Das sind wahrlich keine guten Perspektiven: Unter den derzeit tätigen Hausärzt:innen ist jede dritte 60 Jahre oder älter und steuert allmählich dem Ruhestand entgegen. Jedoch rücken bei einem jährlichen Abgang von ca. 1.700 hausärztlichen Versorger:innen lediglich rund 1.300 neue Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin pro Jahr nach.

Ein Primärarztsystem wäre wünschenswert

Ist die Sicherung der hausärztlichen Versorgung da überhaupt noch möglich? Welche Handlungsoptionen verbleiben? Um das herauszufinden, hat das Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie der Universitätsmedizin Mainz 64 qualitative Interviews mit Hausärzt:innen (38 in Einzelpraxen und 26 in Gemeinschaftspraxen) geführt. Wie sehen die priorisierten Maßnahmen zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung aus Sicht der Hausärzt:innen aus? Da gibt es auf den ersten Blick neben den bekannten Verbesserungen in der Aus- und Weiterbildung sehr interessante Ergebnisse. Abgestuft sehen die so aus:

  • Sehr wirksam: Stärkung und Effektivierung der hausärztlichen Stellung im Gesundheitswesen (insbesondere durch Einführung eines Primärarztsystems)
  • Eher wirksam: Verstärkter Aufbau von multiprofessionellen Zentren der ambulanten (Primär-)Versorgung
  • Begrenzt wirksam: Delegation und verstärkter Einsatz nichtärztlicher Gesundheitsberufe
  • Begrenzt bis geringfügig wirksam: Durchgehende bundesweite Einrichtung einer Landarztquote und grundlegende Aufwertung der Vergütung von Hausärzt:innen
  • (Sehr) geringfügig wirksam: Verstärkter und systematischer Einsatz von Digitalisierung und Telemedizin (u. a. Videosprechstunden, Ausweitung der Berechtigung zu hausärztlicher Tätigkeit für Quereinsteiger:innen)

Hinter diesen Antworten stecken überraschend klare Botschaften, die deutlich vom politischen Mainstream abweichen. Hausärzt:innen geht es eher darum, ihre strukturelle Position zu stärken. Im Einklang mit dem Sachverständigenrat und der DEGAM siedeln sie die Einrichtung eines Primärarztsystems ganz oben an. Zitat eines Hausarztes: "Das Gesundheitssystem muss hier vom Kopf auf die Füße gestellt werden."

Skepsis bei Plänen der Politik

Im Gegensatz zur Politik wird die Landarztquote von den Interviewten nur als begrenzt hilfreich empfunden. Und die Interviewten sind auch bei der Frage der Delegation eher zurückhaltend und beim vermehrten Einbezug von mehr Quereinsteiger:innen für die Hausarztmedizin sogar stark zurückhaltend.

Dass der systematische Einsatz von Digitalisierung und Telemedizin als (sehr) geringfügig wirksam angesehen wird, hat sicher auch mit dem Durchschnittsalter der Befragten (55 Jahre) zu tun. Aber auch damit, dass den Hausarztpraxen vorschnell immer wieder andere digitale Lösungen aufgebürdet werden, die den Praxisalltag enorm erschweren. Fazit: Wahrlich keine rosigen Perspektiven,


... meint auch Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (9) Seite 30