Der Fall Eine 23-jährige Medizinstudentin stellt sich mit seit zwei Tagen anhaltenden äußerst heftigen Halsschmerzen vor. Sie ist in einem guten Allgemeinzustand und hat kein Fieber. Der Rachen zeigt eine ausgeprägte Rötung, die Tonsillen sind fraglich belegt und nicht verzogen. Zwei druckschmerzhafte Lymphknoten rechts sind tastbar. Husten besteht nicht. Die Patientin drängt darauf, ein Antibiotikum verordnet zu bekommen – zum einen wegen der heftigen Schmerzen, zum anderen, weil sie Komplikationen befürchtet.

Fragestellungen:

Sollte ein Rachenabstrich durchgeführt werden?

Sollte ein Antibiotikum verordnet werden und wenn ja, welches?

Welche Therapie ist ansonsten zu empfehlen?


Ca. 50 - 80 % der Pharyngitiden sind durch Viren bedingt, bei einem Drittel lässt sich gar kein Erreger nachweisen. Nur in etwa 15 - 30 % werden beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (GAS) isoliert. Es gibt aber asymptomatische Träger. Die GAS-Pharyngitis hat einen Erkrankungsgipfel bei den 5- bis 15-Jährigen. Auch GAS-Pharyngitiden haben eine sehr hohe Spontanheilungstendenz [5].

Vorgehen in der Praxis

Für den Praxisalltag muss eine Entscheidungsregel möglichst einfach und prägnant sein. Mit dem Centor-Score (Abb. 1) kann klinisch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Infektion mit Streptokokken der Gruppe A (GAS) vorliegt, abgeschätzt werden [2].

Ein Rachenabstrich für einen Schnelltest oder eine Kultur sollte nur durchgeführt werden, wenn das Ergebnis die Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikatherapie beeinflusst. Schnelltests auf GAS-Antigen haben gegenüber der Kultur eine Spezifität von 95 %, während die Sensitivität mit 70 - 90 % deutlich niedriger ist [3]. Im oben genannten Fall beträgt der Center-Score 2, d. h. die Wahrscheinlichkeit von GAS im Abstrich liegt bei nur ca. 15 %.

Zur Frage „Antibiotikum: ja oder nein?“ schlägt die Leitlinie einen Algorithmus vor (Abb. 2). Ein Rachenabstrich ist bei einem solchen mittleren Score vertretbar. In unserem Fall fällt er negativ aus.Wird ein Antibiotikum als klinisch nützlich eingeschätzt, was bei unserer Patientin nicht der Fall ist, wäre Penicillin das Mittel der ersten Wahl und eine Behandlung über sieben Tage ausreichend [9]. Bei der Medizinstudentin wird auf Antibiotika verzichtet und Salbeipastillen und Paracetamol empfohlen.

Bei vielen Patienten mit Antibiotikawunsch liegt ein Missverständnis vor, sie wünschen sich eigentlich eine Schmerztherapie [8]. Die Wirkung von Antibiotika ist allenfalls moderat, jedoch etwas ausgeprägter bei klinischen Zeichen einer GAS-Pharyngitis. Für Patienten mit Halsschmerzen und drei Centor-Kriterien lässt sich für eine orale Penicillinbehandlung eine NNT (Anzahl der notwendigen Behandlungen) von 5 - 6 für Symptomfreiheit am dritten Behandlungstag annehmen. Die Krankheitsdauer wird um 1 - 1½ Tage verkürzt [5, 9]. Bei zusätzlichem Nachweis von GAS lässt sich für eine orale Penicillinbehandlung eine NNT von 4 für Abklingen der Halsschmerzen am 3. Behandlungstag annehmen.

Ist eine nicht-antibiotisch behandelte GAS-Pharyngitis risikoreich?

Nicht-eitrige Komplikationen sind das Akute Rheumatische Fieber (ARF) und die akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis (APSGN) [4]. Das ARF ist in Industrieländern extrem selten geworden, so dass die Prävention des ARF gegenwärtig kein Argument für eine Antibiotikaverordnung ist. Es gibt keine Evidenz für die Prävention einer APSGN durch Antibiotika. Die meisten Fälle verlaufen symptomarm mit einer Mikrohämaturie und heilen unbemerkt aus. Daher wird eine routinemäßige Untersuchung des Urins nach Streptokokkeninfekten nicht mehr empfohlen.

Welche symptomatische Therapie?

Paracetamol oder Ibuprofen lindert Halsschmerzen [1, 6]. Für viele Haus- und Naturheilmittel oder rezeptfreie Medikamente gibt es keinen Nutzennachweis. Unspezifische Maßnahmen wie viel trinken, gurgeln mit Salzwasser oder Tee, lutschen nicht-medizinischer Bonbons oder Halswickel können mit Einschränkung empfohlen werden. Medizinische Lutschtabletten, Gurgellösungen und Rachensprays mit Lokalantiseptika und/oder Lokalanästhetika werden nicht empfohlen. Lokalantiseptika wirken nur an der Oberfläche, während sich die Infektion in der Tiefe abspielt [7]. Pflanzliche und homöopathische Mittel können bei ausgeprägtem Therapiewunsch oder unzureichender Wirksamkeit besser belegter symptomatischer Maßnahmen mit Einschränkung empfohlen werden.


Literatur
1. Burnett I, Schachtel B, Sanner K et al. Onset of analgesia of a paracetamol tablet containing sodium bicarbonate: Adouble-blind, placebo-controlled study in adult patients with acute sore throat. Clin Ther. 2006; 28: 1273-8.
2. Centor RM, Witherspoon JM, Dalton HP, et al. The Diagnosis of Strep Throat in Adults in the Emergeny Room. Med Decision Making 1981; 1: 239-46.
3. Gerber MA, Shulman ST. Rapid diagnosis of pharyngitis caused by group A streptococci. Clin Microbiol Rev 2004; 17: 571-80.
4. Lamagni TL, Efstratiou A, Vuopio-Varkila J, et al. The epidemiology of severe streptococcus pyogenes associated disease in Europe. Euro Surveill 2005; 10:179-84.
5. Spinks A, Glasziou PP, Del Mar C. Antibiotics for sore throat. Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 4. Art. No.: CD000023. DOI: 10.1002/14651858.CD000023.pub3.
6. Thomas M, Del Mar C, Glasziou P. How effective are treatments other than antibiotics for acute sore throat? Brit J Gen Pract 2000; 50:817-20.
7. Wie lange noch unnötige Rachentherapeutika? arzneimitteltelegramm 2002; 33:107
8. van Driel ML, De Sutter A, Deveugele M, et al. Are sore throat patients who hope for antibiotics actually asking for pain relief? Ann Fam Med. 2006; 4:494-9.
9. Zwart S, Sachs APE, Ruijs GJHM et al. Penicillin for acute sore throat: randomised double blind trial of seven days versus three days treatment or placebo in adults. BMJ 2000; 320:150-54.

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Prof. Dr. med. Jean-Francois Chenot, MPH


Kontakt:
Prof. Dr. med. Jean-Francois Chenot, MPH
Abteilung Allgemeinmedizin
Universitätsmedizin
37073 Göttingen

Dr. med. Hannelore Wächtler
Ärztin für Allgemeinmedizin - Psychotherapie
23701 Eutin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2011; 33 (10) Seite 37-38