Im echten Leben war dem heiligen Pankratius nur ein sehr kurzes Erdendasein mit einem fürchterlichen Abschluss beschieden. Kaum mehr als vierzehn Jahre alt, wurde er unter der Herrschaft des Diokletian um 304 n. Chr. geköpft, weil er sich hartnäckig zum Christentum bekannte. Aber immerhin ist "Pankraz", die Kurzform seines Vornamens, bis heute erhalten geblieben. In unserer ländlichen Gemeinschaftspraxis hatten wir nur einen Träger dieses Namens, den aber schon unser Vorgängerehepaar regelmäßig betreuen musste. Im Unterschied zu seinem kirchlichen Namenspatron erreichte "unser" Pankraz aber ein schönes Alter und war wegen seiner Skurrilität dorfbekannt. Seine zittrige Stimme habe ich noch im Ohr, denn schon beim Betreten der permanent überheizten Wohnküche hob er seine immergleiche Klagesuada an. Wegen wandernder Ganzkörperschmerzen verbrachte er den größten Teil des Tages in Rückenlage auf einer Ottomane. Seine Ehefrau war mit einer bewundernswerten Nonchalance gesegnet und pflegte jahrzehntelang einen sehr liebevollen Umgang mit ihm, trotz seiner Macken und seiner Schrulligkeit.

Nachdem keine organischen Ursachen zu eruieren waren und zahllose schulmedizinische Therapien erfolglos blieben, leiteten wir mit dem Segen seiner Gemahlin eine Placebobehandlung ein, "mit einem neuartigen und außerordentlich starken Medikament". So haben wir es zumindest dem klagsamen Pankraz vermittelt. Und tatsächlich: Die neue P-Tablette, weiß, rund und 8 mm groß, wirkte geradezu phänomenal. Nach etlichen Monaten konnte die Dosis wegen einer deutlichen Beschwerdelinderung bereits halbiert werden. Der Patient hatte noch viele gute Jahre und beschwor bis zu seinem Ableben die Wirksamkeit "seiner P-Tablette", die ja schließlich auch privat bezahlt werden musste.

Dass Glaube, Hoffnung und Liebe Berge versetzen können, ist ja bekanntlich nichts Neues und wurde schon von Paulus in seinem "Hohelied der Liebe" (1. Korinther 13) thematisiert. Aber die wissenschaftliche Diskussion geht noch einen Schritt weiter. In der aktuellen Metaanalyse "Effects of open-label placebos in clinical trials" beschrieben Freiburger Forscher(Scientific Reports 2021), dass es sogar unnötig sein könnte, der Patient:in den fehlenden Wirkstoffinhalt des Placebos zu verschweigen. Trotzdem seien beim informierten Kranken mit Rückenschmerzen, Depressionen und zahlreichen anderen Krankheitsbildern erstaunliche, sogar signifikante Therapieerfolge möglich. Dabei drängt sich aber ein weiterer Gedanke auf. Vielleicht gab es bei unserem Pankraz, der in seiner gewohnten häuslichen Umgebung alt werden durfte, noch einen anderen Umstand, auf den der Apostel Paulus in der genannten Bibelstelle explizit abhebt: die Liebe seiner Angehörigen nämlich. Ein heutzutage gerne unterschätzter und vernachlässigter Effekt, der aber sicher stärker ist als jedes Placebo.


Das meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (3) Seite 73