Um medizinisches Wissen auf den neuesten Stand zu bringen, sind regelmäßige Tagungs- und Seminarbesuche ein Muss. Wie schnell verliert man den Anschluss, wenn Fortbildung aus Zeitmangel oder anderen Gründen immer wieder verschoben wird. Seit der Corona-Krise haben sich die Fortbildungsmöglichkeiten verändert – Webinare sind in nahezu jeder Branche zu einer notwendigen Alternative zu Präsenzveranstaltungen geworden. Welchen Nutzen haben sie für die Hausarztpraxis?

Praxisärzte informieren sich über Seminar- und Kongresstermine über die Ärztekammern, die Presse und das Internet. Sie müssen selbst die Initiative ergreifen, sich um Programme bemühen, die Kosten selbst tragen, denn zur permanenten Weiterbildung und Qualifizierung ist jeder verpflichtet. Die Planung umfasst vor allem langfristige Überlegungen. Zunächst wird das Budget für Weiterbildung festgelegt und nach aktuellen Themen gesucht. Bei der Entscheidung hilft die gründliche Recherche im Netz.

Auf allen Gebieten entwickelt sich die Medizin weiter, Behandlungsmethoden verändern sich, Weiterbildung muss stattfinden, bevor sich Defizite bemerkbar machen. Bildung misst sich an der Zukunft, nicht an der Gegenwart. Die Überlegung lautet: "Welche zukünftigen Fortbildungsinhalte sind für meine Kompetenz und die des Teams wichtig?" Je näher neu zu lernende Kenntnisse an der Schnittstelle zwischen Wissen und Nichtwissen liegen, desto besser können sie von Seminarteilnehmern integriert werden.

Vor- und Nachteile von Webinaren

So wie sich Arzt und Patient mittlerweile in der Telemedizin am Bildschirm treffen, treffen sich Referent und Seminarteilnehmer online. Seit der Corona-Krise boomen Webinare. Der größte Vorteil: Mit dem Webinar spart man Reisekosten und die Übernachtung und obendrein Zeit. Der Teilnehmer muss sich nicht auf einen Seminarraum umstellen, die vertraute Umgebung, zu Hause oder in der Praxis, wird von vielen Online-Teilnehmern sehr begrüßt. Lässt sich nun das herkömmliche Bildungssystem ersetzen? Trotz der zahlreichen Vorteile für den Arzt und sein Team gibt es auch Nachteile: Das Seminar am Bildschirm strengt mehr an, bei Befragungen haben sich über die Hälfte der Webinar-Teilnehmer kritisch geäußert und nur eine Zeitdauer von drei bis vier Stunden täglich für sinnvoll gehalten. Auch kann es zu technischen Schwierigkeiten kommen, oder die Bild- und Tonqualität ist nicht immer perfekt. Je mehr Personen an einer Schulung teilnehmen, desto kleiner ist der jeweilige Bildausschnitt. Bei Präsentationen ist Präsenztraining die erste Wahl, denn Behandlungsschritte und Geräte können so u. U. besser präsentiert werden als über Video.

Das Ambiente eines professionellen Seminarraums und das "get together" mit Kollegen nach der Veranstaltung schätzen die Teilnehmer sehr. In Online-Seminaren ist der Erfahrungsaustausch, auf den viele Teilnehmer Wert legen, nicht möglich. Die Nähe, der persönliche Kontakt zu anderen Teilnehmern geht über den Bildschirm verloren.

Für medizintechnisches Wissen und fachliche Kompetenz sind Webinare sehr gut geeignet. So wie es verschiedene Verkehrsmittel gibt, die ihre Berechtigung haben, existieren verschiedene Lernformen, die sich ergänzen und nicht im Wettbewerb gegeneinander stehen. Webinare als eine Alternative werden das Präsenztraining und die Teilnahme an Kongressen vermutlich nicht verdrängen.

Seminare für das ganze Team

Mitarbeiterqualifizierung ist für jeden Arzt eine wichtige Aufgabe. Weiterbildung motiviert das Team und erhöht die Bindung an die Arztpraxis. Weiterbildung verlangt von allen eine ausgeprägte Lernbereitschaft und den nötigen Veränderungswillen, unabhängig von der Berufserfahrung der Mitarbeiter.

Der Seminarbesuch ist effektiv, wenn die Mitarbeiter ...
  • selbst feststellen, dass ihnen Wissen fehlt
  • eine positive innere Einstellung zur Weiterbildung haben
  • neugierig auf das Seminarprogramm reagieren
  • die Inhalte nicht sofort negativ bewerten

Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des "Instituts für Lernsysteme ILS" möchten sich vor allem jüngere Mitarbeiter weiterentwickeln. Bei einer jährlichen Arbeitszeit von ca. 1.500 Stunden ist eine Weiterbildung von 15 Stunden (zwei Seminartage) gerade mal 1 %, das Mindeste, was der Arbeitgeber seinem Team gönnen sollte. Wissen muss möglichst vielen Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden. Seminarbesuche dürfen nicht nur einzelne Personen betreffen, sondern sollten für das ganze Team geplant werden.

Für Mitarbeiter ist es nicht nur ein Tapetenwechsel, wenn sie ein Seminar besuchen dürfen, sie können vom Arbeitgeber die Kostenübernahme für Reise und Übernachtung als Ausdruck der Wertschätzung erwarten. Der verkürzte Wissenszyklus, die dauernden Veränderungen und völlig neuen Entwicklungen im Gesundheitswesen erfordern eine permanente Weiterbildung. Lerninhalte sollten sich in den eigenen Erfahrungs- bzw. Erkenntnishorizont des Seminarbesuchers einordnen lassen. Aus Sicht des Praxisinhabers sollte ein Seminarbesuch nicht als Belohnung für eine gute Mitarbeiterin gesehen werden. Es gilt das Gleichbehandlungsprinzip, wonach alle im Team den gleichen Anspruch auf Weiterbildung haben. Fortbildung ist eine notwendige Investition für die Zukunft und sichert die Existenz der Arztpraxis. Dabei darf das Thema Kosten des Seminarbesuchs nicht überbewertet werden.


Literatur
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Autor:

Rolf Leicher

Dipl.-Betriebswirt, Fachautor und Referent
69118 Heidelberg

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (15) Seite 54-57