Hausärzt:innen können sich als Vertrauensperson ihrer Patient:innen schnell zwischen allen Stühlen wiederfinden, wenn es um individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) geht.

Man möchte seinen Patient:innen ein umfassendes Angebot machen, aber nicht in eine Verkäuferposition geraten. Hinzu kommt, dass es IGeL gibt, die von der Ärzteschaft als problematisch oder sogar schädlich eingestuft werden.


Dr. Jennifer Demmerle, Winnweiler

Jede IGeL-Leistung sollte auch hinterfragt werden

Die wohl häufigste IGeL-Leistung aktuell ist die Bestimmung von Antikörpern gegen das SARS-CoV-2-Virus. "Ich würde gern wissen, ob ich vielleicht schon Antikörper habe - dann brauche ich mich nicht impfen lassen!" oder "Ich möchte nur sichergehen, ob die Impfung auch funktioniert hat!" sind z. B. Anliegen von Patient:innen. Prinzipiell handelt es sich ja bei jeder medizinischen Leistung, die von der gesetzlichen Krankenkasse nicht übernommen wird, um eine IGeL. Bei einer gesetzlichen Versorgung, die als "wirtschaftlich, zweckmäßig und ausreichend" definiert wird, gibt es sicher IGeL-Leistungen, die gerechtfertigt durchgeführt werden. Dazu zählen zum Beispiel ärztliche Atteste für Sport und Freizeit, Führerscheine sowie Bescheinigungen für Reisen oder Reiserücktritts- und Lebensversicherungen. Auch Laborbestimmungen, wie zum Beispiel der Maserntiter zum Nachweis einer Immunität im Rahmen der Masernimpfpflicht, zählen zu den Leistungen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, aber meines Erachtens sinnvoll sind. Auch Therapiemöglichkeiten wie zum Beispiel Akupunktur bei Migräne sollten hier nicht außer Acht gelassen werden.

Allerdings muss jede IGeL-Leistung auch hinterfragt werden. So werden auch medizinisch fragwürdige Leistungen angeboten. Ob ein regelmäßig durchgeführtes PSA-Screening nach aktueller Studienlage wirklich sinnvoll ist, möchte ich infrage stellen. Auch sehe ich Patient:innen, bei denen als IGeL die Bestimmung von Tumormarkern im großen Stil durchgeführt wurden. Ein medizinischer Nutzen ist hier bei hohen Kosten für den Betroffenen sicher nicht gegeben. Immer wieder bitten auch Patient:innen um die Bestimmung von bestimmten Laborwerten, wie z. B. Vitaminen, Spurenelementen oder Antikörpertitern. Die medizinische Zweckmäßigkeit möchte ich in den meisten Fällen negieren.

Was am Ende für mich zählt? Die ausführliche Aufklärung der Patient:innen über den medizinischen Nutzen der Selbstzahlerleistung und ggf. auch den möglichen Schaden. Wenn eine Leistung nicht schadet und ängstliche Patient:innen beruhigt, darf diese sicherlich auch einmal ohne evidenzbasierten Nutzen durchgeführt werden.



© Fingerfoto.de/Franziska Finger
Dr. Ulrike Koock, Nidderau

Wirtschaftlichkeit vs. Patientenerwartung

Wir niedergelassenen Ärzt:innen stecken häufig in der Zwickmühle zwischen dem im Sozialgesetzbuch verankerten Wirtschaftlichkeitsprinzip der Behandlung und der Erwartungshaltung unserer Patient:innen, sie möglichst schnell und umfassend gesunden zu lassen und dabei keine Kosten und Mühen zu scheuen. So gerne man seinen Patient:innen alles gönnen würde, so ist man doch oft gezwungen, zu sagen, dass diese oder jene Leistung nicht von den Kassen übernommen und damit nicht verordnet werden kann.

Und das ist oft auch verständlich und sinnvoll, denn Behandlungen ohne evidenzbasierten Nutzen, Stichwort Alternativmedizin, müssen nicht von der Solidargemeinschaft finanziert werden. Um Beispiele zu nennen: Eigenblutbehandlungen, Blutegeltherapien oder auch spezielle Krebsfrüherkennungsmaßnahmen werden vom IGeL-Monitor der GKV und des MDK unklar oder tendenziell negativ bewertet, ein Nutzen konnte also nicht ermittelt werden. Umgekehrt gibt es Untersuchungen, die keinen Schaden bringen, aber den Patient:innen einen konkreten Erkenntnisgewinn, wie zum Beispiel bei der Bestimmung der Antikörper gegen COVID-19. Auch Reiseatteste, Sportuntersuchungen oder kosmetische Eingriffe sind solche Selbstzahlerleistungen.

Wenn es darum geht, Patient:innen mit einem Behandlungswunsch zu beraten, ist Offenheit bezüglich der zu erwartenden Ergebnisse angebracht. Denn sobald Ratsuchende den Eindruck erhalten, dass sie etwas verkauft bekommen sollen, schwindet das Vertrauen in die ärztliche Kompetenz.

Deswegen gilt meiner Ansicht nach grundsätzlich, dass IGeL nur auf Wunsch der Patient:innen angeboten werden sollten oder man anbietet, ein Beratungsgespräch hinsichtlich der Selbstzahlerleistungen zu führen, ohne dass sie sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen.

Ein ehrliches Wort, welche Leistungen zu erwarten und welche hilfreich sind, steht den Erkrankten zu.


IGEL in der hausärztlichen Praxis - Information ja, Werbung nein

Ob man dem Thema Selbstzahlerleistungen nun positiv oder eher kritisch gegenübersteht: Die Wirkung, die der Umgang mit dem Thema IGeL in der eigenen Praxis auf die Patient:innen hat, ist nicht zu unterschätzen. Denn dieser kann sich deutlich auf ihre Gesamtzufriedenheit mit dem Besuch in der Arztpraxis auswirken. Drei von vier Patient:innen (73 %) sind laut IGeL-Monitor 2020 mit dem Besuch in der Praxis grundsätzlich zufrieden. Haben die Betroffenen aber den Eindruck, es werde beim Thema Selbstzahlerleistungen Druck auf sie ausgeübt, sinkt die Gesamtzufriedenheit deutlich auf 41 % [1]. Es überrascht daher nicht, dass es auch Hausärzt:innen gibt, die sich dazu entscheiden, grundsätzlich keine IGeL anzubieten oder nur auf Wunsch der Patient:innen.

Gleichzeitig können solche Selbstzahlerleistungen für die Praxis durchaus "lohnenswert" sein: Der Jahresumsatz mit IGeL beträgt nach einer Hochrechnung durch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) rund eine Milliarde Euro [2]. Aktuell werden im Schnitt acht von zehn IGeL von den Ärzt:innen angeboten, nur bei zwei davon haben Patient:innen selbst danach gefragt [1]. Damit sich Ärzt:innen hier nicht unfreiwillig in der Rolle einer "Verkäufer:in" wiederfinden, ist es hilfreich, die Kommunikation zu IGeL in der eigenen Praxis so klar wie möglich zu gestalten. In diesem Kontext stellen z. B. immer mehr Hausarztpraxen bereits im Rahmen ihrer Internetseite klar, ob und welche IGeL sie anbieten. Bei einer Kommunikation – sei es per Website oder durch Auslagen bzw. Infoscreens in der Praxis – gelten die für Mediziner:innen einschlägigen Regelungen für Werbung: Prinzipiell dürfen Arztpraxen für sich und ihre Leistungen werben, wenn dies sachlich und berufsbezogen erfolgt. Hilfreich bei der Abgrenzung kann beispielsweise eine Titulierung der Selbtstzahlerleistungen als "IGeL/Wunschleistungen" sein. Die Auseinandersetzung mit dem Thema IGeL ist eine gute Gelegenheit, das Praxismarketing zu hinterfragen und sich intensiver mit seinen (gewünschten) Zielgruppen, möglichen Mitbewerbern etc. zu beschäftigen. Wer sich stärker beim Thema IGeL engagieren möchte, für den kann u. U. auch eine Beratung durch spezialisierte Marketinganbieter sinnvoll werden.

Wichtig für die Organisation: IGeL müssen als Privatleistung nach der GOÄ abgerechnet werden. Außerdem dürfen sie nicht ohne schriftlichen Vertrag mit der Patient:in erbracht und abgerechnet werden. Diese Vereinbarung muss enthalten: eine genaue Beschreibung der ärztlichen Leistung, welche die Patient:in als IGeL in Anspruch nehmen möchte sowie Angaben über das voraussichtliche Gesamthonorar (Kosten für die IGeL) einschließlich der einschlägigen Ziffern der GOÄ sowie über den Gebührensatz. Das Praxispersonal kann sachlich informieren, die eigentliche Aufklärung muss die Ärzt:in jedoch persönlich übernehmen.

Hilfreiche Informationen zum Thema IGeL bietet z.B. die Internetseite des IGeL-Monitors, die vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zur Verfügung gestellt wird. Hier findet man neben Infos für Patient:innen auch Bewertungen einzelner IGeL für Fachkreise, wie beispielsweise eine aktuelle Einstufung der "Ultraschalluntersuchung der Halsschlagadern zur Schlaganfallvorsorge bei Erwachsenen ohne Beschwerden" als tendenziell negativ.


Literatur
2. Private Zusatzleistungen in der Arztpraxis. WIdOmonitor 2019; 16(1):1–12


Autorin
Sabine Mack

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 56-58