Wer heute an Impfungen denkt oder darüber etwas liest, landet zwangsläufig bei der Impfung gegen SARS-CoV-2. Völlig aus dem Blick geraten ist hingegen, dass es noch viele weitere Impfungen gibt, die auch schon vor der Pandemie vernachlässigt wurden.

Diese Impflücken zu schließen, das haben schon 2021 Dr. Anja Kwetkat vom Uniklinikum Jena und weitere Vertreter der AG Impfen der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie zur obersten Priorität erhoben. Für 2022 gilt dies erst recht. Insbesondere für die Altersgruppe 60 plus für die Impfungen gegen Influenza (jährlich), Pneumokokken und Herpes Zoster.

Alarmierende Impflücken

Und gerade hier gibt es große Defizite, die sich nach zweijähriger Corona-Pandemie noch wesentlich verschärft haben. Darauf macht nun der niedergelassene Allgemeinarzt und Facharzt für Reise- und Tropenmedizin Dr. Markus Frühwein aus München aufmerksam. Denn die Daten, die Frühwein aus GKV-Abrechnungsdaten zusammengetragen hat, sind alarmierend: So ist die Inanspruchnahme von Routineimpfungen seit Beginn der COVID-19-Impf-
aktionen 2021 im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel (April bis Juli) zurückgegangen. Noch düsterer sieht die Impfbilanz bei der empfohlenen Pneumokokken-Schutzimpfung – gerade bei Erwachsenen ab 60 Jahren und Patient:innen mit chronischen Erkrankungen – aus. Hier sind die Zahlen eingebrochen – um fast 60 % von Januar bis Juli 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Und zappenduster sieht es bei den Immunsupprimierten aus. Nur 6 % aus dieser Patientengruppe haben laut Frühwein die erste Impfung mit der 13-valenten Konjugat-Vakzine erhalten, noch weniger die Zweitimpfung.

Das Dilemma ist also groß, doch was tun? Vielleicht kommt da jetzt das Innovationsfondsprojekt ALIVE ("ALtersspezifische Impfinanspruchnahme VErbessern") genau zur rechten Zeit. Dieses Projekt haben der Verband der Ersatzkassen (vdek), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die KVen Schleswig-Holstein, Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie das Communication Lab Erfurt aus der Taufe gehoben. Damit sollen alle durch die STIKO empfohlenen Impfungen bei Personen ab 60 Jahren – vor allem gegen Influenza und Pneumokokken – stärker als bislang in den Fokus gerückt werden.

Gezielte Impfansprache durch Hausärzt:innen

Und wie soll das passieren? Durch eine gezielte Impfansprache in der Arztpraxis. Dazu werden für Ärzt:innen und Medizinische Fachangestellte Online-Fortbildungen entwickelt und Standardprozesse zu Impfansprache, -abläufen und -erinnerungen – insbesondere für Patient:innen in der Hausarztpraxis und Pflegebedürftige – etabliert. Die Umsetzung soll modellhaft in hausärztlichen Praxen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein erfolgen. Das ist ein wichtiger Anstoß, der jedoch allein nicht ausreichen wird. Denn auch für alle anderen Allgemeinärzt:innen sollte es nun wieder zur Routine gehören, in der täglichen Praxis an Routineimpfungen zu denken,


...meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (2) Seite 30