Es ist nicht mehr zu leugnen: Nicht nur der Hitzestress direkt, sondern auch andere durch den Klimawandel bedingte Folgen wie hohe Ozonkonzentrationen oder erhöhte Feinstaubkonzentrationen während der Hitzeperioden sind für eine erhöhte herzkreislaufbedingte Morbidität und Mortalität verantwortlich. Dieser Trend ist nur noch dann zu stoppen, wenn die Klimaerwärmung tatsächlich noch auf 1,5 Grad reduziert werden kann.

Brennpunkt Klima
Arztpraxen sind zwar geeignete, bislang jedoch auf breiter Ebene kaum genutzte Anlaufstellen für die Förderung des klimabedingten Gesundheitsschutzes. Doch wie können Hausärzt:innen ihrer Multiplikatorenfunktion gerecht werden und dies in praktisches Handeln überführen? In einer 12-teiligen Serie greift doctors today diese und andere Fragen auf und liefert hierzu Fakten, Orientierung und praxisnahes Handlungswissen.

Beste Belege hierfür liefert für Deutschland das Augsburger Herzinfarktregister. Darin werden seit 1985 sämtliche Herzinfarktfälle der 25- bis 84-jährigen Einwohner:innen der Stadt Augsburg erfasst. Dabei sind alle in der Region aufgetretenen tödlichen und nichttödlichen Herzinfarkte (über 27.000 Herzinfarktfälle) zwischen 1987 und 2014 einbezogen worden. Das Durchschnittsalter der Betroffenen betrug 63 Jahre. 73 % davon waren Männer und rund 13.000 Fälle endeten tödlich.

Je heißer, desto höher das kardiale Risiko

Um den Einfluss von Klimafaktoren näher zu determinieren, sind die einzelnen Infarkte gemeinsam mit den meteorologischen Daten des jeweiligen Tages und der vorangegangenen Tage verknüpft worden. Die Ergebnisse aus dem Zeitraum 1987 bis 2000 wurden anschließend mit denen zwischen 2001 und 2014 verglichen. Dabei kam es zu dem eindeutigen Ergebnis, dass das Herzinfarktrisiko mit zunehmender täglicher Durchschnittstemperatur im zweiten späteren Untersuchungszeitraum stärker ansteigt als im Zeitraum davor. Konkret hat sich herausgestellt, dass

  • in einem emissionsarmen Szenario bei einer globalen Erwärmung um 1,5° C die Zahl der temperaturbedingten Herzinfarkte mit minus 6 Fällen pro Jahrzehnt sogar leicht abnehmen würde,
  • es bei einer globalen Erwärmung um 2° C hingegen pro Jahrzehnt einen Anstieg hitzebedingter Herzinfarkte von 54 Fällen geben wird,
  • es bei einem Anstieg um 3° C gar zu einem Anstieg von 109 Herzinfarkt-Ereignissen in Augsburg und Umgebung kommt.

Die Schätzungen bezüglich hitzebedingter Herzinfarkte sind statistisch signifikant. Bestimmte Personengruppen sind dabei besonders gefährdet. Zum Beispiel Patient:innen mit vorbestehendem Herzinfarkt oder bekannter kardiovaskulärer Grunderkrankung, die ausgesprochen vulnerabel auf schädliche Kurzzeiteffekte von Temperaturanstiegen reagieren. Oder Patient:innen mit bereits durchgemachten schwerwiegenden Krankheitsverläufen wie z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwächeepisoden oder diejenigen mit Risikofaktoren hierfür (Diabetes, Bluthochdruck, Adipositas, Hypercholesterinämie, Rauchen). Diese polymorbiden Patient:innen nehmen häufig eine ganze Palette an Medikamenten ein. Mit gravierenden Folgen, wenn hitzebedingte Perioden vermehrt auftreten. Zum Beispiel können Medikamente durch Hitze in ihrer Wirkung verstärkt Herz-Kreislauf-Notfälle induzieren, etwa durch das Auslösen von Hochdruckkrisen. Oder es kann durch Hitzeeinwirkung zu eine
m reduzierten Adaptationsmechanismus des Körpers kommen und sich so ein vermehrtes Nebenwirkungspotenzial entfalten.

Die Botschaft der Augsburger Wissenschaftler:innen ist klar: Nur unter Garantie der strikten Eindämmung der globalen Erwärmung auf 1,5° C können weitere durch den Klimawandel verursachte zusätzliche Herzinfarkte oder kardial bedingte Todesfälle vermieden werden. Um Herz-Kreislauf-Risikofaktoren zu reduzieren, müssten zudem Lärm und Luftverschmutzung dringend reduziert werden, da diese eine Aktivierung des autonomen und endokrinen Systems bewirken.

Hitze erhöht das Risiko, an Herzerkrankungen zu sterben
Eine im April 2022 vorgestellte Studie der University of Pennsylvania brachte ein alarmierendes Ergebnis zutage: Die zunehmend extreme Hitze in den USA führt zu immer mehr Todesfällen.Das Wissenschaftlerteam hat dabei Temperaturtrends und herzbedingte Todesfälle in allen 3.108 Landkreisen der Vereinigten Staaten analysiert. Die Forscher:innen ermittelten zunächst die durchschnittliche tägliche Höchsttemperatur für jeden Bezirk zwischen 1979 und 2007 und anschließend die Tage extremer Hitze zwischen 2008 und 2017 (Tage mit Temperaturen von 32 Grad Celsius oder mehr). Zwischen 2008 und 2017 war jeder weitere Tag extremer Hitze in einem Monat mit einem Gesamtanstieg der Todesfälle durch Herzerkrankungen um 0,13 % verbunden. Dies führte zu durchschnittlich 600 bis 700 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr. Zwei Gruppen waren dabei besonders gefährdet. So führte jeder zusätzliche Hitzetag bei Männern zu einem Anstieg herzbedingter Todesfälle um 0,21 %, da diese vermehrt in Sektoren wie Baugewerbe und Landwirtschaft arbeiten, in denen sie dauerhaft anhaltenden Hitzeexpositionen ausgesetzt sind. Bei Afroamerikanern betrug der Anstieg gar 0,27 %. Bei Frauen gab es hingegen keinen solchen signifikanten Zusammenhang.Das Fazit der Autor:innen fällt ernüchternd aus. Der Klimawandel und die daraus resultierenden Hitzewellen haben vieles auf den Kopf gestellt. Und die kardiovaskuläre Gesundheit ist davon ganz besonders betroffen. (ras)

Was Hausärzt:innen tun können

Doch wie könnten nun Allgemeinärzt:innen ihre Patient:innen – unabhängig von politischen Maßnahmen wie der Eindämmung der Erderwärmung oder der Reduzierung von Feinstaub – gegen diese vielfältigen Gefahren in Zukunft besser vorbereiten?

Eine Möglichkeit könnte ein Smartphone-basiertes Ampelsystem in Form einer App sein, schlägt der Versorgungsreport "Klima und Gesundheit 2021" des Wissenschaftlichen Instituts der AOK vor. Damit wäre es möglich, Risikopatient:innen bzw. deren Angehörige sowie die behandelnden Ärzt:innen (und Pflegeeinrichtungen) zu registrieren. Ähnlich wie die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes können in der App Vorhersagen zu gesundheitsgefährdenden Witterungsbedingungen angezeigt werden. Zudem könnte die App die Anwender:in über zu treffende Hitzeschutzmaßnahmen informieren. Für Allgemeinärzt:innen, aber auch für Patient:innen wäre es zudem hilfreich, wenn in der App Checklisten bereitgestellt würden, die die Einnahme von kritischen Medikamenten abfragen. Dabei sollte auch eine direkte Eingabe der eingenommenen Medikamente/Wirkstoffe möglich sein. Falls kritische Witterungs- oder Klimabedingungen auftreten, könnte die App dann zum Beispiel diejenigen Herz-Kreislauf-Präparate anzeigen, die dann – in enger Abstimmung mit der Hausärzt:in – umgehend ausgesetzt, ersetzt oder mit geringerer
Dosierung weiter eingenommen werden können. Die App wäre einen Versuch wert. Sie müsste
dann aber unbedingt die begrenzten digitalen Potenziale gerade älterer Patient:innen berücksichtigen.

Literatur beim Verfasser


Autor

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (8) Seite 30-31