Wie sieht die Hausarztpraxis der Zukunft aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch der Deutsche Hausärzteverband (DHÄV) und propagiert seit einiger Zeit das Modell der Teampraxis. Doch was ist das genau? doctors today-Mitarbeiter Raimund Schmid sprach darüber mit Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth.

doctors|today: Frau Prof. Buhlinger-Göpfarth, Sie sehen die Teampraxis als die Praxisform der Zukunft an. Wo stehen wir da gerade und was müssten die nächsten Schritte sein?

Buhlinger-Göpfarth: Für die Versorgung der Zukunft müssen neue Antworten gefunden werden, denn die bisherigen Konzepte werden in einer älter werdenden Gesellschaft mit weniger Ärzt:innen nicht mehr aufgehen. Die Versorgung kann in der Zukunft nur im Team gemeistert werden, das heißt wir müssen auch akademisierte Gesundheitsberufe entsprechend ihrer Qualifikation und Fähigkeiten gezielter in die Versorgung einbinden. Dies bedeutet für uns aber nicht die Substitution ärztlicher Leistungen, denn wenn die medizinische Versorgung und letztlich auch die Verantwortung für die Versorgung zerstückelt wird, stehen die Patienten am Ende allein da und niemand fühlt sich zuständig. Daher bleibt in unserem Konzept die Ärzt:in in der Verantwortung und delegiert einzelne Leistungen je nach Qualifikation an das Team.

doctors|today: Gibt es hierfür bereits ein innovatives maßgeschneidertes Konzept?

Buhlinger-Göpfarth: Wie dies konkret aussehen kann, entwickeln wir aktuell mit unserem HÄPPI, dem "Hausärztlichen Primärversorgungszentrum: Versorgung interprofessionell", einer Teampraxis eingebettet in eine größere Struktur. Bei der Konzeptentwicklung und ggf. Evaluation werden wir unterstützt von der Universität Heidelberg. Die Teampraxis kann aber nur funktionieren, wenn wir auch gleich über die Finanzierung eines Teampraxen-Modells sprechen. Wir sind da auch schon mittendrin, indem wir mit den Kostenträgern über einen Teampraxiszuschlag verhandeln.doctors|today: Spielen die Kassen da mit?Buhlinger-Göpfarth: Wir sehen viel Offenheit für zukunftsfähige Konzepte. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen ja, dass sich Investitionen in eine primärärztliche Zukunft auch finanziell auszahlen. Das sehen auch die Kassen zunehmend so, weil sie so auf Dauer Geld einsparen, wenn bei optimierten primärärztlichen Strukturen nicht bei jeder Gelegenheit sofort das Krankenhaus angesteuert werden muss.

doctors|today: Der Bundesgesundheitsminister will die Budgetierung für die Kinderärzt:innen aufheben. Der Hausärzteverband fordert dies nun ebenso. Ist diese Forderung realistisch?

Buhlinger-Göpfarth: Fakt ist, dass Hausärzt:innen 40 % der pädiatrischen Leistungen erbringen. Und diese Leistungen wollen wir schon genauso wie die Kinderärzt:innen honoriert bekommen. Natürlich ist es gut, dass die Bundesregierung erkannt hat, dass eine faire Vergütung hausärztlicher Leistungen notwendig ist, um eine flächendeckende Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen. Die Frage, ob dies durch eine Entbudgetierung erreicht werden kann, ist derzeit Gegenstand von Gesprächen und muss differenziert betrachtet werden.

doctors|today: Wo ist da der Pferdefuß?

Buhlinger-Göpfarth: Die Endbudgetierung hausärztlicher Leistungen ist ein äußerst komplexes Unterfangen, denn wir haben eine komplizierte Honorarsystematik. Was wir sicherlich brauchen, ist eine Lösung für die Hausärzt:innen in Hamburg und Berlin, bei denen die Honorarsituation extrem angespannt ist. Außer für diese beiden Regionen könnte nach aktuellem Stand eine Entbudgetierung und damit eine Abschaffung des MGV – was die Anpassung einer Vielzahl von Regelungs- und Fördermechanismen mit hoher Relevanz für die hausärztliche Versorgung zur Folge hätte – dazu führen, dass regional manche Kolleg:innen sogar schlechter gestellt würden.

doctors|today: Sehen Sie eine Gefahr für die hausarztzentrierte Versorgung (HzV), wenn die Budgets aufgehoben werden und sich damit der Spielraum für die GKV-Honorare erweitert?

Buhlinger-Göpfarth: Diese Gefahr sehe ich aktuell nicht. Die HzV bietet mit ihrem pauschalen Vergütungssystem den Praxen mehr Planbarkeit und größeren Gestaltungsspielraum bei gleichzeitig einer nachweislich besseren Versorgung der Patient:innen. Die HzV ist und bleibt die bessere Alternative zur Regelversorgung.

doctors|today: Es wird gerade am Beispiel der Primärversorgungszentren viel darüber diskutiert, wie die Grundversorgung der Zukunft aussehen könnte. Wie sieht hierbei Ihr Zukunftskonzept aus?

Buhlinger-Göpfarth: Wir müssen endlich die Sektorengrenzen aufheben und andere Bereiche wie etwa die Pflege verstärkt mit einbeziehen. Wir können künftig nicht weiter wegen jedem kleinen Beratungsanlass, der eine Infusion erfordert, eine Krankenhauseinweisung veranlassen. In solchen Primärversorgungszentren könnten dann auch vormals stationäre Aufgaben ambulant übernommen werden, wenn dies finanziell und personell leistbar ist. Deshalb ist es gut, auch hier gleich übers Honorar zu reden. Nur dann wird deutlich, was der Politik und den Kostenträgern eine funktionierende und flächendeckende ambulante Versorgung in Zukunft wert ist, um damit zugleich teure Folgekosten zu verhindern.

doctors|today: Wann glauben Sie, dass solche Modelle in die Versorgung kommen können?

Buhlinger-Göpfarth: Der Zeitplan sieht so aus, dass wir unser gemeinsam mit der Uni Heidelberg zu entwickelndes Konzept im Spätsommer fertigstellen und vorstellen wollen. Ende 2023 könnten wir dann einen ersten Praxistest pilotieren.

doctors|today: Um die Versorgung mit hausärztlich tätigen Ärzt:innen aufrechtzuerhalten, wird jede Hausärzt:in benötigt. Warum fällt es so schwer, die hausärztlich tätigen Internist:innen als gleichberechtigt sowohl für die Versorgung wie auch in der Weiterbildung anzuerkennen? Und wie sieht hierbei der Fahrplan aus, das zu ändern?

Buhlinger-Göpfarth: Allgemeinmediziner:innen sowie hausärztliche Internist:innen stellen gemeinsam die hausärztliche Versorgung in Deutschland sicher. Es gibt keine Hausärzt:innen erster oder zweiter Klasse. Das muss sich auch in der Weiterbildungsbefugnis widerspiegeln. Die Kompetenzen der hausärztlich tätigen Internist:innen sind in der hausärztlichen Versorgung und in der Weiterbildung unverzichtbar, darum setzen wir uns dafür ein, dass auch hausärztlich tätige Internist:innen – beim Nachweis entsprechender Kompetenzen – in der Allgemeinmedizin weiterbilden können. Von welchen Kriterien dies abhängig sein könnte, möchten wir gemeinsam mit der DEGAM in einem Katalog erarbeiten und durch Fortbildungsangebote ergänzen. Sinnvoll ist auch, einen einfacheren Quereinstieg zum Facharzttitel Allgemeinmedizin aus der Inneren Medizin zu ermöglichen, wo dies gewünscht wird.

Das Interview führte Raimund Schmid



Expertin

© Hausärzteverband Baden-Württemberg
Prof. Dr. med. Nicola Buhlinger-Göpfarth

Sie praktiziert seit 2002 in eigener Praxis als Hausärztin in Pforzheim und wurde 2022 zur Vorsitzenden des Hausärzteverbands Baden-Württemberg und zur 1. stellvertretenden Bundesvorsitzenden des DHÄV gewählt. Sie ist Mitglied der Vertreterversammlung der KV Baden-Württemberg und der Landesärztekammer. Sie ist die Sprecherin des Forums Hausärztinnen im DHÄV und als Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Spitzenfrauen Gesundheit aktiv. Seit 2010 ist sie zudem Lehrbeauftragte für Allgemeinmedizin an der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg, seit März 2021 hat sie eine Professur für Physician Assistance mit dem Schwerpunkt Allgemeinmedizin an der Europäischen Fachhochschule (EUFH) Rhein/Erft in Köln.

Erschienen in: doctors|today, 2023; 4 (4) Seite 25-26