgeln belegt, heißt es in der Leitlinie. Kortikosteroide können lediglich eine Rolle spielen bei Patienten mit infektiöser Mononukleose, wenn Schmerzen und Schwellung den Atemfluss beeinträchtigen (Krankenhauseinweisung erforderlich!), oder bei sehr schwerer Dysphagie. Ansonsten ist die Evidenz für den Einsatz von Kortikosteroiden bei Pharyngitis widersprüchlich.

Wann ist eine Tonsillektomie indiziert?

Zur Entscheidung über eine Tonsillektomie postuliert die Leitlinie mit höchstem Evidenzgrad grundsätzlich:

  1. Bei Erwachsenen mit wiederkehrenden schweren Episoden wird der Eingriff empfohlen.
  2. Bei Kindern mit wiederkehrenden milden Halsschmerzen dagegen ist abwartendes Offenlassen angemessener als eine Entfernung der Mandeln.

Wann darüber hinaus bei wiederkehrenden akuten Halsschmerzen bei Kindern und Erwachsenen eine Tonsillektomie zu erwägen ist, fasst Abb. 2 zusammen. Evidenz, welche Patienten von einer Tonsillektomie profitieren, gibt es allerdings lediglich für Erwachsene mit wiederkehrender GABHS-Pharyngitis. Ansonsten legt die Literatur nahe, dass der Benefit einer Tonsillektomie mit der Schwere und Häufigkeit von Halsschmerzen vor dem Eingriff steigt. Daher sollten Arzt und Patient darauf achten, ob die Häufigkeit der Episoden zu- oder abnimmt.

Im Zweifelsfall wird ein abwartendes Offenlassen über sechs Monate empfohlen, um die Symptomatik sicher zu erfassen und dem Patienten Gelegenheit zu geben, über die Operation nachzudenken. Wichtig ist hierbei der Hinweis, dass sich auch mit einer Tonsillektomie nicht völlig ausschließen lässt, dass Halsschmerzen auch in Zukunft wieder auftreten.

Patienten intensiv über Schmerztherapie aufklären

Neben detaillierten Informationen, an wen sie sich bei postoperativen Pro­blemen oder Komplikationen wenden können, sollten die Patienten bereits vor dem Eingriff schriftlich und mündlich das erwartete Schmerzprofil, das Sicherheitsprofil der Analgetika, deren angemessene Dosis und Anwendungsdauer sowie den hohen Stellenwert einer adäquaten Flüssigkeitszufuhr erläutert bekommen. Immerhin können die Schmerzen bis zu sechs Tage nach einer Tonsillektomie zunehmen, betonen Hussain und Kollegen. Daher sei der Patient mit genug Schmerzmitteln für mindestens eine Woche auszustatten.

Postoperativ Antiemetika einsetzen

Mit höchstem Evidenzgrad wird zudem der routinemäßige Einsatz von Antiemetika und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) als Teil der postoperativen Analgesie empfohlen, um Übelkeit und Erbrechen zu vermeiden. Wenn eine Prophylaxe mit Antiemetika nicht geeignet ist, empfiehlt die Leitlinie eine Stimulation des Akupunkturpunktes P6. Bei Kindern gilt intraoperativ eine Einzeldosis Dexamethason (0,15 - 1 mg/kg, maximal 8 - 25 mg) als Mittel der Wahl, um postoperatives Erbrechen zu vermeiden (Evidenzgrad A). Auch Erwachsene können 10 mg Dexamethason als Einzeldosis bei Einleitung der Anästhesie erhalten (Evidenzgrad B).

Stefanie Lindl-Fischer


Literatur
1) Scottish Intercollegiate Guidelines Network: 117 Management of sore throat and indications for tonsillectomy, April 2010; www.sign.ac.uk

Eine Kurz- und eine Lang­fassung der Leitlinie
sind online erhältlich unter http://www.sign.ac.uk . Im Anhang des Volltextes sind Beispiele für Patienteninformationsblätter enthalten (in englischer Sprache), die die Eltern erkrankter Kinder und erwachsene Patienten über Physiologie der Tonsillen, Indikationen für eine Tonsillektomie und das Verhalten nach dem Eingriff informieren.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (19) Seite 20-23