Der Klimawandel ist zwar unübersehbar, aber bei vielen Menschen ist noch nicht angekommen, dass damit auch ganz direkt negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit verbunden sein können. Hausärzt:innen haben den engsten Kontakt zu ihren Patient:innen und sind dadurch prädestiniert, hier Aufklärungsarbeit zu leisten, schlägt Dr. Susanne Bublitz im Interview mit dt-Mitarbeiter Raimund Schmid vor.

Brennpunkt Klima
Arztpraxen sind zwar geeignete, bislang jedoch auf breiter Ebene kaum genutzte Anlaufstellen für die Förderung des klimabedingten Gesundheitsschutzes. Doch wie können Hausärzt:innen ihrer Multiplikatorenfunktion gerecht werden und dies in praktisches Handeln überführen? In einer 12-teiligen Serie greift doctors|today diese und andere Fragen auf und liefert hierzu Fakten, Orientierung und praxisnahes Handlungswissen.

Frau Dr. Bublitz, warum ist die Handlungsbereitschaft von Menschen für den Klimaschutz trotz aller Bedrohungen und wissenschaftlichen Fakten immer noch nicht ausreichend ausgeprägt?

Dr. Susanne Bublitz: Die Thematik ist äußerst komplex und abstrakt. Denn für den Einzelnen ist die Klimakrise mit ihren gesundheitlichen Problemen erstmal schwer fassbar. Hinzu kommt, dass es für die Menschen angenehm zu sein scheint, wenn wir im Winter keine Temperaturen von unter minus 10 Grad mehr haben oder wir im Sommer bei 40 Grad plus im Rhein oder Main schwimmen können. Die gravierenden gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise sind bei vielen Menschen daher noch nicht angekommen. Wir haben als Mediziner dies vielleicht bislang auch nicht ausreichend selbst wahrgenommen und adressiert. Nehmen Sie als Beispiel die Zunahme an Allergien durch neue Pflanzen, die nun auch bei uns aufgrund der Erwärmung heimisch werden, sowie eine verlängerte Allergiesaison. Oder eine schlechtere Luftqualität insbesondere in Ballungszentren, die sich auf die Lunge auswirkt. Hohe Temperaturen im Sommer können dazu führen, dass in der Dachwohnung, in der die Oma lebt, Zimmertemperaturen entstehen, die durch das Risiko der Exsikkose extrem gefährlich werden können.

Der Begriff Planetary Health macht jetzt überall die Runde. Ist dieser Begriff aber nicht für viele zu groß ausgelegt und zu abstrakt?

Dr. Susanne Bublitz: Ja, wir arbeiten hier viel zu sehr mit englischen Begriffen und das führt dazu, dass sich jeder unter Planetary Health etwas anderes vorstellt. Wir müssen unseren Patient:innen deutlich machen, dass die Planetare Gesundheit mit unserer eigenen Gesundheit eng verknüpft ist. Das bedeutet dann aber auch, dass der Einzelne sich aus seiner Komfortzone herausbewegen und in manchen Bereichen auch selbst einschränken muss. Solange die gefühlte persönliche Not hierfür nicht so groß ist, kommt das aber auch nicht von allein. Da müssen wir mehr das Bewusstsein schärfen.

Mediziner:innen kommt ja dabei eine besondere Bedeutung zu. Welche klimabedingten Herausforderungen stellen sich in einer Hausarztpraxis?

Dr. Susanne Bublitz: Wir sehen uns hier durchaus als Multiplikatoren für das Thema der Klimakrise, weil wir als Ärzt:innen bei unseren Patient:innen ein hohes Ansehen genießen. Hier kommt in Zukunft sicher viel (Aufklärungs-)Arbeit auf uns zu. Aber noch mehr Arbeit würde auch auf uns zukommen, wenn wir nichts machen würden, weil ansonsten die zu behandelnden klimabedingten Gesundheitsschäden noch stärker zunehmen würden. Also sollten wir doch lieber gleich präventiv agieren, um damit künftig klimabedingte Erkrankungen zu vermeiden. Und dabei müssen wir alle mitnehmen. Mit standardisierten Schulungen kann etwa auch eine VERAH oder eine akademisierte Gesundheitskraft aufklärend aktiv werden. Die Hausärzt:innen hätten dann für ihre ureigenen ärztlichen Tätigkeiten mehr Zeit, um zum Beispiel in Hitzeperioden die Medikation anzupassen.

Sind die Hausärzt:innen hierfür schon ausreichend sensibilisiert?

Dr. Susanne Bublitz: Nein, das glaube ich nicht. Das ist mit Sicherheit aber nicht nur eine Frage der Sensibilisierung, sondern auch eine Zeit- und Organisationsfrage. Nehmen Sie als Beispiel die zeitintensive Umstellung der Gabe von Diuretika an ältere multimorbide Menschen im Pflegeheim in Hitzeperioden. Dann geht es mit der Frage los, ab welcher Temperatur reduziert oder pausiert werden soll, wer misst wann wo diese Temperatur und wie wird sichergestellt, dass die Pflegekraft weiß, welche Medikation anzupassen ist und welche Kontrollen notwendig sind. Wir haben das im vergangenen Sommer erstmalig mit den Pflegeheimen versucht und dabei festgelegt, dass bei einzelnen Heimbewohner:innen bei über 30° C die Diuretika reduziert oder ausgesetzt werden sollen. Hierzu haben wir Listen dieser Patient:innen erstellt, die dann an den Medikamentenschrank gehängt wurden, damit nicht bei jedem einzelnen in die elektronische Akte des Pflegeheims geschaut werden musste. Auf dieser Liste haben wir auch notwendige Kontrollen, zum Beispiel Blutdruck und Gewicht, vermerkt. Problematisch war dann aber, dass in den Heimen die Medikamente von der Apotheke geblistert werden und teilweise erstmal herausgefunden werden musste, welche der weißen, runden Tabletten das Diuretikum ist.

Expertin

Dr. med. Susanne Bublitz ist seit 2022 die 2. Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg. Nach ihrem Medizinstudium an der Universität Heidelberg und ihrer Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin ließ sich Dr. Bublitz 2010 als Hausärztin in der eigenen Praxis in Pfedelbach (Hohenlohekreis) nieder. Seit 2022 ist sie auch Vorsitzende der Stiftung Perspektive Hausarzt des Deutschen Hausärzteverbands. Bublitz ist Mitglied der Vertreterversammlung der KV Baden-Württemberg und der Landesärztekammer. Der Klimaschutz ist eine Herzensangelegenheit für Dr. Bublitz, für den sie sich auch politisch stark macht. Sie ist unter anderem Mitglied in der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG).

Sind gerade die hausärztlich tätigen Ärzt:innen mit solch aufwendigen Maßnahmen nicht angesichts proppenvoller Praxen und viel zu vielen Patienten überfordert? Was muss passieren, dass Ärzt:innen ihrer Klimaverantwortung im täglichen Alltag besser gerecht werden können?

Dr. Susanne Bublitz: Damit klimaschützende Maßnahmen auch im hausärztlichen Bereich in der Fläche umgesetzt werden können, müssen auch wir Zugang zu Förderungen erhalten, die derzeit jedoch fast ausschließlich dem stationären Sektor zugutekommen. Ein einfaches Beispiel wären Beschattungsmaßnahmen in einer Hausarztpraxis durch einfache bauliche Maßnahmen. Das müssen wir alles aus eigener Tasche bezahlen. Wir müssen da als einzelne Arztpraxis viel stärker in den Fokus der Politik rücken. Derzeit liegt es allein an der Ärzt:in selbst, ob sie klimaschützende Maßnahmen in der Praxis umsetzen möchte und was sie finanzieren kann. Deshalb brauchen auch wir – wie die Krankenhäuser – Sondertöpfe.

Würden spezielle Klimasprechstunden für Patient:innen helfen und wie müssten diese strukturiert und honoriert werden?

Dr. Susanne Bublitz: Da das Gesundheitswesen 5 bis 7 % des CO2-Ausstoßes produziert, sehen wir auch in den Praxen ein nicht unerhebliches Potenzial, um zum Klimaschutz beizutragen. Wir möchten Praxen dabei unterstützen, zur "Nachhaltigen Hausarztpraxis" zu werden. Wir erarbeiten aktuell hierfür ein Zertifikat, bei dem es nicht nur um den Klimaschutz, sondern insgesamt um die Nachhaltigkeit geht. Ein Ziel ist, den eigenen CO2-Fußabdruck und den der ganzen Praxis zu verringern. Gerne möchten wir hier auch die Kostenträger ins Boot holen. Parallel dazu halten wir es für wichtig, eine klimasensible Beratung zu etablieren, die zum Beispiel an eine Gesundheitsuntersuchung angedockt werden könnte. Denn Klimaschutz ist Gesundheitsschutz und damit eine ureigene hausärztliche Aufgabe. Die müsste natürlich dann auch zusätzlich honoriert werden, weil es eine neue Leistung im hausärztlichen Setting ist.

Welche weiteren Handlungsfelder haben sich in einer Hausarztpraxis schon bewährt?

Dr. Susanne Bublitz: Wir haben uns in einem ersten Schritt mit dem Praxisteam damit beschäftigt, wie wir unseren Praxisalltag nachhaltiger gestalten können. So haben wir etwa allen Mitarbeitenden ein Job-Rad (E-Bike) angeboten und uns darauf verständigt, uns nachhaltiger und gesünder ernähren zu wollen.

Mit unseren Patient:innen sprechen wir vermehrt über Bewegungs- und Sportaktivitäten. Und wir raten dazu, nur noch zweimal pro Woche Fleisch zu essen und sich ansonsten pflanzenbasiert zu ernähren. Das ist nicht nur gesünder, sondern auch besser für das Klima.

Wird es auch bald mehr strukturierte Angebote geben?

Dr. Susanne Bublitz: Ja, es soll Mini-Klima-Module für die Teampraxis geben, die künftig vom Institut für hausärztliche Fortbildung (IhF) konzeptionell weiterentwickelt werden. Zudem müssen wir gerade für vulnerable Gruppen spezielle klimasensible Angebote entwickeln, die wir zum Beispiel im Rahmen einer DMP-Kontrolle anwenden können. Insgesamt versuchen wir den Patient:innen zu vermitteln, dass sie selbst sehr viel mehr fürs Klima tun können und vieles gar nicht so schwerfällt, wie man immer glaubt. Wir alle müssen jetzt einen Switch machen und wir Hausärzt:innen sollten die Vorreiter und Multiplikatoren sein.


Das Interview führte Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (3) Seite 30-32