Frage: Das Risiko thromboembolischer Komplikationen ist bei 18 von 20 Krebserkrankungen erhöht. Sollte bei fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren eine Thromboembolieprophylaxe erfolgen und nach Entlassung fortgeführt werden?

Antwort: Die aktuelle S3-Leitlinie zur Thromboseprophylaxe schreibt dazu:

Nach Eingriffen an Gesichtsschädel und Hals kann auf eine medikamentöse VTE-Prophylaxe im Regelfall verzichtet werden. Bei zusätzlichen Risiken (z. B. ausgedehnte und/oder onkologische Eingriffe) sollte eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erfolgen.

Die Studienlage zu dieser Fragestellung ist jedoch schlecht. Auch die LL schreibt: "Hierzu wurde keine Evidenz aus hochwertigen randomisierten Studien identifiziert." Letztlich liegt es wohl im Ermessen des Arztes, ob eine medikamentöse VTE-Prophylaxe stationär begonnen und dann auch ambulant fortgeführt wird. Dabei sollten individuelle Risikofaktoren des Patienten einbezogen werden – neben der Tumorerkrankung wären das v. a. die Mobilität, weitere Risikofaktoren für eine VTE wie z. B. vorausgegangene thromboembolische Ereignisse bei dem Patienten oder Begleiterkrankungen.

Die Leitlinie schreibt:

Das individuelle Risiko setzt sich aus expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren zusammen.

Das expositionelle Risiko ist durch Art und Umfang eines operativen Eingriffs oder Traumas bzw. einer akuten Erkrankung mit Immobilisation charakterisiert. Das dispositionelle Risiko umfasst angeborene und erworbene personenbezogene Faktoren. Beide Aspekte sollen bei der Einschätzung des individuellen VTE-Risikos berücksichtigt werden.

Als dispositionelle Risikofaktoren werden genannt und bewertet:

  • Frühere TVT/ LE – hohe Bedeutung
  • Thrombophilie/Hämostasedefekt – artspezifisch geringe bis hohe Bedeutung
  • Maligne Erkrankung – mittlere bis hohe Bedeutung
  • Höheres Lebensalter > 60 Jahre – mittlere Bedeutung
  • VTE bei Verwandten 1. Grades – mittlere Bedeutung
  • Chronische Herzinsuffizienz/Z. n. Herzinfarkt – mittlere Bedeutung
  • Übergewicht, BMI > 30 – mittlere Bedeutung
  • Akute Infektion/entzündliche Erkrankung mit Immobilisation – mittlere Bedeutung
  • Therapie mit/Blockade von Sexualhormonen (z. B. Kontrazeption, Postmenopause, Tumortherapie) – substanzspezifisch gering bis hoch
  • Schwangerschaft und Postpartalperiode – geringe Bedeutung
  • Nephrotisches Syndrom – geringe Bedeutung
  • Stark ausgeprägte Varikose – geringe Bedeutung

Gegen das VTE-Risiko muss auch immer das Blutungsrisiko z. B. bei älteren, sturzgefährdeten Patienten abgewogen werden.



Autor:

Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke

Privatpraxis für Haut- und Gefäßmedizin
45657 Recklinghausen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (9) Seite 54