„Torhüter Iker Casillas außer Lebensgefahr nach Herzinfarkt“, schrieb die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung im Mai 2019. Obwohl in der Primär- und Sekundärprophylaxe der Koronaren Herzerkrankung (KHK) sportliche Aktivität eine zentrale Rolle spielt, liest man immer wieder Negatives, wie eben über den Herzinfarkt des ehemaligen Welttorhüters Iker Casillas im Mannschaftstraining, der auch ein potenzielles kardiovaskuläres Risiko durch Sport aufzeigt. Regelmäßige Belastungstests, gegebenenfalls bildgebende Kontrollen und die Beachtung individueller Risikofaktoren können bei Herzpatienten jedoch eine hohe Sicherheit von Sport, sogar bis hin zum Wettkampfsport, liefern.

Nach heutiger Studienlage überwiegen klar die protektiven Wirkungen von Sport auf das Herz-Kreislauf-System gegenüber potenziellen Risiken. Ein auf das individuelle Risikoprofil angepasste Sportprogramm sollte man bei Herzpatienten rasch initiieren.

Kardioprotektion durch Sport

Primärprävention

Die positiven Effekte sportlicher Aktivität auf die körperliche und seelische Gesundheit zeigen sich in einer Vielzahl von Studien. Der systemische Einfluss von Sport verbessert signifikant die kardiovaskulären Risikofaktoren (CVRF) mit Optimierung des Blutdruckprofils, Senkung des HbA1c und der Cholesterinwerte sowie mit anti-inflammatorischen Effekten und Gewichtsreduktion [1]. Sportliche Aktivität erhöht zudem die körperliche Leistungsfähigkeit und die aerobe Kapazität [1]. Eine Reduktion des Trainingsumfangs hingegen erhöht das Risiko für einen Myokardinfarkt [2]. Tabelle 1 zeigt die generellen Empfehlungen der American Heart Association (AHA) für sportliche Betätigung im Alltag zur Primärprävention bei Erwachsenen [3], Abb. 1 den Nutzen von Sport auf Herz und Organismus in Primär- und Sekundärprävention.

Sekundärprävention

Auch bei bereits manifester KHK und nach Myokardinfarkt bewirkt Sport zusätzlich zur Optimierung der CVRF (vgl. Primärprävention) wünschenswerte vaskuläre und kardiale Effekte: In tier- und humanexperimentellen Studien konnte sportliche Aktivität die ventrikuläre Auswurfleistung, die Kollateralisierung von Koronargefäßen und die Endothelfunktion verbessern sowie eine Rückbildung von atherosklerotischen Plaques und eine verminderte Rate von Restenosen bewirken [1]. Sport verbessert auch den zellulären kardialen Metabolismus, induziert die Neubildung kardialer Mitochondrien und reduziert den Ausprägungsgrad neuer Ischämien [4]. Regelmäßige körperliche Aktivität senkt die Wahrscheinlichkeit für einen Re-Infarkt und reduziert die Gesamtmortalität nach Myokardinfarkt um 79 – 89 % [5].

Kardiale Gefahren durch Sport

Plötzlicher Herztod (SCD), Myokardinfarkt oder maligne Herzrhythmusstörungen in Zusammenhang mit Sport – darauf liegt jedoch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Sportinduzierte Plaquerupturen, endotheliale Erosionen, Hyperkoagulabilität werden dabei im Rahmen der sportlichen Exsikkose und Thrombozytenaktivierung als Kausalität in Erwägung gezogen [6, 7].
Daten aus Observationsstudien zeigen ein möglicherweise erhöhtes Mortalitätsrisiko durch hochintensive sportliche Betätigung bei KHK-Patienten [8]. Hier scheint das Risiko vor allem dann stark erhöht zu sein, wenn untrainierte Patienten sich extrem hoher und ungewohnter Belastung aussetzen. An hohe Belastung adaptierte Patienten mit regelmäßiger Belastungsfrequenz (mindestens 5 x/Woche) haben hingegen ein deutlich reduziertes Myokardinfarktrisiko [9]. Das individuelle Risiko ist abhängig vom jeweiligen Profil der kardiovaskulären Risikofaktoren, dem persönlichen Trainingszustand und der ausgeübten Sportart. Kraftsport und extreme Ausdauersportarten bergen hier ein höheres Risiko [7].

Allgemeine Empfehlungen der AHA für Sport im Alltag bei Erwachsenen (2018) [3]
  • Mindestens 150 min/Woche moderates aerobes Training oder 75 min/Woche starkesaerobes Training oder eine Kombination aus beiden, möglichst verteilt über die Woche
  • Zusätzlich moderates bis hochintensives Krafttraining an mindestens 2 Tagen/Woche
  • Zeit im Sitzen beschränken
  • Nutzen wird weiter erhöht bei Aktivitäten über 300 min/Woche
  • Umfang und Intensität über die Zeit steigern

Sport bei KHK wird daher oft als zweischneidiges Schwert betrachtet – mit positiven Effekten in der Primär- und Sekundärprävention, aber auch mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei hoher Belastungsintensität und fehlender Trainingsadaptation. Wie sich KHK-Patienten sportlich betätigen dürfen und sollten, zeigen folgende Empfehlungen.

Empfehlungen bei KHK

2019 überarbeitete die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) ihre Leitlinie der stabilen KHK [10] und brachte ein Positionspapier für die sportliche Betätigung bei KHK heraus [7]. Aufgrund der mannigfaltigen positiven Gesundheitseffekte zielen diese Empfehlungen darauf ab, die sportliche Ertüchtigung im Rahmen der wichtigen Primär- und Sekundärprävention mit einem ausreichenden Sicherheitsnetz für die koronar erkrankte Individualperson zu fördern und nur dann einzuschränken, wenn das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse substanziell hoch oder ein Progress der KHK anzunehmen ist. Man sollte jedoch beachten, dass diese Hinweise aufgrund fehlender Evidenz vor allem auf klinischen Erfahrungen und Expertenmeinungen beruhen. Die folgenden Empfehlungen orientieren sich am Positionspapier der ESC. Abb. 2 zeigt einen Algorithmus zur Evaluation der Sporttauglichkeit bei suspekter, aber noch nicht vorbekannter und bekannter KHK.

Patienten mit suspekter KHK

Mit zunehmendem Alter der Sportler steigt naturgemäß die Wahrscheinlichkeit für eine – oftmals subklinische – Koronare Herzkrankheit. Bei hohem Risiko für eine KHK wird diagnostisch an erster Stelle ein ergometrischer Belastungstest (Ergometrie, Spiroergometrie) empfohlen, der wichtige Parameter wie maximale Belastungskapazität, Blutdruckverhalten und EKG-Veränderungen sowie belastungs-induzierte Arrhythmien liefert. Bei unklarem Befund oder fehlender Aussagekraft (z. B. bei vorbestehendem Linksschenkelblock) ist zusätzlich ein bildgebender Stresstest (Stressechokardiografie, Stress-MRT, Myokardszintigrafie o. Ä.), bei positiven Befunden eine CT-Angiografie und/oder Koronarangiografie zu empfehlen.

Bekannte KHK

Bei vorbekannter KHK sollten die genannten Belastungstests erfolgen, bei positiven Ischämiezeichen eine Koronarangiografie mit koronarer Revaskularisierung. Sportler mit stabiler KHK und niedrigem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (linksventrikuläre Ejektionsfraktion, kurz: LVEF > 50 %, normale Belastungskapazität, keine Arrhythmien oder Ischämiezeichen, Koronarstenosen < 70 %) dürfen auch Wettkampfsport machen. Nach individueller Risikoabwägung sollte man gegebenenfalls extreme Kraft- und Ausdauersportarten einschränken.

Red Flags für hohes Risiko bzgl. kardialer Ereignisse beim Sport [7]
  • Linksventrikuläre Ejektionsfraktion < 50 %
  • Belastungsinduzierte Ischämiezeichen (horizontale oder deszendierende ST-Senkung oder ST-Hebung > 0,1 mV oder neuer Linksschenkelblock) bei geringer Belastungsintensität oder in Nachbelastungsphase
  • Pathologische Dyspnoe/Angina bei geringerer Belastung, belastungsinduzierter Schwindel oder Synkope
  • Häufige ventrikuläre Tachyarrhythmie (nSVTs, polymorphe u/o häufige VES) im Ruhe- oder Belastungs-EKG
  • Bekannte Koronarstenose der großen Koronararterien (> 70 %) oder Hauptstammstenose (> 50 %)
  • Größere Myokardnarbe in MRT-Bildgebung

Sportler mit persistierenden Ischämiezeichen oder mit sogenannten Red Flags (Tabelle 2) für ein deutlich erhöhtes Risiko bezüglich der Entwicklung kardialer Ereignisse bei sportlicher Aktivität sollte man zumindest vorübergehend vom Wettkampfsport ausschließen. Freizeitsport geringerer Intensität ist jedoch nach abgeschlossener Koronardiagnostik in den meisten Fällen möglich und empfohlen.

Frische Revaskularisierung und kürzlich aufgetretener Myokardinfarkt

Nach koronaren Ereignissen lässt sich ohne Verzögerung ein Trainingsaufbauprogramm im Rahmen der Rehabilitationsphase beginnen. Nach Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) oder bei stabiler KHK lässt sich nach kompletter Revaskularisierung die Trainingsintensität schneller steigern als nach ST-Hebungsinfarkt (STEMI). Eine Wiederaufnahme von Wettkampfsport ist nur bei niedrigem Risiko für ein erneutes koronares Ereignis und frühestens nach drei Monaten empfohlen. Kontaktsportarten sollte man wegen des erhöhten Blutungsrisikos unter dualer Plättchenhemmung vermeiden.

Sonderformen der Myokardischämie

Hochintensiver Sport sollte nicht bei Koronaranomalie und malignem Verlauf der Arterie zwischen Aorta ascendens und Pulmonalarterie erfolgen. Nach operativer Korrektur und bei fehlendem Nachweis einer belastungsinduzierten Ischämie ist jeglicher Sport, auch auf Wettbewerbsebene, möglich. Neigt der Patient zu Koronardissektionen, sollte er ebenfalls höher-intensive Sportarten und Wettkampfsport meiden, Freizeitsport ist möglich. Asymptomatische Myokardbrücken ohne belastungsinduzierte Ischämie oder Arrhythmien sind keine Kontraindikationen für Sport oder Leistungssport. Bei symptomatischen Myokardbrücken mit belastungsinduzierten Ischämiezeichen sollten die Patienten auf Wettkampfsport verzichten und auch vor Freizeitsport therapiert werden (medikamentöse Therapie, Op.).

Fazit für die Praxis
Genau 61 Tage nach seinem Myokardinfarkt nahm Iker Casillas das Mannschaftstraining wieder auf. Diese Nachricht und die Empfehlungen der ESC sollten uns dazu ermutigen, Sport bei KHK aufgrund der überwiegenden und klaren Vorteile gegenüber potenziellen Risiken – abgesichert durch regelmäßige funktionelle kardiale Belastungstests und mit einem laut "informed consent" eingebundenen Patienten – weiter zu fördern. Dem Freizeitsport von niedriger Intensität stehen in aller Regel keine Hindernisse gegenüber. Bei hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse sollte man auf Wettkampfsport jedoch verzichten.


Literatur
1. Bruning, R.S.; Sturek, M. Benefits of exercise training on coronary blood flow in coronary artery disease patients. Progress in cardiovascular diseases 2015, 57, 443-453, doi:10.1016/j.pcad.2014.10.006.
2. Petersen, C.B.; Gronbaek, M.; Helge, J.W.; Thygesen, L.C.; Schnohr, P.; Tolstrup, J.S. Changes in physical activity in leisure time and the risk of myocardial infarction, ischemic heart disease, and all-cause mortality. European journal of epidemiology 2012, 27, 91-99, doi:10.1007/s10654-012-9656-z.
3. Piercy, K.L.; Troiano, R.P.; Ballard, R.M.; Carlson, S.A.; Fulton, J.E.; Galuska, D.A.; George, S.M.; Olson, R.D. The Physical Activity Guidelines for Americans. Jama 2018, 320, 2020-2028, doi:10.1001/jama.2018.14854.
4. Schuttler, D.; Clauss, S.; Weckbach, L.T.; Brunner, S. Molecular Mechanisms of Cardiac Remodeling and Regeneration in Physical Exercise. Cells 2019, 8, doi:10.3390/cells8101128.
5. Steffen-Batey, L.; Nichaman, M.Z.; Goff, D.C., Jr.; Frankowski, R.F.; Hanis, C.L.; Ramsey, D.J.; Labarthe, D.R. Change in level of physical activity and risk of all-cause mortality or reinfarction: The Corpus Christi Heart Project. Circulation 2000, 102, 2204-2209, doi:10.1161/01.cir.102.18.2204.
6. Brunner, S.; Rizas, K.; Hamm, W.; Mehr, M.; Lackermair, K. Effect of Physical Exercise on Platelet Reactivity in Patients with Dual Antiplatelet Therapy. International journal of sports medicine 2018, 39, 646-652, doi:10.1055/a-0631-3302.
7. Borjesson, M.; Dellborg, M.; Niebauer, J.; LaGerche, A.; Schmied, C.; Solberg, E.E.; Halle, M.; Adami, E.; Biffi, A.; Carre, F., et al. Recommendations for participation in leisure time or competitive sports in athletes-patients with coronary artery disease: a position statement from the Sports Cardiology Section of the European Association of Preventive Cardiology (EAPC). European heart journal 2019, 40, 13-18, doi:10.1093/eurheartj/ehy408.
8. Mons, U.; Hahmann, H.; Brenner, H. A reverse J-shaped association of leisure time physical activity with prognosis in patients with stable coronary heart disease: evidence from a large cohort with repeated measurements. Heart 2014, 100, 1043-1049, doi:10.1136/heartjnl-2013-305242.
9. Thompson, P.D.; Franklin, B.A.; Balady, G.J.; Blair, S.N.; Corrado, D.; Estes, N.A., 3rd; Fulton, J.E.; Gordon, N.F.; Haskell, W.L.; Link, M.S., et al. Exercise and acute cardiovascular events placing the risks into perspective: a scientific statement from the American Heart Association Council on Nutrition, Physical Activity, and Metabolism and the Council on Clinical Cardiology. Circulation 2007, 115, 2358-2368, doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.107.181485.
10. Knuuti, J.; Wijns, W.; Saraste, A.; Capodanno, D.; Barbato, E.; Funck-Brentano, C.; Prescott, E.; Storey, R.F.; Deaton, C.; Cuisset, T., et al. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. European heart journal 2019, 10.1093/eurheartj/ehz425, doi:10.1093/eurheartj/ehz425.



Autoren:

Dr. med. Dominik Schüttler

Dr. med. Ludwig Weckbach, Prof. Dr. med. Stefan Brunner
Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik und Poliklinik 1
80336 München

Interessenkonflikte: SB hat ein Beraterhonorar von Bayer erhalten, DS und LW: keine Interessenkonflikte



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (4) Seite 16-20