Allgemeinärzt:innen sind zweifelsohne mit den mittlerweile unbestreitbar engen Zusammenhängen zwischen Klimaveränderungen und Gesundheitsrisiken besonders vertraut. Gerade deshalb sollen und müssen sie bei diesem Thema nicht nur mitreden, sondern im besten Falle als Influencer im analogen Sinne auch Aufklärungsarbeit leisten und ihr Wissen weitergeben. Diese Meinung propagiert die Initiative KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit).

Brennpunkt Klima
Arztpraxen sind zwar geeignete, bislang jedoch auf breiter Ebene kaum genutzte Anlaufstellen für die Förderung des klimabedingten Gesundheitsschutzes. Doch wie können Hausärzt:innen ihrer Multiplikatorenfunktion gerecht werden und dies in praktisches Handeln überführen? In einer 12-teiligen Serie greift doctors today diese und andere Fragen auf und liefert hierzu Fakten, Orientierung und praxisnahes Handlungswissen.

Der Klimawandel habe nun einmal starke Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, meint die Augsburger Medizin-Ethikerin Prof. Verina Wild und bekräftigt die besondere Bedeutung der Hausärzt:innen, da diese gewöhnlich eine besonders starke Bindung zu ihren Patient:innen hätten. Und das liege durchaus im Trend der Zeit: "Wir haben es doch längst hinter uns gelassen, dass der Arzt erst aktiv wird, wenn die Krankheit akut ausbricht", sagt Wild. Analog dazu gelte es nun auch, der Klimakrise präventiv zu begegnen. Nach Ansicht von Wild würde man als Ärzt:in sogar ethische Prinzipien verletzen, wenn man dies nicht tut.

Infokasten - Wie Hausärzt:innen ihren CO2-Fußabdruck senken können
Nachhaltiges Handeln in einer Allgemeinarztpraxis ist nicht immer einfach: Da helfen pragmatische Lösungen weiter. Dr. Klaus-Ludwig Jahn, Facharzt für Allgemeinmedizin in Bremerhaven, wirft Einwegartikel wie Pinzetten oder Scheren nicht einfach weg, sondern sterilisiert sie und gibt sie seinen Patient:innen mit. Zudem kauft er mittlerweile Kugelschreiber aus Holz mit Nachfüllminen: Bei mehr als 50 Mitarbeiter:innen spart er so rund 1.000 Plastikstifte. Und: Seine Praxismitarbeiter:innen bekommen sogar ihr ÖPNV-Ticket erstattet, damit sie ihr Auto stehen lassen. Andernorts werden inzwischen die meisten Hausbesuche mit dem E-Bike erledigt. Dr. Franz Sauer, Hausarzt in Lindenberg im Allgäu, gibt seine Gebrauchsartikel und Instrumente an eine Klinik weiter, die sie gegen ein Entgelt sterilisiert und wieder aufbereitet. In diesen Markt steigen jetzt mehr und mehr Firmen ein. Bei Neuanschaffungen kann man Nachhaltigkeit besonders leben, wenn man – wie Franz Sauer – etwas tiefer in die Tasche greift, dafür aber rund ein Drittel an Energie und Toner einspart. Ihren Kolleg:innen empfehlen Ludwig und Sauer, sich fortlaufend beraten zu lassen: Denn ein Arzt könne nicht zugleich "halber Kaufmann, halber Jurist und jetzt noch halber Klimaaktivist sein". ras

Neben ihrer fachlichen Kompetenz sind Menschen aus den Gesundheitsberufen auch besonders als Kommunikator:innen befähigt, zur Klimakrise Position zu beziehen. Insbesondere Allgemeinmediziner:innen gelten häufig als glaubhafte Themenbotschafter. Denn Zweifel an der Relevanz der Belege zum Klimawandel verflüchtigen sich zumeist rasch, wenn eine vertrauenswürdige und Autorität ausstrahlende Person sagt: Ich habe mir das angeschaut und es ist wirklich ernst!

Die Klimakrise mit all ihren Folgen rückt aber in ihrer Bedeutung erst dann in den Fokus, wenn diese sich auf die eigene Gesundheit auswirkt und die Lebensqualität darunter spürbar leidet. Dabei kommt es besonders auch darauf an, die möglichen Gesundheitsvorteile klimapolitischer Maßnahmen und eigener Verhaltensänderungen – sogenannte Co-Benefits – herauszustellen. Generell raten Fachleute den Allgemeinmediziner:innen bei der Kommunikation des Themas zu drei zentralen Vorgehensweisen:
  • Kompaktes Wissen über die Klimarisiken verständlich streuen
  • Möglichkeiten aufzeigen, wie diese eingedämmt werden
  • Die wesentlichen Botschaften häufig wiederholen

Dabei kommen drei mögliche Adressaten infrage:
  • die Öffentlichkeit,
  • der Gesundheitssektor selbst und
  • die eigene Patientenschaft.

In der Öffentlichkeit können Hausärzt:innen damit punkten, wenn erkennbar wird, dass sie sich neben dem arbeitsreichen Alltag auch noch Zeit nehmen, aktiv für eine zukunftsfähige Klimapolitik einzutreten. Innerhalb des eigenen Berufsstandes sollten Ärzt:innen zunächst versuchen, Mitstreiter zu gewinnen. Dabei muss man sich erst einmal selbst bewusst werden, dass auch Krankenhäuser, Praxen oder pharmazeutische Betriebe Quellen von – notwendigen wie auch vermeidbaren – Treibhausgasen sind. Nach Schätzungen gehen in Deutschland 5 % der Emissionen auf den Gesundheitssektor zurück. Die Initiative KLUG mahnt daher ein Programm an, bis 2040 bei den eigenen Emissionen klimaneutral zu werden.

Eine Sprechstunde zum Klima

Ob Allgemeinärzt:innen jedoch auch die Klimakrise gegenüber Patient:innen aktiv ansprechen sollten, ist umstritten. So vertritt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Prof. Dr. Sebastian Schellong, die Auffassung, dass Ärzt:innen zu gesellschaftlichen Fragen rund um den Klimawandel erst dann Stellung nehmen sollten, "wenn wir das ärztliche Gespräch verlassen haben". Anderen genügt das längst nicht mehr. So hat zum Beispiel der niedergelassene Allgemeinarzt Dr. Ralph Krowelski aus Gummersbach das Konzept der "Klima Sprechstunde" entwickelt. Dabei handelt es sich nicht um eigens vereinbarte Termine, sondern um "eine Grundhaltung in meiner Arbeitsroutine", so Krowelski. Wie das konkret in der Praxis aussieht, beschreibt er so: Stellt sich im Praxisgespräch heraus, dass eine von Rückenschmerzen geplagte Patient:in auch für kurze Strecken ins Auto steigt, erfolgt ein Hinweis, doch besser zu laufen oder mit dem Rad zu fahren. "Ich spreche an, dass das die Gesundheit verbessern und gleichzeitig den Planeten schonen würde." Jedoch sei dies kein Patentrezept. Eine solche Argumentation greife nur dann, wenn Patient:innen sich selbst dem Klimathema stellen wollen. Doch solche konkreten und nachhaltigen Schritte sind im Praxisalltag immer noch die Ausnahme: Die Klimakrise wird häufig immer noch als Notfall eingestuft. Doch die Zeit drängt, muss doch nun innerhalb von ein bis zwei Dekaden eine große Transformation bewältigt werden. Dabei dürfte sich rechtzeitiges Handeln gleich in vielfacher Weise auszahlen: Das gilt auch nach den neuesten Erkenntnissen der Duke University in Durham (USA) für die Bewältigung der Klimakrise. Bereits bis 2030 könnte der volkswirtschaftliche Gewinn der sauberen Luft das 5- bis 25-Fache der Klimaschutzkosten betragen. Auch die Effekte von vermiedenen Schäden durch Hitze wären deutlich höher als die Kosten der hierfür nötigen hitzesenkenden Maßnahmen (siehe Teil 1, doctors today 04/2022).

Den Allgemeinärzt:innen kommt bei alledem die schwierige Aufgabe zu, diese globalen Erkenntnisse in Verbindung zur eigenen – und besseren – Gesundheit ihrer Patient:innen zu setzen. Dabei – und darüber herrscht Einigkeit – können sie eine ganze Menge bewirken.

Literatur beim Verfasser



Autor
Raimund Schmid

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (5) Seite 34-35