Im Zuge der Corona-Pandemie versuchen einige Landesregierungen über neue Epidemiegesetze ihren Einfluss und ihre Befugnisse auszubauen, um so auch im Gesundheitswesen Zwangsmaßnahmen vornehmen zu können. Ärzteverbände sind entsetzt und üben heftige Kritik an dieser Vorgehensweise der Politik."

Das Coronavirus gibt derzeit in der Politik den Takt an. Und es ist offenbar die Zeit für rasche Ausnahmegesetze. So hat das Land Bayern seine Regeln zur ärztlichen Versorgung im Katastrophenschutz verschärft. Dazu hat die Bayerische Staatsregierung eine "Bekanntmachung zum Vollzug des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes sowie des Infektionsschutzgesetzes" verabschiedet.

Ein Versorgungsarzt stellt die Versorgung sicher

Zur Aufrechterhaltung der Versorgung wird jetzt in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt ein Versorgungsarzt eingesetzt – ernannt vom Landrat bzw. Oberbürgermeister, der hierzu auch die KV Bayerns oder den jeweiligen ärztlichen Kreis- oder Bezirksverband auffordern kann, eine geeignete Person zu benennen.

Der Versorgungsarzt hat die Aufgabe, eine ausreichende Versorgung im jeweiligen Zuständigkeitsbereich mit ärztlichen Leistungen und entsprechender Schutzausrüstung zu planen und zu koordinieren, soweit dies bei der Bewältigung des Katastrophenfalls erforderlich sei, heißt es dazu in der Bekanntmachung. Als Versorgungsarzt könnten nur Ärzte mit langjähriger beruflicher, insbesondere vertragsärztlicher Erfahrung eingesetzt werden, die darüber hinaus über eine abgeschlossene Facharztweiterbildung verfügen. Dem Versorgungsarzt sei ein Arbeitsstab zuzuordnen. Die KV Bayerns sowie die ärztlichen Kreis- und Bezirksverbände sollen auf Anforderung des Versorgungsarztes im Rahmen ihrer Ressourcen mit geeignetem Personal unterstützen.

Medizinisches Personal kann zwangsverpflichtet werden

Gegenstand der Planung und Koordinierung durch den Versorgungsarzt sind insbesondere:
  • Einrichtung von Schwerpunktpraxen für die Untersuchung und Behandlung von Covid-19-Patienten und die Rekrutierung des hierfür erforderlichen Personals,
  • Planung und Vorbereitung aller notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der ärztlichen Grundversorgung im Katastrophenfall,
  • Unterstützung der Führungsgruppe Katastrophenschutz bei der Verteilung der infektionsfachlich notwendigen Schutzausrüstung an die in den Arztpraxen Beschäftigten sowie
  • Unterstützung bei der Einrichtung und dem Betrieb von örtlichen Testzentren einschließlich der etwaigen Verpflichtung medizinischen Personals, soweit dieses zur Katastrophenhilfe verpflichtet ist.

Bayern geht damit weiter als der Bund. In dessen Infektionsschutzgesetz waren entsprechende Befugnisse für Gesundheitsminister Jens Spahn nach Protesten der Länder wieder gestrichen worden (siehe auch Kommentar auf der nächsten Seite).

NRW will Körperschaften entmachten

Ein ähnliches – und vielleicht sogar noch weitergehendes – Infektionsschutzgesetz wie in Bayern plante die nordrhein-westfälische Landesregierung. In einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite soll die Landesregierung künftig medizinisches Personal dienstverpflichten sowie Krankenhäuser zwingen können, planbare Operationen zu verschieben und den Mitarbeitern des Öffentlichen Gesundheitsdienstes konkrete Versorgungs- und Untersuchungsstrukturen vorgeben, heißt es in einem Gesetzentwurf. Der Staat möchte also direkten Zugriff auf das Gesundheitswesen haben, die Körperschaften wären praktisch entmachtet.

Mediziner und Pfleger könnten mit dem Epidemiegesetz beispielsweise zum Dienst im Krankenhaus gezwungen werden, Behörden sollen berechtigt werden, medizinisches und sanitäres Material einschließlich Rohstoffen bei Firmen sicherzustellen, und die Schulministerin könnte im Alleingang Abschlussprüfungen ausfallen lassen, das Wiederholen von Klassen abschaffen und die Staatsexamensprüfungen für Lehrer verändern.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung begründet die Novelle mit dringendem Anpassungsbedarf zur Bewältigung der Krise. Laut ihrer Einschätzung fehlen Regelungen, die dem Land Krisenreaktionsmaßnahmen im Gesundheitssystem ermöglichen und die Handlungsfähigkeit aufrechterhalten.

Ärzteverbände gehen auf die Barrikaden

Ob es dazu kommt, war Anfang April noch nicht klar. Denn die Opposition im NRW-Landtag lief Sturm und Rechtswissenschaftler äußerten Bedenken. Die Abstimmung über das Gesetz wurde jedenfalls erst einmal verschoben – aber nicht aufgehoben.

Proteste kamen auch von Ärzteverbänden. Zwar begrüßten die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, dass die Strukturen des Infektionsschutzes im Bedarfsfall durch eine zentrale Steuerung ergänzt werden sollen. Allerdings werde eine zwangsweise Verpflichtung von Ärzten ins Leere laufen bei einer ohnehin sehr hilfsbereiten Ärzteschaft, gab man zu bedenken. Strikt abzulehnen sei, dass das Gesundheitsministerium laut Vorlage auch Vorgaben zu medizinischen Behandlungen machen darf.

"Die Entmachtung der Kassenärztlichen Vereinigung und die drohende Zwangsverpflichtung von Vertragsärzten sind völlig unnötig und demotivierend", kritisierte z. B. der NAV-Virchowbund. Die niedergelassenen Ärzte seien bislang hochmotiviert und würden sich dem Virus in vorderster Linie stellen. Als erster Schutzwall in der Versorgung seien sie seit Wochen ohne ausreichende Schutzausrüstung tätig und übernähmen Aufgaben, die eigentlich der öffentliche Gesundheitsdienst zu bewältigen hätte. Anstatt die eigenen, staatlichen Verpflichtungen zu erfüllen, werde der Staat übergriffig und versuche durch eine Politik mit der Brechstange, Handlungsfähigkeit zu beweisen", so der Bundesvorsitzende des Virchowbunds, Dr. Dirk Heinrich. Man sollte lieber die ambulante Versorgung denen überlassen, die davon etwas verstehen. Selbstverständlich würden die niedergelassenen Ärzte sich mit aller Kraft für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung einsetzen, seien es Menschen, die von COVID-19 betroffen sind, seien es die vielen anderen Kranken ohne COVID-19, die es weiter zu versorgen gilt, so Heinrich.

Politik misstraut den Ärzten

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, ermahnte die Regierungen der Bundesländer dringend, bei ihren Gesetzesvorhaben im Zuge der Coronakrise das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Man dürfe hier nicht in einen Überbietungswettbewerb an Einschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten einsteigen.

Die jetzt geplanten Eingriffe in Freiheits- und Eigentumsrechte seien vor allem auch Ausdruck eines völlig unbegründeten Misstrauens gegenüber maßgeblichen Akteuren der Versorgung, so Dr. Reinhardt. Man sollte die Ärztinnen und Ärzte, mit denen man gemeinsam dem Virus zu Leibe rücken wolle, nicht vor den Kopf stoßen oder sie im Zweifelsfall zu "Rekruten" machen, sondern ihnen das verdiente Vertrauen aussprechen.

Tatsächlich haben die Proteste zumindest in NRW Wirkung gezeigt. In der Mitte April verabschiedeten Fassung des Pandemie-Gesetzes jedenfalls wurde der umstrittene Passus, wonach Ärzte, Pfleger und Rettungskräfte zum Arbeitseinsatz zwangsverpflichtet werden können, gestrichen. Stattdessen soll es nun ein Freiwilligenregister geben, in das sich medizinisches Personal eintragen kann. In Bayern hingegen wurden erste Fälle von Zwangsverpflichtungen von Ärzten in Würzburg bekannt. Man wird sehen, wie sich die Lage weiterentwickelt.
(Stand: 15. April 2020).



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (8) Seite 32-34