Pflegende Angehörige und Zugehörige haben eine herausragende Bedeutung bei der Begleitung eines sterbenden Menschen. Diese Tätigkeit stellt in der Regel eine ungewöhnlich hohe Herausforderung dar, welche diese Personen oftmals an ihre physischen und psychischen Grenzen bringt.

Während die professionelle Pflegekraft eine schützende emotionale Distanz mit festen Arbeits- und Erholungszeiten einrichten kann, haben pflegende Angehörige eine Doppelrolle: Einerseits sind sie 24 Stunden ohne Erholungszeiten Stütze und Hilfe in der Pflege für die betroffenen Kranken, andererseits sind sie emotional stark belastet durch den nahenden Tod eines geliebten Menschen. Außerdem fühlen sie sich in dieser Situation oft alleingelassen. Daher ist für diesen Personenkreis eine begleitende professionelle Unterstützung dringend geboten.

Das Spannungsfeld – das Problem

C. Saunders, Pionierin der palliativen Arbeit, beschreibt das Spannungsfeld, dem Sterbende, aber auch Angehörige ausgesetzt sind, als "Total pain and suffering" (umfassendes Gefühl von Schmerz und Leid). Dabei lassen sich vier Dimensionen unterscheiden (vgl. Abb. 1):

Angehörige sind mit den Betroffenen meist durch eine langjährige gemeinsame Geschichte verbunden. Schwere Krankheit und der nahende Tod stellen nun eine besonders schwierige schicksalhafte Lebenssituation dar.

Einige Beispiele für die vielfältigen Probleme, mit denen pflegende Angehörige konfrontiert sein können:
  • Emotionale Verbundenheit bei fehlender Distanz
  • Eigene oft ungenügende Fitness und Gesundheit
  • Tägliche körperliche und seelische Belastung rund um die Uhr
  • Unvorhersehbare innere Konflikte
  • Spagat zwischen der Sorge für den zu Pflegenden und reguläre alltägliche Anforderungen
  • Sorge, die eigenen und fremden Erwartungen nicht zu erfüllen
  • Verlust einer eigenständigen Lebensführung und fehlende Selbstfürsorge
  • Verlust sozialer Kontakte
  • Finanzielle Probleme

Diese Sorgen können sich zu unangenehmen Gefühlen anstauen wie
  • Ohnmacht
  • Hoffnungslosigkeit
  • Sinnlosigkeit
  • Einsamkeit
  • Zukunftsschmerz
  • Trauer
  • Schuldgefühle/Ängste

Unterstützung von Angehörigen

In einer von uns selbst durchgeführten Befragung unter pflegenden Angehörigen ergaben sich bei der Frage, was sie besonders beschäftigt, Bedürfnisse nach Beratung auf folgenden Gebieten:
  • Hilfe und Unterstützung in der Pflege
  • Umgang mit veränderten Bedürfnissen für die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme
  • Veränderung der Vitalfunktionen
  • Umgang mit der eigenen Trauer
  • Schmerzfreiheit der Betroffenen

Eine wesentliche Unterstützung in der Sterbebegleitung ihrer Angehörigen können die Betroffenen durch professionelle Beratung erfahren. Sie haben dabei die Möglichkeit zu lernen, wie sie mit Veränderungen und Krisen umgehen oder wie sie in schwierigen Situationen reagieren können und Linderung verschaffen. Dies erzeugt Autonomie in der Versorgung sowie Sicherheit und Vertrauen.

Schwerpunkte bei der Unterstützung der Angehörigen können sein:
  • Fachwissen vermitteln
  • Wertschätzung geben
  • Selbstbestimmung stärken
  • Ganzheitlichen Ansatz ermöglichen
  • Nutzung bestehender Angebote:
    • Ehrenamt
    • Palliativstation
    • Hospizdienste
    • AAPV= Allgemeine ambulante Palliativversorgung
    • SAPV= Spezialisierte ambulante Palliativversorgung

Die Pflege und Betreuung im familiären Bereich ist gerade in der palliativen Situation eine Herausforderung, die eine besondere Anerkennung und Lob verdient, was auch deutlich ausgedrückt werden sollte. Unterstützungsangebote für Angehörige von Schwerstkranken einzurichten bedeutet, dass sichergestellt wird, dass die Betroffenen trotz schwieriger Umstände sich als selbstbestimmt wahrnehmen und ihren Lebensalltag weitestgehend autonom gestalten können.

Zugleich geht es darum, die eigenen Stärken, Fähigkeiten und Potenziale zu erkennen und auszubauen. Dies kann durch einen sogenannten Letzte-Hilfe-Kurs, wie der von Dr. Georg Bollig, Prof. Dr. Andreas Heller und Manuela Völkel ins Leben gerufene, unterstützt werden. Pflegenden Angehörigen und Freiwilligen soll durch diese Kurse eine respektvoll unterstützende Begleitung zuteilwerden. Diese Kurse beinhalten vier Module, welche die wichtigsten Schwerpunkte beleuchten:

1. Sterben ist ein Teil des Lebens

2. Vorsorgen und Entscheiden

3. Körperliche, psychische, soziale und existenzielle Nöte lindern

4. Abschied nehmen

In diesem Zusammenhang sind besonders auch die Hausärzte gefragt, die durch eine langjährige vertrauensvolle Bindung zum Patienten die familiäre Situation kennen und somit für eine kompetente unterstützende Begleitung prädestiniert sind. In diesem Kontext sollte noch besonders der Aspekt des Sterbens in Würde von H. M. Chochinov erwähnt werden.

Das Konzept der würdezentrierten Therapie beruht im Wesentlichen auf biographischen Interviews zwischen Therapeuten und Sterbenden. Das Ziel ist, den Sterbenden in seiner Würde und im Gewinn inneren Friedens zu stärken und dabei eine sinnhafte Überlieferung seines gelebten Lebens zu erreichen.

Ausblick

Es ist davon auszugehen, dass angesichts der demografischen Entwicklung die Zahl pflegender Angehöriger auch künftig ansteigt und Angehörige mit der Pflege einen wichtigen Anteil in der Betreuung von terminal kranken Menschen übernehmen werden. Bei der Begleitung Sterbender geht es mehr oder weniger um das Da-Sein und die Kraft des Haltens und des Aushaltens in wertschätzender Unterstützung. Es geht um das Reichen der helfenden und haltenden Hand.


Literatur
2) Dignity Therapy – Sterben mit Würde – Biographiearbeit am Ende des Lebens, Prof. Dr. Harvey Max Chochinov. Klinik für Psychiatrie, Universität Manitoba, Kanada


Autorin:

Sabine Weingardt

Dipl. Führungspsychologie-Führungsmanagement
Dipl. Stress-Mentalcoach

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (5) Seite 45-46