Patienten mit einem Reizdarmsyndrom (RDS) gibt es in der Hausarztpraxis sehr häufig. Oft sind schon Kinder und Jugendliche betroffen. Fast 50 % der 10- bis 18-jährigen Schüler haben permanent oder passager Symptome des Reizdarmsyndroms. Hauptursache für die Beschwerden sind Stress und psychische Belastungen.

Hauptursache des RDS ist eine gestörte Hirn-Darm-Interaktion (das "Bauchhirn" ist gestört) durch psychische Belastungssituationen. Aber auch eine Darmirritation durch eine Infektion, bestimmte Nahrungsmittel oder Hormone kommen als Auslöser infrage.

Die Leitsymptome des RDS sind:
  • Bauchschmerzen
  • Blähungszustände mit Gasbildung (Meteorismus, Flatulenz)
  • Durchfall und/oder Verstopfung
  • häufig auch extraintestinale Beschwerden wie Müdigkeit und Kopfschmerzen

Eine entzündliche, anatomische, metabolische oder neoplastische Ursache der Beschwerden muss ausgeschlossen werden. Damit ist die Diagnose "Reizdarmsyndrom" eine Ausschlussdiagnose! Die Ausschlussdiagnostik beim RDS sollte strategisch sinnvoll durchgeführt werden und beinhaltet
  • Anamnese
  • Klinische Untersuchung
  • Paraklinische Diagnostik
  • Labor: Blut, Stuhl
  • Abdomensonografie
  • H2-Atemteste
  • 13C-Atemtest
  • Endoskopie
  • pH-Metrie
  • MRT, CT

Abzugrenzen ist das RDS vom Reizmagen, der funktionellen Dyspepsie, bei der Magenschmerzen, Völlegefühl, Aufstoßen/Sodbrennen, Übelkeit und Erbrechen typische dyspeptische Beschwerden sind [1].

Anamnese

Meist ist der Beginn der Beschwerden nicht genau anzugeben. Zuweilen ist aber auch ein bestimmtes Ereignis zu erfragen, das die Beschwerden ausgelöst haben könnte (Änderung der Familiensituation, Aufnahme in eine Kindereinrichtung, Schulbeginn, Schulprobleme, Verlust eines Familienmitgliedes, Familienzuwachs...). Funktionelle Bauchschmerzen treten fast nie nachts auf und sind meist nicht über den Tag verteilt. Sie bestehen oft bereits morgens nüchtern. Es besteht keine B-Symptomatik. Die körperliche Entwicklung ist meist nicht gestört. Hilfreich ist das Führen eines Tagebuches, in das täglich die Bauchschmerzen, die Stuhlfrequenz und -konsistenz und ggf. andere Beschwerden eingetragen werden. Dann können die Beschwerden der Schulzeit oder der schulfreien Zeit, dem Wochenende oder dem Besuch beim von der Familie getrennt lebenden Elternteil zugeordnet werden. Alarmzeichen, die auf eine ernste, meist organisch bedingte Erkrankung hinweisen, sind im Kasten links dargestellt.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung muss eine Ganzkörperuntersuchung inkl. ano-digitaler und gynäkologischer Untersuchung sein. Funktionelle Bauchschmerzen werden meist in die Nabelgegend lokalisiert. Je entfernter vom Nabel ein Bauch- oder Druckschmerz angegeben wird, umso eher muss an eine organische Ursache der Beschwerden gedacht werden.

Labordiagnostik

In Anlehnung an die S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom [3] ist folgende Diagnostik zu empfehlen: Blutbild, CRP oder BSG, Lipase, ALAT, γ-GT, IgA, zöliakiespezifische Antikörper, TSH, Bilirubin, Kreatinin, Blutzucker, Eisenstatus (Serum-Ferritin, Transferrin-Sättigung), Urinstatus. Stuhl: Giardia lambliasis, Würmer, fäkale Inflammationsmarker (Calprotectin oder Lactoferrin), okkultes Blut. Zur erweiterten Diagnostik bei unklaren Fällen ist weiterhin zu empfehlen: Folsäure, Vitamin B12, Serum-Elektrolyte, Stuhldiagnostik: Dientamoeba fragilis.

Abdomensonografie

Die Indikation zur Abdomensonografie sollte von der Anamnese und dem Ergebnis der Labordiagnostik abhängen. Die weitere paraklinische Diagnostik muss individuell entschieden werden (Tabelle 1). Bei Verdacht auf eine Laktose- oder Fruktosemalabsorption ist ein H2-Atemtest indiziert.

Problematisch kann der Ausschluss einer Glutensensitivität sein (Tabelle 2). Sie wird heute korrekterweise als Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität (NZNWWS) bezeichnet. Die Symptomatik ist vergleichbar mit der bei einer Zöliakie und dem RDS:
  • intestinal: Bauchschmerzen, Meteorismus, Durchfall und/oder Obstipation
  • extraintestinal: Müdigkeit, Taubheitsgefühle der Extremitäten, Muskelkrämpfe, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Depression; keine Beeinträchtigung der körperlichen Entwicklung

Warum die Menschen zunehmend nach dem Verzehr von Getreideprodukten über intestinale und extraintestinale Beschwerden klagen, hängt möglicherweise mit der Hochzüchtung der modernen Getreidesorten und dem damit verbundenen Anstieg des Glutengehaltes und anderer Bestandteile zusammen. Im Weizen sind u. a. auch FODMAPs und Amylase- und Trypsininhibitoren (ATI) enthalten, die ebenfalls RDS-ähnliche Symptome hervorrufen können. FODMAP ist eine Abkürzung von fermentierten Oligosacchariden (Polyfruktose, Polygalaktosen), dem Disaccharid Laktose, dem Monosaccharid Fruktose und/and Polyolen. Bei einer Unverträglichkeit von FODMAPs können neben gastrointestinalen Beschwerden (Bauch- und Magenschmerzen, Meteorismus, Flatulenz, Übelkeit, gastroösophagealer Reflux) auch systemische Beschwerden bestehen (Müdigkeit, Depression). Eine FODMAP-arme Kost kann schon nach wenigen Tagen zu einer Linderung der Beschwerden führen. Eine solche Diät sollte unter ärztlicher Kontrolle erfolgen, da sie bei einer Dauer von mehr als vier Wochen zu einer Änderung des Darm-Mikrobioms und zu Eisen- und Kalziummangel führen kann.

Alarmzeichen bei dyspeptischen Darmbeschwerden
  • Gedeihstörung, Gewichtsabnahme
  • unklares Fieber
  • Nachtschweiß
  • Hämatochezie (sichtbares Blut im Stuhl)
  • verzögerte Pubertät
  • Arthritis
  • anale Auffälligkeiten (Marisken, Fissuren, Fisteln u. a.)
  • tastbare Resistenzen bei der Abdomenuntersuchung
  • eine belastende Familienanamnese: chronisch-entzündliche Darmerkrankung, maligne (Darm-)Erkrankungen, Zöliakie, gastrointestinale Ulzera
  • Dysphagie
  • Odynophagie (Schluckstörung mit Schmerzen)
  • nächtl. Bauchschmerzen und/oder Durchfall

Auch die Histaminintoleranz muss in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden, da die Symptomatik der des RDS ähneln kann. Diagnostisch am einfachsten ist zunächst das Weglassen histaminhaltiger Lebensmittel (z. B. reife Käsesorten, Fischkonserven, Sauerkraut, Thunfisch, Makrele, geräuchertes oder gepökeltes Fleisch oder Wurst sowie Obst- und Gemüsesorten, bei Kindern kaum relevant Wein). Nach einer solchen Karenzphase und Besserung der Beschwerden können schrittweise histaminhaltige Nahrungsmittel eingeführt werden, um die Toleranzgrenze zu ermitteln. Auch mit einem Histamin-Hydrochlorid-Provokationstest kann unter strenger ärztlicher Kontrolle die Verträglichkeit individuell bestimmt werden.

Therapie

Bei der Behandlung des RDS im Kindesalter steht das Gespräch mit einer Vertrauensperson über mögliche belastende Ursachen im Vordergrund. Dabei sollte nicht sofort ein Psychologe konsultiert werden. Antidepressiva sollten bei Angststörungen und Depression erwogen werden. Krampflösend ist das Spasmolytikum Buscopan® als Suppositorium, Dragee oder Ampulle verfügbar. Ein Versuch einer adjuvanten probiotischen Behandlung hilft in etwa 2/3 der Fälle. Als Sofortmaßnahme ist allerdings immer noch eine Wärmeanwendung (Kirschkernkissen oder feuchte Wärme) und ein Magen-Darm-Tee zu empfehlen. Ein solcher Tee enthält außer den wichtigen Pfefferminzblättern und Kümmel auch Kamillenblüten, bitteren Fenchel und Melissenblätter. Eine Diät sollte vom Patienten nie selbstständig erfolgen, sondern nach entsprechender Diagnostik und Beratung (Arzt, Ernährungsberater).


Literatur
1. Madisch A, Andresen V, Enck P, Labenz J, Frieling T, Schemann M (2018) Diagnose und Therapie der funktionellen Dyspepsie/The diagnosis and treatment of functional dyspepsia. Dtsch Arztebl Int 115: 222–32.
2. Hyams JS, Di Lorenzo C, Saps M, Shulman RJ, Staiano A, van Tilburg M (20 16) Functional Disorders: children and adolescents. Gastroenterology 150:1456-68.
3. Layer P, Andresen V, Pehl C et al. (2011) S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Z Gastroenterol 49(2): 237-293.
4. Di Sabatino A und Corazza GR (2012) Nonceliac gluten sensitivity: sense or sensibility? Ann Intern Med. 156:309-311.


Autor:

Prof. Dr. med. Jobst Henker

Kinderzentrum Dresden-Friedrichstadt GmbH,
01067 Dresden;

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (19) Seite 24-26