Das Thema Planetare Gesundheit (Planetary Health) ist als Konzept bislang in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) nicht strukturell verankert. Dabei bestehen hinsichtlich der Diversität des Mikrobiomes des HNO-Fachgebietes zwei von sechs Einflussgrößen aus genau solchen Faktoren: Klima und geographische Regionen. Doch welche Erkenntnisse liegen dazu aktuell konkret vor, die für Hausärzt:innen in der täglichen Praxis von Bedeutung sind?

Brennpunkt Klima
Arztpraxen sind zwar geeignete, bislang jedoch auf breiter Ebene kaum genutzte Anlaufstellen für die Förderung des klimabedingten Gesundheitsschutzes. Doch wie können Hausärzt:innen ihrer Multiplikatorenfunktion gerecht werden und dies in praktisches Handeln überführen? In einer 12-teiligen Serie greift doctors|today diese und andere Fragen auf und liefert hierzu Fakten, Orientierung und praxisnahes Handlungswissen.

Insbesondere die Luftverschmutzung mit deutlicher Zunahme der gering dimensionalen Schwebstoffe und die zunehmende Lärmbelastung führen zu einer Zunahme der Erkrankungen in unserem Fachgebiet", stellt PD Dr. Achim G. Beule aus der HNO-Universitätsklinik Münster im aktuellen Band "Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän" fest. Bei der Berücksichtigung ökologischer Zusammenhänge würden jedoch zumeist die Atemwegserkrankungen im Vordergrund stehen. Das sei jedoch nicht sachgerecht. Die Bedeutung eines veränderten Mikrobioms als Ursache veränderter immunologischer Abläufe bis hin zu Onkogenese mit zunehmend häufigeren HPV-assoziierten Pharynxtumoren werde oft nicht angemessen berücksichtigt.

Feinstaub fördert Rhinosinusitis & Co

Doch wie sieht der Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und vermehrten HNO-Erkrankungen nun konkret aus? Die Verbrennung von Treibstoffen, Kohle, Tabak, aber auch von Holz führt in ihrer Summe zu einer gesundheitsgefährdenden Feinstaubbelastung durch Partikel im Nanometerbereich. Doch das respiratorische Epithel im Bereich von Nase, Nasennebenhöhlen, Kehlkopf und Luftröhre wird vor allem durch Luftpartikel mit einem Durchmesser von weniger als 15 µm belastet, erläutert Beule. Dieser Feinstaub ist dazu imstande, die Filterfunktion der Nase zu beeinflussen oder mitunter gar weitgehend außer Funktion zu setzen. Auf diese Weise könnten Erkrankungen wie Rhinosinusitis, Pharyngitis und Laryngitis oder Krankheiten im Bereich der unteren Atemwege begünstigt werden. Die reduzierte Filterfunktion der Nase spielt zudem eine nicht unbeträchtliche Rolle für Erkrankungen im Bereich von Nase und Nasennebenhöhlen. Patient:innen, die davon betroffen sind, weisen die folgenden Symptome auf: eine behinderte Nasenatmung, ein Post-Nasal-Drip-Syndrom, eine Riechstörung, eine wiederkehrende nasale anteriore Sekretion oder lokale Missempfindungen wie Gesichtsdruck oder Kopfschmerzen.

Chronische Rhinosinusitis – auch Schadstoffe spielen eine Rolle
Aus den Ergebnissen einer Untersuchung zur Prävalenz der chronischen Rhinosinusitis in Europa wird deutlich, dass die Inzidenz auch von Umweltbelastungen in einer Region abhängt. So ergaben sich signifikante Unterschiede bei der Prävalenz der chronischen Rhinosinusitis für die Regionen Duisburg (14,1 %) und Brandenburg (6,9 %). Die Erklärung hierfür liegt auf der Hand: Die Stadt Duisburg weist als industrieller Standort eine höhere Exposition von Noxen auf als das ländliche Brandenburg. Die sich deutlich unterscheidende Krankheitshäufigkeit lässt sich mit der Zunahme von Schadstoffen zwar nicht allein erklären, spielt aber in jedem Fall eine nicht zu unterschätzende Rolle. (ras)

Was Hausärzt:innen tun können

Die Folgen dürften auch für viele Allgemeinärzt:innen überraschend sein: Denn aus all diesen Zusammenhängen folgt, dass Eingriffe im Bereich der Nasenscheidewand und der Nasenmuscheln zu den 10 häufigsten operativen Eingriffen in Deutschland zählen. Und es können auch vermehrt andere Schleimhaut-assoziierte Erkrankungen wie die chronische Tonsillitis auftreten. Darüber hinaus weist der Planetary Health Report auf Zusammenhänge zwischen den Klimaveränderungen und dem Auftreten von Kopf-Hals-Tumoren hin. So werde das Neuauftreten viraler Krankheitserreger als negative Folge der anthropogenen Schädigung der Ökosysteme angesehen. So gehe die Infektion mit dem HP-Virus mit einer Zunahme der Pharynxtumoren einher. Vor diesem Hintergrund zeigt sich eine besondere Verantwortung für (Allgemein)-Mediziner:innen, das Konzept der Planetaren Gesundheit auch in der ärztlichen Praxis umzusetzen. Dafür gibt es drei Ansatzpunkte:

  • Einsatz einer rationalen HNO-Diagnostik mit starren und flexiblen Endoskopen. Minimalinvasiv ist so die visuelle Darstellung auch kleinster Veränderungen zuverlässig möglich. Damit stellt sich als Folge des größeren Einsatzes von Einmalmaterial und der damit assoziierten Umweltbelastung die berechtigte Frage, ob in jedem Fall künftig das flexible Nasopharyngoskop das Untersuchungswerkezeug der Wahl darstellt.
  • Um gerade HNO-medizinische Applikationen weiter zu optimieren, kann z. B. durch fortlaufende Erinnerungen an die Einnahme von Medikamenten oder die wiederholte Befragung typischer Symptome im Krankheitsverlauf die Behandlung gerade chronischer Erkrankungen wie etwa der nichtallergischen Rhinitis, der chronischen Rhinosinusitis oder von Kopf-Hals-Tumoren weiter optimiert werden. Auch das hat spürbare ökologische Effekte, weil durch eine bessere Compliance der Einsatz unnötiger Ressourcen vermieden oder reduziert werden kann.
  • Um die Zahl der Patientenkontakte und Mobilitäts-assoziierte Emissionen zu verringern, sollten vermehrt die Potenziale der telemedizinischen Behandlung genutzt werden. Sinnvoll ist auch der vermehrte Einsatz digitaler Arztbriefe als Standard für den innerärztlichen Informationsaustausch. Auch der digitalisierte Befundaustausch, wie er durch das eHealth- Gesetz zumindest eingeleitet worden ist, sollte vorangetrieben werden.

Schließlich könnten auch mit der besseren Verzahnung von Hausärzt:in und HNO-Ärzt:in in ökologischer Sicht erhebliche Ressourcen eingespart werden. Zum Beispiel mit dem Ausbau der Hausarztzentrierung oder entsprechender Verträge, die vielfaches Ärztehopping und damit Zeit und Energien einsparen.

Literatur beim Verfasser


Autor

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (12) Seite 26-27