Frage 1: Meine Patientin (75 Jahre alt) hat die erste Impfung mit Shingrix® erhalten. Einige Wochen später hat sich ein Herpes im Auge entwickelt, weshalb die Patientin seit einigen Monaten mit Aciclovir-Tabletten behandelt wird. Wann frühestens ist die zweite Gabe von Shingrix® bzw. der Neubeginn der Impfung aufgrund eines über sechsmonatigen Impfabstandes möglich? Kann man unter der Einnahme von Aciclovir impfen? | Frage 2: Ich wurde von mehreren Patientinnen gebeten, Aciclovir-Tabletten zu verordnen, da sie eine kosmetische Operation im Lippenbereich (Permanent-Make-up) durchführen lassen möchten und die Kosmetikerin ihnen die prophylaktische Einnahme von Aciclovir empfohlen hat. Ist die prophylaktische Einnahme medizinisch indiziert (mit oder ohne rezid. Lippenherpes) und kann ich Aciclovir auf Kassenrezept verordnen?

Antwort zu Frage 1

Da es sich bei Shingrix® um einen Totimpfstoff handelt, ist nicht damit zu rechnen, dass eine antivirale Therapie die Wirksamkeit der Impfung beeinträchtigt. Die Impfung kann deshalb auch während der Einnahme von Aciclovir erfolgen.

Es sollte festgestellt werden, ob es sich bei den Läsionen im Bereich des Auges um einen Herpes simplex oder einen Herpes zoster handelt. Im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Applikation von Shingrix® wurden einzelne Verdachtsfälle von Herpes zoster oder Zoster-artigen Hautläsionen gemeldet. Falls der Verdacht auf einen Herpes zoster des Auges besteht und noch Bläschen vorliegen, sollte die Patientin wenn möglich in die Studie des Paul-Ehrlich-Institutes (Referat Pharmakovigilanz S1 Studiensekretariat, Telefon: 06103 77 0 oder 06103 77 3130, Fax: 06103 7777 6180, E-Mail: Studiensekretariat-S@pei.de ) eingeschlossen werden. Hierzu sollte eine Fotodokumentation erfolgen und Bläscheninhalt zur Durchführung einer PCR auf Varicella-zoster-Virus eingeschickt werden.

Bevor die zweite Impfung erfolgt, müssen die Läsionen vollständig abgeheilt sein. Sofern es sich klinisch um einen Herpes zoster handelt, empfehle ich persönlich, mit der nächsten Impfung gegen Herpes zoster sechs Monate zu warten. Diese Empfehlung basiert allerdings nicht auf kontrollierten Studien. Hintergrund der Empfehlung ist, dass das Immunsystem der alten Patientin ausreichend Zeit haben sollte, um sich von der "Auseinandersetzung" mit dem Herpes-zoster-Virus zu erholen.

Wird die zweite Impfung nach sechs Monaten gegeben, ist die Immunantwort mindestens genauso gut wie bei einem Abstand von zwei Monaten. Falls die Impfung innerhalb von sechs Monaten nicht möglich ist, sollte sie schnellstmöglich nachgeholt werden. In diesem Fall reicht aber eine Impfung aus, die Impfserie muss also nicht erneut begonnen werden.

Antwort zu Frage 2

Aciclovir ist zur "Prophylaxe von schweren Verlaufsformen und sehr häufig rezidivierenden genitalen Herpes-simplex-Infektionen" zugelassen. Die Dosierung für diese Indikation ist bei nicht immunsupprimierten Patient:innen nach Fachinformation viermal täglich 200 mg Aciclovir im Abstand von sechs Stunden, nach Literatur ist auch eine Dosierung von zweimal 400 mg/Tag möglich. Valaciclovir ist zusätzlich "zur Behandlung und Suppression von rezidivierenden HSV-Infektionen der Augen" zugelassen. Die Dosierung beträgt einmal täglich 500 mg. Mit Aciclovir und Valaciclovir wurden in Studien signifikante Reduzierungen der Rezidivhäufigkeit des Herpes simplex labialis im Vergleich zu Placebo erzielt. Die Anwendung von Aciclovir bei rezidivierenden Herpes-labialis-Infektionen kann indiziert sein, stellt aber eine "Off-Label-Anwendung" dar. Hierüber sollte die Patientin aufgeklärt werden.

Bei immunkompetenten Patient:innen, die nicht unter rezidivierendem Herpes labialis leiden, ist eine antivirale Prophylaxe aus meiner Sicht auch bei geplanter Applikation von Permanent-Make-up nicht indiziert.

Die Anwendung eines Sonnenschutzmittels mit hohem Lichtschutzfaktor (mindestens LSF 30) verringert ebenfalls das Risiko für das Auftreten eines Herpes labialis deutlich.



Autor

Dr. Andreas Leischker

Klinik für Innere Medizin
Alexianer Krefeld GmbH
47918 Krefeld

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (7) Seite 56-57