Immer mehr Hausarztpraxen beschäftigen sich mit der Frage: Lohnt es sich für unsere Praxis, die Videosprechstunde als festen Bestandteil in unsere Praxisabläufe zu integrieren? Die folgenden Argumente können helfen, die Vor- und Nachteile für das eigene "Unternehmen Arztpraxis" besser einzuschätzen.

CONTRA

- Grundlegendes technisches Verständnis notwendig, nicht nur bei den Patient:innen, sondern auch beim Team
- Implementierung verursacht gewissen technischen Aufwand und je nach Konzept die Anschaffung spez. Technik (Videokamera)
- Umsetzung setzt Schulung des Teams voraus
- Nicht für alle Zielgruppen und Krankheitsbilder geeignet (wenn z.B. eine Palpation der Bauchregion notwendig ist)
- Virtuelle Distanz kann als unpersönlich empfunden werden
- Kommunikationsprobleme z.B. durch mangelnde Sprachkenntnisse können verstärkt werden
- Im persönlichen Gespräch kann es Patient:innen leichter fallen, über schwierige Themen zu sprechen
- In Kombination mit einer schwach aufgestellten Praxis-IT werden sicherheitstechnische Risiken verstärkt (Datenverlust, Cybercrime)

Zustimmung, aber auch Skepsis

Laut dem ETL-Meinungsbarometer "Der amazonisierte Patient" bezeichnen 41% der befragten Mediziner:innen ein zu geringes Honorar für Videosprechstunden als Grund für ihre persönliche Ablehnung. Für über die Hälfte wirkt Corona als Beschleuniger für die Einführung. 37,3% sagen, dass digitale Angebote eine sinnvolle Ergänzung für die medizinische Versorgung der Patient:innen auf dem Land bedeuten können. Allerdings geben 63,5% der Ärzt:innen an, in den nächsten zwei Jahren keine Einführung zu planen, und nennen als Gründe zu hohe technische und bürokratische Hürden bei der Umsetzung von digitalen Praxisangeboten.

PRO

+ Mehr Flexibilität für Patient:innen und Praxisteam
+ Geringeres Personenaufkommen vor Ort (Wochenbeginn, Corona, Grippewelle etc.)
+ Patientenfluss verbessert sich, da hierfür kein klassischer "Check-in" notwendig
+ Gut geeignet z.B. für Eltern mit Kind, bei Mobilitätseinschränkungen und zur fortlaufenden Betreuung chronisch kranker Patient:innen
+ Entlastung der Praxismitarbeiter:innen, die sich auf Wesentliches konzentrieren können
+ Aufwertung des Arbeitsplatzes in der Arztpraxis mit positivem Effekt auf die Mitarbeiterbindung
+ Viele Konzepte sind auch mobil nutzbar (Patient sowie Arzt)
+ Kann den Arzt-Patienten-Kontakt effizienter machen (weniger Abschweifen)
+ Systeme, die über eine zentrale Plattform gesteuert werden, können zur Neupatientengewinnung beitragen

Konsequente Nutzung wichtig

Dr. Christian Braun von Medgate kommentiert den Faktor Wirtschaftlichkeit wie folgt: "Bei gelegentlicher Nutzung lassen sich Einsparpotenziale der Videosprechstunde für Arztpraxen eher schwer erzielen. Ab einem Anteil von mindestens 30% an den Gesamtkontakten realisieren sich Einspareffekte spürbar − und das dann gleich in verschiedenen Bereichen wie Personal, Miete und Zeitaufwand. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass Ärzt:innen dann eine gewisse Routine im Umgang mit der Videosprechstunde entwickeln und es generell eine kritische Masse an Videosprechstunden zur Realisierung von Einsparungen braucht."


Literatur:
1. ETL ADVISION Meinungsbarometer "Der amazonisierte Patient": http://www.etl-advision.de/aktuelles/etl-advision-meinungsbarometer-der-amazonisierte-patient


Autorin
Sabine Mack



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (5) Seite 57