Die chronischen Atemwegserkrankungen Asthma und COPD werden häufig viel zu spät erkannt. Dabei lassen sich mit einem einfachen Lungenfunktionstest die Funktion und die Leistung der Lunge gut kontrollieren und eine sichere Diagnose stellen.

Viele Patient:innen mit Asthma oder COPD bleiben lange unentdeckt und werden erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert [1]. Dies gilt mehr für die COPD als das Asthma. Diese Verzögerung ist umso bedauerlicher, als Asthmatiker heute dank moderner therapeutischer Möglichkeiten in der Regel ein beschwerdefreies Leben führen können. Aber auch COPD-Patient:innen kann man heute recht gut helfen. Der Stolperstein auf dem Weg hin zu häufiger und früher entdeckten Patient:innen mit chronischer Atemwegserkrankung ist die möglichst frühe Diagnose. Hier gilt es primär, die unverständliche Scheu vor der Lungenfunktion und ihrer Interpretation zu überwinden.

Für diese Zurückhaltung gibt es eine mögliche Erklärung: Während der Ausbildung haben wir täglich EKGs und Röntgenbilder zu sehen bekommen, sind damit quasi groß geworden. Im Gegensatz dazu zählte die Lungenfunktion nicht zu unserem täglichen Brot. Hierfür ist unser Blick deshalb nicht geschult worden. Dabei ist die Interpretation einfacher als die eines EKGs. Mit Hilfe der Lungenfunktion lassen sich mehr pathologische Befunde erheben als mit EKG oder Röntgen-Thorax. Das konnte Magnussen bereits in den 1980er-Jahren eindrucksvoll nachweisen [2].

Wer bei seinen Patient:innen ohne Verdacht auf Atemwegserkrankung eine Lungenfunktionsuntersuchung durchführt, wird viele unerkannte Ventilationsstörungen finden [3]. Selbstverständlich müssen diese dann differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Allgemein soll die Lungenfunktionsuntersuchung folgende Fragen beantworten:

  • Wie viel Luft kann ein- und ausgeatmet werden?
  • Wie viel Luft kann wie schnell ausgeatmet werden?
  • Und speziell: Besteht eine Ventilationsstörung?
  • Wenn ja, Obstruktion (häufiger) oder Restriktion (seltener)?
  • Ist die Ventilationsstörung medikamentös zu beeinflussen?
  • Wie verhält sie sich unter Therapie?

Die Lungenfunktionsuntersuchung

Die Untersuchung sollte man im Sitzen vornehmen, weil die Normalwerte in sitzender Position ermittelt worden sind. Meist muss die Patient:in nur den Anweisungen der Geräte folgen. Allerdings ist es empfehlenswert, ihr den genauen Ablauf kurz zu schildern, vor allem die korrekte forcierte Exspiration. Die Geräte liefern die ermittelten Lungenfunktionsparameter sowie eine Atemschleife mit einer Inspirations- und einer forcierten Exspirationskurve.

Erster Blick auf den Kurvenverlauf (Fluss-Volumen-Kurve)

Der erste Fehler ist, den Blick sofort auf die gemessenen Werte zu richten und sich vielleicht sogar mit dem Vergleich von Soll- und Ist-Werten zufriedenzugeben. Denken Sie aber an die Interpretation eines EKGs! Hier ist es selbstverständlich, zuerst den Kurvenverlauf zu betrachten. Damit steht meist schon die Diagnose. Die Messwerte bräuchten Sie meist nicht, allenfalls zur genaueren Differenzierung. Ähnlich ist es bei der Interpretation der Lungenfunktion.

Hier gilt es Folgendes zu beachten:

1. Ist das Ergebnis überhaupt zu verwerten?

a. Die Einatemschleife (unter der X-Achse) kann zuerst einmal vernachlässigt werden.
b. Im Idealfall sollten Sie als Ergebnis der forcierten Exspiration (oberhalb der X-Achse) ein Dreieck aus X-Achse, einer kürzeren zweiten Seite mit möglichst steilem Anstieg und einem langsamen, am besten leicht nach oben (konvex) gewölbten, nach rechts abfallenden Schenkel sehen (Abb. 1).

2. Hinweise für schlechte Mitarbeit können sein:



Wenn der Kurvenverlauf eine schlechte Mitarbeit signalisiert, verwerfen Sie die Untersuchung! Versuchen Sie nicht, "krampfhaft" etwas aus den Daten herauszulesen. Die Untersuchung ist und bleibt unbrauchbar!

Diagnose durch Blick auf den Kurvenverlauf

  • Die Steilheit zu Beginn der Exspiration symbolisiert die forcierte Exspiration zum Peak-Flow. Ist diese steil genug, hoch genug?
  • Die nach rechts abfallende Linie symbolisiert die weitere Exspiration mit kontinuierlich abnehmendem Volumen.

Normal ist eine lange, gleichmäßig abfallende oder leicht nach oben gewölbte Linie.

  • Die zur X-Achse gebogene Kurve belegt eine Obstruktion.
  • Die Intensität der Biegung entspricht der Intensität der Obstruktion (Abb. 2).
  • Ein Knick in dieser abfallenden, dann meist verkürzten Linie ist ein Hinweis auf einen Bronchialkollaps – englisch: Check-Valve (Rückschlagventil), typisch für ein Emphysem mit "gefangener Luft" (Trapped air).
  • Zur differenzierten Betrachtung der Ventilationsstörung dienen die gemessenen Volumina.
  • IVC (inspiratorisch gemessene Vitalkapazität)
  • - Die FVC (forciert gemessene Vitalkapazität) fällt durch die Kompression der Lunge kleiner aus, deshalb wird seit einigen Jahrzehnten die IVC empfohlen.
  • - FEV1 (forciertes exspiratorisches Volumen) in der ersten Sekunde der Exspiration

Mit Hilfe der letzten beiden Parameter ist bereits eine sichere Diagnose zu stellen (Abb. 3).

  • FEV1% VC (relative Einsekundenkapazität; Tiffeneau-Index = erniedrigt bei COPD)

Dieser Parameter hat sich bei Werten < 7 in zahlreichen Studien als verlässlichster Hinweis auf eine COPD erwiesen [4].

Bronchospasmolysetest

Der Bronchospasmolysetest gehört zu jeder Lungenfunktionsuntersuchung (vgl. Tabelle). Dies gilt für jede diagnostische Abklärung und Verlaufsbeurteilung beim Asthma. Der Test ist das wichtigste Unterscheidungskriterium zwischen Asthma und COPD.

Standard ist die Durchführung des akuten Tests mit einem SABA (Short Acting Beta-Agonist), allein wegen des Zeitgewinns (Blockade des Raumes) gegenüber einem SAMA (Short Acting Muscarinic Agonist) mit langsamerem Wirkeintritt. Der verzögerte, protrahierte Test kommt zum Einsatz, wenn der akute Test ohne Reaktion geblieben ist, man demnach von einer mehr oder weniger fixierten Obstruktion wie bei COPD ausgeht, obwohl der dringende Verdacht auf ein Asthma besteht.

Essentials: Wichtig für die Sprechstunde
  • Mit Hilfe der Lungenfunktion lassen sich mehr pathologische Befunde erheben als mit EKG oder Rö.-Thorax.
  • Sehen Sie sich zuerst den Kurvenverlauf an, dann die Messwerte.
  • Der Bronchospasmolysetest gehört zu jeder Lungenfunktionsuntersuchung.


Literatur:
1. Hausen, Th. Pneumologie für die Praxis / Akute und chronische Atemwegserkrankungen mit Besonderheiten im fortschreitenden Alter Elsevier 2017
2. Magnussen H, Stöcker U, Klingelhöfer F, Krück F: Was leistet eine routinemäßig Spirometrie bei der internistischen Diagnostik. Dtsch Med Wochenschr 1981; 106: 534–8
3. Hausen T: Bedeutung der Spirometrie bei der Früherkennung von Atemwegserkrankungen. Dtsch Med Wochenschr 1985; 110: 59–63
4. Bhatt, SP et al. Discriminative Accuracy of FEV1%FVC Threshold for COPD-Related-Hospitalization and Mortality. JAMA 2019;312:2438-2447
Weitere Tipps und Tricks z.B. zur Frühdiagnose und Therapie von Asthma und COPD und allgemein rund um akute und chronische Atemwegserkrankungen finden Sie in: Hausen Pneumologie für die Praxis, Elsevier Verlag 2017


Autor

© copyright
Dr. med. Thomas Hausen

Praxis für Allgemeinmedizin
45239 Essen

Interessenkonflikte:Der Autor hat Honorare für Beratung und Vorträge von Aerocrine, Bayer, Berlin-Chemie und Novartis erhalten.



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (6) Seite 50-53