Schulvermeidendes Verhalten ist ein wachsendes gesellschaftliches Problem. Homeschooling während des Lockdowns hat zwar für die betroffenen Kinder vorübergehend für Erleichterung gesorgt, was aber natürlich keine dauerhafte Lösung sein kann. Kinder- bzw. Hausärzt:innen fällt eine wichtige Aufgabe bei der Weichenstellung für eine Reintegration in den schulischen Alltag zu. Warnsignale sollten nicht bagatellisiert oder verzögert ernst genommen werden.

KASUISTIK
Vorstellungsanlass: 14-jährige Patientin konsultierte wegen diverser Probleme eine mobile kinder- und jugendpsychiatrische Spezialsprechstunde an einer Hauptschule; unregelmäßiger Schulbesuch (fehlte etwa jeden zweiten Tag; schulischer Leistungsabfall, Versagensängste), der von Mutter und Patientin mit starker Somatisierung (Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Luftnot ohne somatische Ursache), Schlafstörungen und Mobbing in der Schule erklärt wurde. Die Symptomatik hätte bereits in der 5. Klasse begonnen.

Familienanamnese: Innerhalb eines Jahres Tod von drei nahe stehenden Familienangehörigen einschließlich des Vaters; Mutter körperlich schwer erkrankt; Vater sei alkoholkrank und gewalttätig gewesen; Mutter habe seit kurzem neuen Lebensgefährten; mehrere erwachsene Halbgeschwister mütter- und väterlicherseits

Eigenanamnese: Schwangerschaft der Mutter der Schülerin erst im 6. SSM festgestellt, unauffällige Geburt; frühe Fütterungsstörung; Meilensteine der Entwicklung unauffällig; ab zweieinhalb Jahren Besuch einer Kindertagesstätte bei guter sozialer Integration; Einschulung mit sechs Jahren, gute bis mittelmäßige Leistungen; Schulwechsel nach Umzug in andere Stadt, in neuer Klasse sei die Patientin oft geärgert worden; erneuter Umzug und Schulwechsel wegen Erkrankung der Mutter, Wiederholung der 2. Klasse; abermaliger Umzug in andere Stadt, Besuch der 3. und 4. Klasse in neuer Schule, Mobbing durch Mitschüler; Wechsel auf Hauptschule, schlechte soziale Integration, Mobbing, Beginn der Schulverweigerung; 2008 Umzug zu neuem Lebensgefährten der Mutter, erneuter Schulwechsel (Hauptschule), aktuell 7. Klasse

Testpsychologische Diagnostik: Durchschnittlicher IQ, Selbstbeurteilung (YSR) auffällig hinsichtlich körperlicher Beschwerden, Fremdbeurteilung durch die Mutter (CBCL) auffällig hinsichtlich körperlicher Beschwerden, Angst/Depression, sozialerProbleme, aggressiven Verhaltens; Angst- und Depressionsfragebogen unauffällig, Verdachtsdiagnosen: Somatisierungsstörung (F45.0V); Spezifische Phobie (F40.2V)

Empfehlung: stationäre Aufnahme zur vertiefenden Diagnostik, Einleitung einer stationären oder ambulanten psychotherapeutischen Behandlung.

Laut einer Studie der DAK aus dem Jahre 2018 mit fast 600.000 Kindern und Jugendlichen haben 9 % aller Kinder und Jugendlichen eine chronisch-psychische Erkrankung (Jungen 11 %, Mädchen 7 %) [1]. Auf Platz zwei nach ADHS (8 %) wird Schulangst/Schulphobie mit fast 4 % angegeben [1, 2] (Abb. 1). Auch Ärzt:innen werden also immer häufiger mit dem Phänomen des sogenannten "schulvermeidenden Verhaltens" konfrontiert [3]. Die Ursachen sind meist erst bei genauerer Betrachtung der Gesamtsituation zu ermitteln.

Schulvermeidung und Schulschwänzen

Unter Schulvermeidung versteht man, dass der Schüler sich mit Wissen der Eltern ohne Altersgenossen zu Hause aufhält. Oft besteht Angst vor dem Schulbesuch, zusammen mit körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit, wiederholtem Erbrechen oder anderen Phänomenen. Der Schüler zieht sich immer mehr sozial zurück, besucht keine Freunde mehr, nimmt nicht mehr am Sport teil, vernachlässigt seine Hobbys, verändert sich in seiner Persönlichkeit. Oft zeigt sich eine ausgesprochene Ängstlichkeit, Passivität und depressive Störung (Tabelle 1).

Unterkategorien des schulverweigernden Verhaltens sind "Schulangst", d. h. Angst vor der Schule und "Schulphobie", d. h. Angst vor der Trennung von den Eltern bzw. der häuslichen Situation. Andere psychiatrische Ursachen wie Agoraphobie (Angst vor weiten Plätzen oder Menschengedränge) oder Zwangsstörungen, Depressionen, Psychosen können ebenfalls eine Rolle spielen [4].

Unter Schulschwänzen hingegen versteht man, dass der Schüler ohne Wissen der Eltern dem Unterricht fernbleibt. Er hält sich außerhalb des häuslichen Milieus auf und schwänzt den Unterricht meist zusammen mit anderen Kindern oder Jugendlichen. Im Gegensatz zu den internalisierenden Symptomen bei Schulverweigerern zeigen Schulschwänzer sogenannte externalisierende Symptome: Sozialverhaltensstörungen, Substanzmissbrauch wie Alkohol- und Drogenkonsum, aggressives Verhalten bis hin zur Delinquenz, also zum straffälligen kriminellen Verhalten (Tabelle 2).

Neben diesen beiden Hauptkategorien gibt es auch Sonder- und Mischformen wie Schuldistanz, Schulunlust und Schulmüdigkeit. Der Schüler ist zwar dann noch im Unterricht anwesend, arbeitet jedoch nicht mehr mit, hat "innerlich gekündigt". Für dieses Verhalten wird auch der Begriff "Präsentismus" verwendet [5].

Als Gesamthäufigkeit wird geschätzt, dass ca. 5 – 10 % aller Schüler:innen regelmäßig und in erheblichem Umfang der Schule fernbleiben [3, 4].

Schulvermeidung wird gehäuft an den biografischen Wendepunkten der Kinder beobachtet: So tritt das Phänomen häufig bei Schuleintritt und bei Schulübertritt, also zwischen dem 6. und 7. Lebensjahr sowie zwischen dem 10. und 11. Lebensjahr auf. Dies ist jedoch nur eine grobe Regel. In klinischen Kollektiven wie z. B. psychosomatischen Abteilungen an Kinderkliniken sind Kinder aller Altersstufen vom Grundschulalter bis zum Gymnasialalter in Betreuung [6]. Das sogenannte Schulschwänzen wird häufiger im Jugendalter, insbesondere zwischen dem 13. und 17. Lebensjahr beobachtet [5].

Schulverweigerung und Schulschwänzen tritt bei Jungen tendenziell häufiger auf. Es sind alle Schularten betroffen, in besonderem Maße jedoch die Mittelschulen [5].

Welche Symptome führen in die Arztpraxis?

  • a) Morgendl. Übelkeit, teils mit Brechreiz/Erbrechen
  • b) Bauchweh, Appetitmangel
  • c) Kopfschmerzen
  • d) Schwindel
  • e) Leistungsminderung, Müdigkeit
  • f) Gangstörungen (selten)
  • g) Sehstörungen (selten)

Oft tritt die Symptomatik in zeitlichem Zusammenhang mit schulischen Belastungen auf. Typischerweise bessern sich die Beschwerden in Ferienzeiten und am Wochenende.

Gründe für das Fernbleiben von der Schule

In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um eine multikausale Genese (Abb. 2). Oft liegt eine Überforderungssituation der Schüler:innen vor, die sich in einer psychosozialen Notlage befinden.

Es lassen sich individuelle Risikofaktoren wie Einschränkung der Intelligenz, etwaige Teilleistungsstörungen (Legasthenie, Dyskalkulie), mangelnde Bewältigungsstrategien, psychische Auffälligkeiten, ungünstige Temperamentsfaktoren beschreiben [5]. Ein wichtiger Punkt ist exzessive Nutzung digitaler Medien, die oft über 5 h/Tag liegt.

Weitere Merkmale auf individueller Ebene sind geringe Bildungserwartung, risikobehaftetes Sozialverhalten, Hochrisiko-Peer-Gruppe (Peers = Gleichaltrige), geringe Bindung an die Schule und starke außerschulische Aktivitäten [9].

Auch externe Faktoren wie belastende Familiensituation, chronische Konflikte, Trennung der Eltern, nicht ermutigender Erziehungsstil, häufiger Wohnortwechsel mit damit verbundenem Wechsel der Freundeskreise sind oft bei genauerer Anamnese zu finden.

Auf familiärer Ebene spielen folgende Risiken eine Rolle: niedriger sozio-ökonomischer Status, geringes Bildungsniveau der Eltern, zerrüttete Familienverhältnisse und hohe Geschwisteranzahl sowie geringe soziale Kontrolle, d. h. wenig Aufsicht und Unterstützung. Hinzu kommen oft folgende Aspekte: geringe Erwartungshaltung der Eltern an die Schule, damit verbunden wenig Kontakt zur Schule, kein Aufsuchen von Sprechstunden oder Beratungsangeboten [9].

Auf schulischer Ebene lassen sich ebenfalls Risikofaktoren beschreiben: geringes Leistungsniveau der Schülerschaft, geringer Personalschlüssel (Lehrer-Schüler-Verhältnis), wenig Unterstützung durch Lehrkräfte, inadäquate Lehr- und Lernmethoden, Disziplin- und Gewaltprobleme, häufige Suspendierung und Schulverweise, negatives Schulklima, Mobbing [9].

Liegen im konkreten Fall mehrere der genannten Risikofaktoren vor, ist ab einem bestimmten Punkt das Kind nicht mehr in der Lage, die schulischen Anforderungen zu bewältigen. Meist bringt dann eine zusätzliche Belastung wie z. B. Misserfolgserlebnisse bei Schulaufgaben das berühmte "Fass zum Überlaufen". Die Fehlzeiten werden häufiger, Klassenwiederholungen werden notwendig, eventuell sogar ein Schulwechsel. Es entsteht ein Teufelskreis, aus dem sich Kind und Familie nur noch mit externer Hilfe befreien können. Wenn das Problem nicht gelöst wird, können sich psychische Störungen chronifizieren. Im Ergebnis kommt es dann zu Schulabbruch, Arbeitslosigkeit, sozialer Randexistenz.

Häufig ist die Schulvermeidung initial auch von körperlichen Beschwerden begleitet (= somatoforme Störungen, s. o.). Die Symptome sind oft wechselhaft, anfangs nicht immer eindeutig schulischen Belastungen zuzuordnen. Daher werden die Kinder meist zunächst pädiatrisch, erweitert dann auch kindergastroenterologisch untersucht [3, 6]. Aufgrund der Beschwerden entstehen Fehlzeiten in der Schule, die Betroffenen lassen sich häufig vorzeitig abholen, bleiben schließlich ganz dem Unterricht fern.

Konsequenzen der Schulverweigerung

Auch wenn Kinder ja nicht unentschuldigt dem Unterricht fernbleiben dürfen und eine Entschuldigung vonseiten der Eltern benötigen, kommt es oft zu langwierigen, chronischen Verläufen. Wegen der initial meist körperlichen Beschwerden wie Bauchweh, Übelkeit, Erbrechen, aber auch Kopfschmerzen, Atemnot, Schwindel etc. werden die Kinder in der Regel zunächst der zuständigen Kinder- oder Hausärzt:in vorgestellt. Diese veranlasst dann meist körperliche Untersuchungen inklusive einer Blutabnahme, Ultraschall, gegebenenfalls auch weitere Diagnostikverfahren. Häufig werden dabei Normalbefunde erhoben, sodass dann an eine psychosomatische Genese der Beschwerden gedacht wird.

Vielfach werden diese Zusammenhänge jedoch vom betroffenen Kind oder seinen Eltern nicht akzeptiert bzw. bagatellisiert, sodass z. B. dann oft der Arzt gewechselt wird. So kann es geschehen, dass Kinder monatelang von verschiedenen Ärzt:innen krankgeschrieben werden [5].

Nur die Schule hat den Überblick, wie viele Fehltage wirklich vorliegen. Wenn sie die Krankmeldung von Kinderärzt:in/Hausärzt:in nicht mehr akzeptiert, muss das Kind der Ärzt:in des zuständigen Gesundheitsamtes vorgestellt werden. Diese kann es dann untersuchen und für schulfähig erklären, hat aber keine Handhabe, wenn das Kind dann dennoch nicht zur Schule geht.

Die Schule hat in dem Fall die Möglichkeit, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Geldbuße einzuleiten. Hierzu ist eine genaue Dokumentation der Fehlzeiten nötig. Ist der Schüler oder die Schülerin keine 14 Jahre alt, erhalten die Erziehungsberechtigten einen Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde. Ab dem 14. Lebensjahr wird dem Schüler selbst der Bußgeldbescheid zugesandt. Sollte auch diese Maßnahmen nicht zum Schulbesuch führen, kann als letzter Schritt die Durchführung des Schulzwangs bei der Verwaltungsbehörde (Landratsamt) beantragt werden. Dies bedeutet, dass Beauftragte der Verwaltungsbehörde die Wohnung der Schüler:in betreten dürfen und das Kind z. B. mithilfe der zuständigen Polizeiinspektion zur Schule bringen lassen können. In letzter Konsequenz kann bei einem Scheitern all dieser Maßnahmen auch den Eltern das Sorgerecht entzogen werden [3].

Diese Regelungen stellen die rechtliche Ausgangssituation der Schulpflicht in den Mittelpunkt der Handlungsempfehlungen. Aus kinderärztlicher, insbesondere kinderpsychosomatischer Perspektive wird dabei völlig die seelische Notlage des Kindes und seiner Familie übersehen. Der skizzierte Teufelskreis entsteht insbesondere durch zu spätes Eingreifen der Bezugspersonen wie Eltern, Lehrern, Kinderärzten, Mitarbeitern von Gesundheits- und Jugendamt und weiteren Institutionen. Oft geschieht dies zunächst gut gemeint, um auf das betroffene Kind und seine Familie keinen Druck auszuüben. Durch die Vielzahl der betroffenen Institutionen kommt es häufig auch zu einer "Verantwortungsdiffusion", d. h. unscharf definierter Verantwortung, da meist unklar ist, wer federführend die Koordination der Unterstützungsmaßnahmen übernimmt. Ursächlich dafür ist wiederum die mangelnde Vernetzung bzw. Koordination der einzelnen Institutionen und Berufsgruppen. Im Einzelfall heben sich auch Interventionen gegenseitig auf, z. B. wochen- bis monatelange Krankschreibungen durch Ärzten gegenüber Reintegrationsbemühungen von Sozialpädagogen, Schulpsychologen [5].

Hausärztliche Aufgaben

Wichtige Punkte zum hausärztlichen Vorgehen bei V. a. Schulvermeidung sind [10]:
  • Keine wiederholten Krankschreibungen (nach gründlicher somatischer Abklärung ohne medizinische Erklärung für die Beschwerden)
  • Psychosomatische/psychiatrische Abklärung einleiten
  • Schule in reduziertem Umfang besuchen lassen (2 – 4 Stunden/Tag),
  • Tagesstruktur erhalten bzw. wieder neu etablieren
  • Bei totaler Schulvermeidung Attest nur mit Auflagen ausstellen: bis zur stationären Aufnahme, morgendliches Aufstehen, zumindest reduzierten Schulbesuch anstreben, Beendigung von exzessivem Medienkonsum
  • Klare Absprachen über Einhalten der vereinbarten Maßnahmen ("Behandlungsvertrag")
  • Ambulante Psychotherapie empfehlen und veranlassen
  • Stationäre Behandlung in psychosomatischer oder kinder- und jugendpsychiatrischer Abteilung empfehlen und veranlassen, falls ambulante Maßnahmen erfolglos [10]

Bei Gericht können auf Antrag der Schule Bußgeldverfahren wegen Verletzung der Schulpflicht gegen Eltern oder auch gegen Schüler:innen ab 14 Jahren verhängt werden. Es sind richterliche Anhörungen von Schüler:innen und Eltern möglich, gegebenenfalls Bußgeldbescheide oder Sozialstunden. Bei fehlender Mitwirkung der Eltern kann sogar die Einschränkung des elterlichen Sorgerechts resultieren. Bei fehlender Einsicht der Schüler:in in die Notwendigkeit einer Behandlung ist auf Antrag der Eltern auch eine Zwangsvorführung und Zwangseinweisung in kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken möglich [3, 5].

Unterstützende Maßnahmen

Grundsätzlich sollte allen Beteiligten klar sein, dass schulvermeidendes Verhalten ein Hilferuf des Kindes ist, der oft schwer erkennbar ist. Eine Stigmatisierung als "Faulpelze" oder "Drückeberger" etc. muss unterlassen werden. Von ärztlicher Seite sollten keine abwertenden Äußerungen wie: "der hat nichts, das ist bloß psychisch" etc. erfolgen. Die Schwere des Problems sollte in jedem Fall wahrgenommen werden. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass die immer noch vorhandene Tabuisierung und Bagatellisierung dieser Problematik überwunden wird [8].

Eltern können durch entsprechende Information von Seiten der Lehrer:innen, Kinderärzt:innen auf die Problematik von schulvermeidenden Verhalten hingewiesen werden. Wenn sie bemerken, dass ihr Kind mit körperlichen Beschwerden vor den Schultagen, insbesondere bei Prüfungs-Situationen (Ausfragen vor der Klasse, Schulaufgaben), reagiert, sollten sie die Symptomatik ernst nehmen und mit ihrem Kind darüber sprechen. Der Lehrer sollte ebenfalls von den Eltern angesprochen werden, um die Situation des betreffenden Schülers aufmerksamer wahrnehmen zu können. Im Einzelfall sollten auch objektive Überforderungssituationen wie mehrere sogenannte "Exen" an einem Tag, umfangreiche Hausaufgaben vor Schulaufgaben unterbleiben. Eltern können zum Beispiel darauf dringen, dass Lehrer sich untereinander informieren, welche Hausaufgaben die Kinder von den anderen Lehrerkollegen bereits zum Bearbeiten erhalten haben (Klassenbuch für Lehrer). Diese Information der Lehrer über das Aufgaben-Pensum der Schüler sollte Pflicht sein.

Lehrer:innen sollten die Warnsignale, die mit Schulvermeidung einhergehen, kennen: häufige Fehlzeiten, Disziplinkonflikte, Leistungseinbrüche, Schulversagen. Die schuleigenen Beratungsangebote sollten rasch, z. B. spätestens nach vier Wochen Fehlzeiten, zur Anwendung kommen. Sofern vorhanden, sollten Schul-Sozialarbeiter mit der Familie und dem Kind Kontakt aufnehmen.

Die zuständige Hausärzt:in/Kinderärzt:in sollte ebenfalls über die Problematik informiert werden, da sie ja in der Regel keine Kenntnisse über den Gesamtkomplex hat. Bei entsprechendem Verdacht vonseiten der oben genannten Bezugspersonen sollten keine disziplinarischen Kaskaden mit Attestzwang beim Gesundheitsamt, Jugendamt, Polizei und Gericht etabliert werden, sondern eher diagnostische und therapeutische Angebote von spezialisierten Abteilungen für Kinder- und Jugendlichen-Psychosomatik bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie empfohlen und wahrgenommen werden. Diese Angebote werden oft von Kind und Eltern bereitwillig angenommen, da ja der Hilfebedarf durchaus klar ist, insbesondere, wenn ursprünglich körperliche Beschwerden den Schulbesuch erschwert haben.

Welche therapeutischen Hilfen gibt es?

Nach gründlicher Problemerfassung können dann ambulante Therapieangebote wie zum Beispiel Betreuung durch einen niedergelassenen Kinder- und Jugend-Psychotherapeuten oder auch Teilnahme an Präventivprojekten wie "Schule in der Werkstatt", "Schul fit" etc., die in größeren Städten vorhanden sind, veranlasst werden. Leider bestehen jedoch erhebliche Wartezeiten für ambulante therapeutische Maßnahmen, auf ländlicher Ebene sind auch meist keine spezifischen Schulprojekte zur Reintegration von Schüler:innen in den Schulalltag etabliert.

Bei längerer Schulverweigerung mit oder ohne körperliche Beschwerden sind in der Regel jedoch nur stationäre Maßnahmen wirksam, um eine Wiederherstellung der Schulfähigkeit und Befreiung von körperlichen und psychischen Störungen zu erzielen. Eine ambulante medikamentöse Behandlung ist in der Regel unwirksam, wenn sie nicht mit psychotherapeutischen und edukativen Maßnahmen verbunden ist. Im stationären Rahmen können gegebenenfalls Antidepressiva, bei entsprechender Diagnose einer Aufmerksamkeitsstörung auch Stimulanzien zum Einsatz kommen [3].

Wichtig für die Sprechstunde
  • Schulvermeiden geschieht mit Wissen der Eltern, Schulschwänzen ohne Wissen der Eltern.
  • Oft führen körperliche Symptome wie Bauchweh, Übelkeit, Müdigkeit oder Kopfschmerzen zum Arzt.
  • Warnsignale sollten nicht bagatellisiert werden.


Literatur:
1. Greiner, W., Batram, M., Damm, O., Scholz, S., Witte, J., Kinder- und Jugendreport 2018. Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 23), 2018(2018): p. 1-206.
2. Greiner, W., Kinder-und Jugendreport der DAK-Gesundheit 2018, Schwerpunkt: Familiengesundheit 2018.
3. Schädler, G., Schulvermeidendes Verhalten: Manifestation - Ursachen - Behandlungsmöglichkeiten. Katholische Bildung, 2017(5/6 ): p. 106 - 115.
4. Knollmann, M., Knoll, S., Reissner, V., Metzelaars, J., Hebebrand, J., Schulvermeidendes Verhalten aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht: Erscheinungsbild, Entstehungsbedingungen, Verlauf und Therapie. Deutsches Ärzteblatt, 2010. 107(4): p. 43-49.
5. Stamm, W., Schulvermeidendes Verhalten als interdisziplinäre und institutionsübergreifende Aufgabe des Gesundheits- und Sozialsytems. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, 2014: p. 29 - 33.
6. Schädler, G., Klement-Rückel, C., Wenn die Schule Bauchweh macht. Katholischer Deutscher Frauenbund, 2016. 11: p. 6 - 7.
7. Ricking, H., Wenn der Schulbesuch nicht gelingt...(Teil 1). Kinder- und Jugendarzt, 2015. 46(Nr. 8): p. 443-447.
8. Ricking, H., Wenn der Schulbesuch nicht gelingt... (Teil 2). Kinder- und Jugendarzt, 2015. 46(Nr. 9): p. 508 - 516.
9. Ricking, H., Schulabsentismus. Pädiatrische Praxis, 2016. 86: p. 237-247.
10. Pappert, A.T., Knollmann, M., Hebebrand, J., Reißner, V., Schulvermeidung: Neue Ansätze zur Diagnsotik und Therapie schulvermeidenden Verhaltens. Pädiatrie, 2017. 23: p. 152-159.


Autor

Dr. med. Gereon Schädler

Abt. für Neuropädiatrie/Sozialpädiatrie/Psychosomatik
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
86154 Augsburg
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (3) Seite 36-43