Seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir von weltweiten Katastrophen verschont worden. Doch jetzt hat es uns erwischt: Das Virus SARS-CoV-2 ist da. Jetzt rächt sich, was bei der medizinischen Vor- und Fürsorge, die selbst im herkömmlichen Alltag zum Teil nicht mehr ausgereicht hat, lange Zeit versäumt worden ist.

Viel wurde versäumt

Beispiel Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD): Die Zahl der Amtsärzte ist seit 2000 um ein Drittel auf jetzt noch 2.500 gestutzt worden. Dies hat zu Versorgungsdefiziten geführt, die nicht von den – selbst überlasteten – hausärztlich tätigen Ärzten aufgefangen werden können. Auch finanziell sind die ÖGD-Ärzte abgehängt worden, weil sie bis zu 1.500 € weniger als Klinikärzte verdienen.

Beispiel Digitalisierung: Hier hat man vom Schneckentempo zwar inzwischen die Geschwindigkeit eines Salamanders aufgenommen. Aber auch hier hätte man bereits viel weiter sein müssen. Angefangen vom Einsatz von Tablets oder der Telemedizin, Online-Konferenzen von Experten zu akuten medizinischen Problemstellungen bis hin zur digitalen Daten- und Statistikerfassung. Es ist doch ein Hohn, dass die gesamte Datenbasis, auf die sich das politische Handeln stützt, von Schätzungen und Hochrechnungen einer Universität (Johns Hopkins) abhängt!

Beispiel Beschaffung: Schon vor der Corona-
krise gab es Lieferprobleme bei zum Teil lebensnotwendigen Arzneimitteln. Die dafür verantwortliche internationale Arbeitsteilung zeigt nun das ganze Ausmaß dieses Dilemmas: Jetzt fehlen nicht nur Medikamente, sondern auch Beatmungsgeräte, Gesichtsmasken, Schutzkleidung und und …

Beispiel Personal: Das Gesundheitswesen ist lange Zeit kaputtgespart worden. Hier sind Staat und Regierung in keiner Weise ihrer Verantwortung gerecht geworden. Diese müssen nun ausgerechnet auf das Engagement und die Risikobereitschaft derer zählen, die sie so eklatant im Stich gelassen haben.

Was jetzt passieren muss

Doch was muss nun passieren, um künftig der staatlichen Daseinsfürsorge wieder gerecht werden zu können? Notwendig ist:

1) Die finanzielle wie strukturelle Stärkung der systemrelevanten Berufe – über das Gesundheitswesen hinaus.

2) Der Aus- und nicht der Abbau des Gesundheitssystems, das keinesfalls noch weiter heruntergefahren werden darf.

3) Die Datenerfassung muss gerade in Katastrophenzeiten im Sinne eines Public-Health-Ansatzes überall einheitlich digitalisiert, ständig aktualisiert und vollständig sein.

4) Für weitere Krisen und Katastrophen sollten Worst-Case-Szenarien, wie sie vom RKI ja vorlagen, ernst genommen werden. Zudem müssen Notfallpläne her, die sicherstellen, dass die dazu erforderlichen Schutzausrüstungen auch vorgehalten werden.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Gemangelt hat es bislang nicht nur am politischen Willen, sondern auch am Geld. Jetzt plötzlich sind die Mittel da und Geld ist kein knappes Gut mehr. Diese Chance muss nun – über die Notmaßnahmen hinaus – auch für nachhaltige Veränderungen genutzt werden. Die Krise muss zu politischen Konsequenzen führen. Wenn nicht jetzt, wann dann?, meint Ihr


Das meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (8) Seite 31