Die Erhöhung der mittleren Erdtemperatur hat aufgrund der Wärmeeinwirkung auch ganz direkte und unmittelbare Auswirkungen auf unsere psychische Verfassung und das hieraus resultierende Verhalten. Doch wie sehen die Auswirkungen konkret aus und worauf müssen Hausärzt:innen besonders achten?

Brennpunkt Klima
Arztpraxen sind zwar geeignete, bislang jedoch auf breiter Ebene kaum genutzte Anlaufstellen für die Förderung des klimabedingten Gesundheitsschutzes. Doch wie können Hausärzt:innen ihrer Multiplikatorenfunktion gerecht werden und dies in praktisches Handeln überführen? In einer 12-teiligen Serie greift doctors today diese und andere Fragen auf und liefert hierzu Fakten, Orientierung und praxisnahes Handlungswissen.

Umfragen verdeutlichen, dass die klima- und umweltbezogenen Ängste sehr stark ausgeprägt sind (vgl. Tabelle). Wissenschaftler unterscheiden bei den psychischen Auswirkungen zwischen direkten und indirekten, kurzzeitigen und langzeitigen Effekten. Extremwetterereignisse beispielsweise sind kurzfristige Phänomene, deren Konsequenzen die Psyche belasten. Langzeitwirkungen auf die Psyche sehen Psychiater:innen beispielsweise durch steigende Meeresspiegel, anhaltende Dürren oder die fortschreitende Entwaldung. Diese indirekten Langzeiteffekte setzen damit ganze Gesellschaften unter Stress.

Hitzewellen steigern Sterberisiko

Insgesamt sei das Sterberisiko während Hitzewellen für psychisch Kranke rund dreifach höher als sonst in der Bevölkerung, sagen Expert:innen.Speziell

  • steigt das Gewaltpotenzial bei Hitzewellen deutlich an (je nach Studie bis zu 14 % mehr Gewaltverbrechen).
  • nehmen Schizophreniekranke einen gefährlichen Anstieg der Körperkerntemperatur oft nicht wahr. Bei ihnen geht man von einer intrinsisch bedingten Störung der Thermoregulation aus.
  • kommt es zu einem erhöhten Exsikkoserisiko. Das setzt etwa Suchtkranke einer zusätzlichen Gefahr aus, weil Alkohol und illegale Drogen bei Hitze, Austrocknung und Flüssigkeitsmangel stärker wirken.

Als entscheidend wird dabei angesehen, ob solche Ängste bereits bestehende Depressionen und Angststörungen verstärken oder erstmals auftreten. Hier kommt es auf eine rechtzeitige Diagnose an. Dabei stellt sich für die Hausärzt:in die Grundsatzfrage: Wo liegt bei der Öko-Angst die Grenze zwischen einem Krankheitsbild, das auf eine Fehlfunktion der Psyche hinweist, und einer gesunden Reaktion auf eine unsichere, bedrohlich wirkende Zukunft?

Klimawandel schlägt auf´s Gemüt

Und diese Differenzierung gestaltet sich diffizil. Denn zusätzlich können Belastungen im Rahmen der klimatischen Veränderungen mit anderen psychosozialen Herausforderungen interagieren. Das Vorliegen einer eigenständigen, krankheitswertigen Störung lässt sich daher auch nicht an einem einzelnen Merkmal festmachen. Doch falls die klimabezogenen Ängste oder klimabezogenen depressiven Symptome so stark sind, dass von den Patient:innen ihre beruflichen und familiären psychosozialen Rollen nicht mehr wahrgenommen werden können, ist grundsätzlich von einer krankheitswertigen manifesten Angststörung und/oder depressiven Episode auszugehen. Diagnostisch würden diese psychischen Belastungen dann am ehesten unter depressive Episode (ICD-10 F32) oder – je nach Charakteristik und Ausprägung des Angstsyndroms – unter Panikstörung (ICD-10 F41.0), generalisierte Angststörung (ICD-10 F41.1) oder Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2) fallen.

Klimaresilienz der Patient:innen ausloten und stärken

Vor ersten allgemeinärztlichen Interventionen oder der Erstellung eines psychotherapeutischen Settings gilt es aber vonseiten der Hausärzt:in erst einmal, die "Klimaresilienz" ihrer Patient:innen auszuloten, also die psychische Widerstandsfähigkeit im Umgang mit der Klimakatastrophe. Wichtige bekannte Resilienzfaktoren, die die Gefahr einer psychischen Belastung nach einschneidenden Lebensereignissen und Extremereignissen reduzieren, sind unter anderem in einer vorhandenen sozialen Unterstützung, existierender Bindungssicherheit und in einem ausgeprägten Kohärenzsinn zu sehen.

Ein resilientes Verhalten kann aktiv gefördert werden, um Belastungen und depressive sowie ängstliche Zustände im Zusammenhang mit den klimatischen Veränderungen zu verhindern oder zu reduzieren. Protektive Verhaltensweisen, die Allgemeinärzt:innen ihren davon betroffenen Patient:innen in ihrer Praxis empfehlen können, sind unter anderem:

  • ein akzeptierender Umgang mit belastenden Gefühlen
  • Selbstfürsorge durch eine flexible Abgrenzungsfähigkeit und entlastende Gespräche über die Thematik
  • eine Dialektik der Hoffnung anstatt Hoffnungslosigkeit und ängstlicher Abwehr

Wenn all diese Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, muss psychischen Störungen wie Ängsten, Depressionen oder PTBS in Verbindung mit dem Klimawandel ärztlich oder psychotherapeutisch begegnet werden. Als psychotherapeutische Verfahren zur Behandlung von psychischen Auffälligkeiten, die im direkten oder indirekten Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, eignen sich beispielsweise:

  • das "Entkatastrophisieren" in vertraulichen Gesprächen
  • die Vermittlung von Coping- und Stressmanagement
  • Methoden der Trauerbewältigung
  • Resilienz-Training

All diese Interventionen helfen den Patient:innen dabei, destruktive Emotion in Bezug auf den Klimawandel zu regulieren, ihren Optimismus zu stärken, eine gesündere innere Distanz zum Thema Klimawandel zu gewinnen und einen konstruktiven persönlichen Umgang damit zu finden.

Hausärzt:innen im Fokus

Da der Klimawandel ein relativ neuer Stressfaktor ist, der einige Besonderheiten aufweist, wird es künftig jedoch zusätzlich erforderlich sein, bewährte Ansätze und Verfahren entsprechend zu adaptieren und zudem auch neue Therapieansätze zu entwickeln. Das trifft umso mehr zu, je stärker die Klimakrise voranschreitet und damit die Psyche belastet. Die Ärzt:innen müssen dabei das ausbaden, was die Politik bislang versäumt hat. Mental eine immense Herausforderung – gerade auch für hausärztlich tätige Ärzt:innen, bei denen sämtliche Phänomene der psychisch bedingten Folgeerscheinungen des Klimawandels zunächst einmal auflaufen.

Neben all den Überforderungen und Risiken, die zu einer psychischen Krise führen können, bietet die Klimakrise jedoch auch die Chance, einen neuen Bezug zur eigenen inneren Natur und zur äußeren Natur-Umwelt herzustellen. Hilfreich kann dabei vor allem ein gemeinsames Klima-Engagement in Organisationen oder in der Gemeinde sein. Entsprechende Erfahrungen aus der Praxis belegen: Sich zu engagieren, lindert das Ohnmachtsgefühl, ermöglicht ein positives Feedback und kann zudem dazu verhelfen, den Klimawandel zum Anlass zu nehmen, sein eigenes Leben nachhaltiger zu gestalten. Dies kann dann auch alle Haus- und Fachärzt:innen oder Therapeut:innen spürbar entlasten.

Posttraumatische Belastungsstörung durch die Klimakrise
Extreme Wetterereignisse, die durch den Klimawandel häufiger oder stärker auftreten, werden gerade bei älteren Menschen mit einer Reihe von psychischen Erkrankungen in direkte Beziehung gesetzt. So kann es neben der akuten Belastungsreaktion, die unmittelbar nach einer erlebten Naturkatastrophe auftritt, auch zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) kommen. Die PTBS zeichnet sich durch eine zeitlich verzögerte, psychische Reaktion auf traumatisch erlebte Ereignisse aus. Es muss heute und vor allem zukünftig auch von einer Zunahme von Hitzeperioden ausgegangen werden, in denen besonders ältere Menschen gerade in Ballungsgebieten ihre Mobilität einschränken, was zu geringerer Partizipation, Isolation und Einsamkeit bis hin zu Depressivität führen kann. Ferner werden verringerte kognitive Leistungsfähigkeit und höhere Depressions- und Suizidraten bei Hitzewellen nachgewiesen, die mutmaßlich im Alter verstärkt zu PTBS führen können. Quelle: Herausforderungen zukünftigen urbanen Alterns: Klimawandel und die mentale Gesundheit; Zeitschrift Pro Alter des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe 1/2020

Literatur beim Verfasser



Autor
Raimund Schmid

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (6) Seite 32-34