Weltweit werden derzeit Medikamente erprobt oder entwickelt, die bei einer SARS-CoV-2-Infektion erfolgreich sein könnten. Auch Off-Label-Anwendungen besonderer Hoffnungsträger sind keine Seltenheit. Denn Studien brauchen Zeit, die man eigentlich nicht hat. Welche Kandidaten sind im Rennen und wie ist der aktuelle Forschungsstand?

Der größte Teil der laufenden Untersuchungen betrifft Medikamente, die bereits gegen eine andere Krankheit zugelassen sind. Man erhofft sich, auf diesem Weg schneller zum Ziel zu kommen als bei einer Neuentwicklung. Die forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) liefern auf ihren Internetseiten einen umfangreichen Überblick zu laufenden Projekten und Medikamentenklassen [1].

Die zugelassenen Medikamente, die sich nun für einen Einsatz gegen SARS-CoV-2 qualifizieren sollen, lassen sich in drei Gruppen einteilen:
  1. Antivirale Medikamente: Sie wurden ursprünglich gegen HIV, Ebola, Hepatitis C oder MERS (andere Coronavirus-Erkrankungen) entwickelt. Sie sollen die Vermehrung des Virus verhindern oder es davon abhalten, in Lungenzellen einzudringen. Auch alte Malariamedikamente fallen in diese Gruppe.
  2. Immunmodulatoren: Sie kommen zurzeit bei Rheumapatienten oder gegen chronisch entzündliche Darmerkrankungen zum Einsatz und sollen helfen, bei schwerem Lungenbefall die körpereigene Immunabwehr so weit auszubremsen, dass nicht noch mehr Schaden entsteht.
  3. Medikamente für Lungenkranke: Sie wurden z. B. gegen idiopathische Lungenfibrose entwickelt und sollen dazu beitragen, dass die Sauerstoffsättigung im Blut durch die Lungenschädigung nicht abfällt.

Die verschiedenen Substanzen greifen also an unterschiedlichen Stellen an und sind daher auch in unterschiedlichen Stadien der Infektion möglicherweise wirksam. Was bei frischen Infektionen helfen könnte, stellt sich möglicherweise bei schwer Erkrankten als unwirksam oder nachteilig heraus und umgekehrt.

Wo und woran wird geforscht?

Kleinere Studien, die bisher an wenigen Erkrankten und oft ohne Kontrollgruppe liefen, können keine eindeutigen Resultate liefern. Daher hatte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) gemeinsame multinationale kontrollierte und randomisierte Studien angeregt. Eine solche Studie ist SOLIDARITY, die von der WHO initiiert wurde. Zu den teilnehmenden Ländern gehören u. a. Argentinien, Brasilien, Kanada, Indonesien, Iran, Norwegen, Peru, Schweiz, Spanien, Südafrika, Thailand und Deutschland. Geprüft werden verschiedene Behandlungsoptionen, jeweils im Vergleich zur symptomatischen Grundbehandlung.

Die fünf Arme sind:
  1. Grundbehandlung allein
  2. Grundbehandlung + Remdesivir
  3. Grundbehandlung + Ritonavir/Lopinavir
  4. Grundbehandlung + Ritonavir/Lopinavir + Beta-Interferon
  5. Grundbehandlung + Chloroquin bzw. Hydroxychloroquin

Es ist geplant, ggf. unwirksame Studienarme zu beenden oder auch neue Arme mit weiteren Optionen hinzuzufügen. In Deutschland wird die SOLIDARITY-Studie koordiniert vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) [2] und dem Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL).

Weitere ähnlich konzipierte große Studien sind DISCOVERY (EU und UK) und RECOVERY (UK), die auch einen Arm mit Dexamethason enthält, und ACTT (Adaptive COVID-19 Treatment Trial) aus den USA.

Eine detaillierte Übersicht aller derzeit laufenden Studien und Projekte zu Medikamenten und Impfstoffen gegen COVID-19 findet man auf der Seite des Milken Instituts [3]. Dort sind derzeit stolze 95 Projekte zu möglichen Therapieoptionen aufgeführt mit Angaben zu bisheriger Indikation, Firma und Stadium der Studie und erwartetem Zeitpunkt für erste Ergebnisse.

Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Kategorien von Substanzen beleuchtet werden und deren prominenteste Vertreter.

Antivirale Medikamente

Remdesivir

Eine Substanz, die in letzter Zeit für viel Aufmerksamkeit sorgte, ist Remdesivir. Die Firma Gilead Sciences hat das Medikament ursprünglich für den Einsatz gegen Ebola entwickelt. Das Nukleotid-Analogon zeigte eine antivirale Aktivität in Tiermodellen und in vitro gegen neuere virale Pathogene inklusive Marburg, MERS, SARS und Ebola. Es gibt jedoch weltweit keine Zulassung für Remdesivir, für keine Indikation. Nun hat Gilead Sciences mit randomisierten Phase-III-Studien begonnen, die zunächst in acht Prüfzentren in Deutschland stattfinden. Geprüft werden Sicherheit und Wirksamkeit einer fünf- und zehn-tägigen intravenösen Anwendung von Remdesivir an Patienten mit mittelschwerer Covid-19-Infektion.

Im Rahmen von Heilversuchen wurden bereits COVID-2-Patienten mit Remdesivir behandelt. So berichteten Ärzte aus den USA von ihren Erfahrungen mit 53 hospitalisierten Patienten, die über zehn Tage Remdesivir erhielten [4]. 34 von ihnen wurden beatmet, 19 erhielten Sauerstoff. Nach im Mittel 18 Tagen hatte sich der Zustand bei 36 Patienten (68 %) gebessert. Bei acht Patienten (15 %) verschlechterte sich der Gesundheitszustand trotz Therapie und 7 verstarben (13 %). Da es sich jedoch nicht um eine kontrollierte Studie handelte und nur wenige Patienten eingeschlossen waren, lässt sich der Nutzen von Remdesivir derzeit noch nicht beurteilen.

Chloroquin und Hydroxychloroquin

Chloroquin ist bekannt als Wirkstoff gegen Malaria, wurde aber in den letzten Jahren nicht mehr oft verordnet. Nachdem Labortests gegen SARS-CoV-2 positiv verlaufen waren, meldeten chinesische Forscher auch klinische Wirksamkeit bei COVID-19-Patienten.

Auch das mit Chloroquin eng verwandte Hydroxychloroquin konnte in Zellkulturen die Vermehrung von SARS-CoV-2 hemmen. Zudem haben französische Forscher in einer Studie 20 Patienten mit positivem nasopharyngealem PCR-Test auf SARS-CoV-2 mit Hydroxychloroquin behandelt und festgestellt, dass an Tag 6 weniger Patienten im Rachenabstrich positiv getestet wurden als bei den 16 Patienten, die kein Hydroxychloroquin erhalten hatten und das Virus in der Verumgruppe zudem weniger lang nachweisbar war [5].

Die bisherigen kleinen Untersuchungen mit zum Teil angreifbarem Studiendesign lassen jedoch keine Beurteilung des klinischen Nutzens von Chloroquin oder Hydroxychloroquin zu. Dennoch kam es verbreitet zum Off-Label-Einsatz dieser Substanzen.

Einen Dämpfer musste vor Kurzem der Hoffnungsträger Hydroxychloroquin verkraften: In einer Vorveröffentlichung einer retrospektiven Studie an 368 Patienten, die wegen COVID-19 hospitalisiert waren, konnten US-Forscher keinen Vorteil einer Therapie mit Hydroxychloroquin nachweisen [6]. Die Mortalität betrug in der Verumgruppe 27,8 % und lag damit deutlich höher als in der Kontrollgruppe mit 11,4 %. Beatmet werden mussten etwa gleich viele Patienten in der Verum- und Kontrollgruppe (13,3 % vs. 14,1 %). Diese Ergebnisse würden zeigen, wie wichtig es ist, die laufenden prospektiven randomisierten und kontrollierten Studien abzuwarten, bevor das Medikament in großem Umfang eingesetzt wird, betonen die Wissenschaftler.

Weitere antivirale Substanzen, die derzeit geprüft werden, sind u. a.:
  • Leronlimab, ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der ursprünglich gegen HIV entwickelt wurde.
  • Lopinavir/Ritonavir, ein Proteaseinhibitor mit Zulassung gegen HIV.
  • Favipiravir, das eine Zulassung als Zweitlinienpräparat bei Influenza hat (in Japan und China).
  • Alpha- und Beta-Interferone: Sie hemmen die Viren nicht direkt, sondern fördern die körpereigene Immunabwehr.
  • Brilacidin wird derzeit zur Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen und Entzündungen der Mundschleimhaut erprobt.
  • Plitidepsin ist zugelassen zur Therapie des Multiplen Myeloms.
  • Camostat-Mesilat hat in Japan eine Zulassung gegen Pankreatitis.

Dämpfende Immunmodulatoren

Substanzen, die überschießende Immunreaktionen dämpfen, sind angedacht für den Einsatz bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten.

Untersucht wird zurzeit der Interleukin-6-Antagonist Sarilumab von Sanofi, der zugelassen ist für die Rheumatherapie.

Roche wirft Tocilizumab, ebenfalls ein Interleukin-6-Antagonist, zugelassen zur Therapie der Rheumatoiden Arthritis, in den Ring.

Der Immunmodulator Fingolimod von Novartis, zugelassen gegen Multiple Sklerose, wurde von chinesischen Forschern bereits erprobt. Weitere bereits zugelassene Immunmodulatoren, von denen man sich eine Wirkung gegen SARS-CoV-2 verspricht, sind Anakinra (u. a. Rheumatoide Arthritis) und Emapalumab (Hämophagische Lymphohistiozytose).

Eli Lilly hat eine Studie mit seinem Januskinase-Inhibitor Baricitinib initiiert und Novartis mit Ruxolitinib, ebenfalls ein Januskinase-Inhibitor.

Auch Dexamethason und Colchicin werden erprobt, was die Dämpfung überschießender Immunreaktionen angeht.

Medikamente für Lungenkranke

Auch in dieser Gruppe gibt es eine Reihe von Kandidaten, von denen man sich vorstellen kann, dass sie bei COVID-19-Patienten die Lungenschäden vermindern können. Dazu gehören u. a. Pirfenidon (zugelassen gegen idiopathische Lungenfibrose), Ifenprodil (neurologische Krankheiten) und Solnatide (akutes Lungenversagen).

Neue Medikamente

Unter den Neuentwicklungen gegen COVID-19 kann man drei Gruppen differenzieren:

  1. Antikörper zur Passivimmunisierung
  2. Vorhandene Projekte in frühen Stadien für antivirale Medikamente
  3. Projekte zur Neuentwicklung geeigneter Wirkstoffe

Was die Antikörper angeht, so steckt der simple Gedanke dahinter, das Blut von Patienten, die die Infektion überwunden haben, zu benutzen, um Waffen gegen das Virus zu gewinnen. Zum einen sollen Patienten direkt "Rekonvaleszentenplasma" oder daraus gewonnene Antikörper infundiert bekommen. Zum anderen versuchen eine ganze Reihe von Firmen, aus gewonnenen Antikörpern ein Medikament – ein Hyperimmunglobulin – herzustellen. Andere Unternehmen wollen sich aus Rekonvaleszentenserum die bestgeeigneten Antikörper herauspicken und sie mit biotechnischen Mitteln kopieren. Noch einen Schritt weiter gehen Forschungseinrichtungen, deren Medikamente statt dieser Antikörper-Kopien die Gene dafür in Form von mRNA enthalten sollen. Letztere Methode soll den Vorteil haben, auf diese Weise schneller größere Mengen an Medikamenten herstellen zu können. Allerdings betreten die Forscher damit komplettes Neuland.

Zur Gruppe 2 gehören die sogenannten Alpha-Ketoamide, die von Forschern der Universität Lübeck als antivirale Wirkstoffe gegen Corona- und Enteroviren entwickelt wurden und sich jetzt gegen SARS-CoV-2 bewähren sollen.

Zur Entwicklung neuer Medikamente (Gruppe 3) haben sich eine Reihe großer Pharmafirmen wie Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Eisai, Eli Lilly, Gilead, MSD, Novartis, Pfizer und Sanofi zusammengeschlossen. Deren Sammlungen von Molekülen, für die bereits Daten zu Sicherheit und Wirkungsweise vorliegen, sollen systematisch getestet und für aussichtsreiche Kandidaten kurzfristig Tierversuche gestartet werden.


Literatur



Autorin:
Dr. med. Vera Seifert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (9) Seite 38-41