Was ist die "richtige Wundauflage" zur Therapie des Diabetischen Fußsyndroms (DFS)? Diese Entscheidung ist immer individuell zu treffen. Bei Diabetespatienten sollte der Hausarzt mindestens einmal pro Jahr die Füße anschauen. Ein beginnendes Druckgeschwür lässt sich so rechtzeitig erkennen und erfolgreich behandeln. Die Kooperation mit "Fußnetzen", in denen regionale Fußexperten eng zusammenarbeiten, ist zu empfehlen.

Kasuistik
Im Januar 2017 stellte sich routinemäßig Herr O. M. wieder bei uns vor. Er ist ein rüstiger, eher schlanker, 69-jähriger Rentner mit einem HbA1c von 6,9 %. Sein Diabetes ist seit Längerem gut mit Metformin und einem DPP4-Hemmer eingestellt. Eigentlich will er nur seine Medikamente holen, doch wir weisen ihn auf die jährliche Fußuntersuchung hin.

Bei der Inspektion der Füße fallen zunächst am linken Fuß (Abb. 2) und noch deutlicher ausgeprägt am rechten Fuß (Abb. 3) Krallenzehen auf. Ein solcher Befund lässt Hyperkeratosen, Druckstellen, eventuell auch Ulzera an den Zehenspitzen oder unter den Metatarsalia vermuten, die der Patient noch nicht bemerkt hat.

Der Blick auf die Fußunterseite bestätigt den Verdacht (Abb. 4). Bei der genauen Fußuntersuchung zeigte sich, dass das Vibrationsempfinden beidseitig an D1 auf ein Achtel, am Knöchel auf zwei Achtel reduziert war. Thermästhesie und Monofilament konnten nicht wahrgenommen werden. Der ASR war beidseitig kaum auslösbar. Hätte man nicht rechtzeitig den Fuß untersucht, wäre eher ein Befund wie bei dem Patienten in Abb. 5 zu erwarten gewesen.

Bei beiden Patienten konnte durch Débridement, Desinfektion, Alginat und Fixierung sowie durch einen zweimal wöchentlichen Verbandswechsel eine gute Abheilung erreicht werden. Der Arzt sollte auch immer daran denken, anschließend eine podologische Therapie zu verordnen. Zur Prophylaxe erneuter Ulzera unter den Metatarsalia ist eine diabetesadaptierte Fußbettung angebracht. Für die Krallenzehen empfiehlt sich eine ambulante Tenotomie der Beugesehnen bei versierten Fußchirurgen aus dem Fußnetz.

Etwa 250.000 Menschen mit Diabetes haben eine Fußläsion in Deutschland und ca. 1 Mio. Diabetiker ein erhöhtes Risiko für eine Fußverletzung. Die Neuerkrankungsrate liegt unverändert bei 2,2 – 5,9 % pro Jahr (Übersicht 1) [1].

Wunde: Dekontamination und Debridement

Bei der Diagnostik dürfen wir deshalb keine Zeit verlieren: Die Füße der Patienten müssen regelmäßig kontrolliert werden, insbesondere wenn sie gefährdet sind. Unseren Diabetespatienten sollten wir einschärfen, dass sie sich auch bei der kleinsten Wunde sofort bei uns melden. Beim Erstkontakt sind die Fußinspektion, das Tasten des Fußpulses und gegebenenfalls eine weiterführende Diagnostik und Therapie wichtig. Die Pulse sollte man auch im weiteren Verlauf überwachen. Diagnostiziert der Arzt bei der Fußkontrolle eine Wunde, muss sie behandelt und verbunden werden (Kasten 1).
Wirkt die Wundstelle infiziert, ist an einen Abstrich zu denken, der nach Erst-Desinfektion aus der Tiefe entnommen werden sollte. Primärverbände haben Wundkontakt, deshalb muss man die Wunde dafür vorbereiten: Eine Oberflächendesinfektion mit Lavanid® oder Octenisept® (hier: 5 – 10 Minuten, bei MRSA: 20 Minuten) bietet sich an. Keinesfalls dürfen diese Mittel in Höhlen gespült werden. Hierfür sind 0,9 % NaCl oder Ringerlösung geeignet (Kasten 2). Anschließend erfolgt das Debridement von Nekrosen und Hyperkeratosen, die bei der Wundheilung stören (Abb. 1).

Unter Débridement versteht man die mechanische Abtragung von avitalem Gewebe bis an intakte anatomische Strukturen heran. Denn durch avitales Gewebe, Fremdkörper, Beläge und Detritus kommt es zur Behinderung der Wundheilung (Expertenkonsens E 16; Zustimmung: 19 von 19 in [3]).

Übersicht 1:
Prävalenz der Fußgeschwüre: 2 – 10 % der diabetischen ­Bevölkerung

Amputationen:
  • 70 % aller Amputationen in Deutschland an Diabetikern.
  • Jährliche Inzidenz 3 bis 40 pro 100.000 Einwohner (2 – 6 % aller Diabetiker).
  • Risiko der Diabetiker für eine Amputation ist 10- bis 22-mal erhöht.
  • Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2017: alle 13,4 Minuten eine Amputation in Deutschland! [2].
  • 12.000 hohe Amputationen pro Jahr (5 pro Arbeitstag) [2].

Kasten 1:
„Verbandsmaterialien“
  • Primärverband: unmittelbarer Wundkontakt
  • Sekundärverband: Flüssigkeitsretention
  • Äußerer Verband: Halt, Kälte- und Anprallschutz
  • Verbandsschuh: Druckentlastung und Schutz

Kasten 2:
Dekontamination: Entfernung der oberflächlichen Keimbesiedelung
  • Vor Débridement, vor Aufbringen des Primärverbandes
  • Antiseptische Wundbehandlung zur weitgehenden Beseitigung einer lokalen Entzündung durch humanpathogene Mikroorganismen unter Einsatz von Antiseptika [3]
  • Produkte: Octenidin, hypochlorige Säure. Vorsicht: Anschließendes Abspülen ist wichtig. Das Einbringen in Höhlen ist kontraindiziert – Gefahr von toxischen Reaktionen. Hier sind Spülungen mit 0,9 % NaCl oder Ringerlösung möglich.

Primärverband mit unmittelbarem Wundkontakt

Primärverbände wendet man passend zum Wundstadium an. Sie sorgen für die Herstellung eines Mikroklimas, um eine optimale Enzymaktivität zu ermöglichen (Übersicht 2). Manchmal wirken sie keimzahlreduzierend, manchmal granulationsfördernd. Und sie beeinflussen pathophysiologische Prozesse im Wundgebiet.

Welche Wundauflagen sollten wir primär verwenden? Auf Basis der vorliegenden Evidenz zu Alginat, Schaumstoff, Acrylat, Hydrokolloid, Hydrofaser, feuchten Kompressen, Gaze oder Folienverbänden lässt sich kein Vorteil für ein bestimmtes Produkt für die Wundheilung ableiten [3]. Die Leitliniengruppe trifft daher keine Empfehlung für bestimmte Produkte. Auch zu wirkstoffhaltigen polihexanid-, biguanid- oder octenidinhaltigen Wundauflagen/Gelen, ibuprofenhaltigen Schaumstoffauflagen, Aktivkohle-Wundauflagen, Kollagen, Hyaluronsäure oder zu Nano-Oligosaccharid-Faktor (NOSF) konnten keine Aussagen zu Nutzen oder Schaden im Hinblick auf die Wundheilung getroffen werden.

Zur Therapie mit Silber gibt es wohl Hinweise aus In-vitro-Studien zur Wirksamkeit gegen Bakterien – bei längerer Einwirkung sind diese aber auch schädlich für die Wundheilung [4].

Auch iodhaltige Verbindungen wie Iod-Gel, PVP-Iod-Salbe oder PVP-Iod-Gaze zeigen in den vorhandenen Studien keinen Nutzen für die Wundheilung. Letztere Präparate sind bei chronischer Anwendung toxisch.

Übersicht 2:
Arten von Primärverbänden

grob- und gemischtporige Schäume
  • Alginate
  • feinporige Schäume
  • Distanzgitter
  • Hydrogele
  • Hydrofasern
  • Hydrokolloide
Einteilung nach [4]

Wichtig: Wundrand- und Umgebungsschutz

Hautschäden sollte der Arzt unbedingt vermeiden. Sie können durch Mazeration, Haft- und Klebeblasen, häufige Manipulation, Allergene und toxisch-irritative Substanzen oder Austrocknung entstehen. Mazeration und Austrocknung von Wundrand und -umgebung sollten daher vermieden werden. Bei der Auswahl der geeigneten Wundauflage ist auf den Wundrand- und Wundumgebungsschutz, gegebenenfalls durch zusätzliche Schutz- und Pflegemaßnahmen zum Erhalt der Haut-Barriere-Funktion, zu achten. Eine Empfehlung zu einzelnen Materialien kann aufgrund der Datenlage leitliniengemäß nicht erfolgen. Pflegeberufe wenden gerne CavilonTM an, was aber keine Kassenleistung ist.

Kasten 3:
Wunde richtig behandeln
  • Verschlossene (postoperative) Wunde und trockene Nekrosen trocken verbinden.
  • Auch die Wunde im Epithelisierungsstadium benötigt wenig Feuchtigkeit.
  • Die „Sekundäre Wundheilung“ braucht es immer feucht, denn überschüssiges Sekret muss aufgenommen werden können.
  • Hydrogele helfen z. B. auch, um freiliegende Knochenenden vor Austrocknung zu schützen

.
Kasten 4:
Abstriche richtig gewinnen
  • Wir wollen nicht die Hautkeimflora erfassen.
  • Abstrichgewinnung daher nach Desinfektion mit Octenisept®.
  • Abstrich möglichst tief aus der Wunde entnehmen.

Was können wir der Wunde Gutes tun?

Hydrogele

Hydrogele sind beim Diabetischen Fußsyndrom zur passiven periodischen Wundreinigung geeignet, wenn Rehydrierung erforderlich ist, z. B. zum Lösen von Restbelägen in trockenen Wunden [4].

Hydrokolloide

Hydrokolloide schaffen und erhalten ein physiologisch feuchtes Wundklima [4].

Sekundärverbände

Die Sekundärverbände schützen den Primärverband davor, zu verrutschen, und zusätzlich die Wunde vor mechanischer Verletzung. Keimbelastung und Austrocknung lassen sich so verhindern, Wundsekret wird aufgenommen. Die Standard-Kompresse saugt kaum Flüssigkeit auf. Die Saugkompresse, die in der Regel aus Zellulose besteht, nimmt mehr Flüssigkeit auf, gibt diese allerdings unter Druck (Belastung, Kompressionsverband) wieder ab. Lediglich Saugkompressen mit Superabsorbern binden die Flüssigkeiten an hygroskopische Substanzen und können diese auch unter Kompressionsverbänden eine begrenzte Zeit halten. Damit bieten sie einen Schutz vor Mazeration.

Äußerer Verband

Die äußeren Verbände bieten einen mechanischen Schutz, eine zusätzliche Fixierung der Wundauflagen und halten die Wunde warm. Dies ist nicht nur im Winter wichtig, sondern erst recht, wenn begleitend eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) vorliegt. Sekundärverbände können geklebt oder bei irritierter Haut oder Unverträglichkeiten als Schlauchverbände angelegt werden.

Welches Verbandsmaterial ist gut?

Für den Arzt ist die Entscheidung am wichtigsten, wie viel oder wie wenig Feuchtigkeit die Wunde braucht bzw. selbst "liefert" (Kasten 3).

Wundheilung verbessern, Sekret auch aus der Tiefe mobilisieren

Seit einigen Jahren unterstützen uns physikalische Methoden wie die Vakuum- oder die hyperbare Sauerstofftherapie – die HBO-Therapie ist allerdings sehr aufwendig und ohne Evidenz bei pAVK. Die Vakuumtherapie hat David Armstrong 2004 positiv erwähnt [5]. Die Befürworter beschreiben ein intensiveres Debridement, mehr Wachstum von Granulationsgewebe und schnellere Wundverkleinerung. Auch die S3-Leitlinie ist der Auffassung, dass die Vakuumversiegelung aufgrund der vorliegenden Studienergebnisse zum Endpunkt "Wundgrößenverkleinerung", zur versorgungsbedingten Ausfüllung und zur prozentualen Reduktion der Wundtiefe bzw. des Wundvolumens erwogen werden kann [3].

Was ist wichtig bei der chronischen Wunde?

  • Prüfen Sie regelmäßig die Perfusion! Bei nicht sicher tastbaren Pulsen dürfen Sie keinen Tag mit der Doppleruntersuchung zögern, gegebenenfalls sollte sofort die Vorstellung beim Angiologen oder beim interventionellen Radiologen/Gefäßchirurgen erfolgen. Adressen in Ihrer Region finden Sie über die Homepages der regionalen Fußnetze (z. B. die Fußnetze Bayern, Bremen, Köln, Leipzig, Mittelhessen).
  • Antibiotika nach den Maßgaben der Notwendigkeit geben: nicht bei reiner Kontamination, selten bei Kolonisation, immer bei Infektion mit den typischen klinischen Zeichen Rubor, Calor, Tumor, gegebenenfalls sollte eine CRP-Bestimmung erfolgen. Bei unbekannten Wunden oder Erstvorstellung nach längerem Klinikaufenthalt: vorsichtshalber Abstrich entnehmen (Kasten 4), bei manchen KVen gibt es hierfür eine separate Abrechnungsziffer.

Entlastung: Welche Möglichkeiten gibt es?

  • TCC (Total Contact Cast): Die Vollkontaktgips-Versorgung wird von den Kostenträgern leider in vielen Bundesländern nicht erstattet (vgl. Tabelle 1)
  • VacoDiaped, Pneumo-Walker, Diabetic Walker
  • 2-Schalen-Orthese: Maßfertigung durch den Orthopädieschuhmacher
  • Rollstuhl
  • Bettruhe (Vorsicht: Fersenulkus!)

Vakuumentlastungsschuhe sind am schnellsten verfügbar und reichen bei vielen Wunden auch aus. Durch das Vakuumkissen reduzieren sie die gefährlichen Druckspitzen und sorgen für eine kontrollierte Druckverteilung. Sie vermindern Scherkräfte, indem sie das Sprunggelenk stabilisieren (dies bei kniehohen Modellen, die bei Ulzera unter den Metatarsalia erforderlich sind). Das ermöglicht bei konsequenter Anwendung die erfolgreiche Heilung der Wunde. An Trage-Überwachungssensoren wird schon gearbeitet.

Die Versorgung des diabetischen Fußes ist nicht nur personal-, sondern auch zeit- und kostenintensiv und für das ausführende Zentrum unwirtschaftlich. Sie benötigt deshalb eine effektive Zusammenarbeit der einzelnen Fachdisziplinen. Gerade beim Diabetischen Fußsyndrom müssen alle Spezialisten optimal und koordiniert zusammenarbeiten. Hier setzen die Fußnetze an! Abb. 6 zeigt alle wichtigen und beteiligten Strukturen.

DFS konsequent behandeln

Nutzen Sie diese Netzstrukturen, um für sich und Ihre Patienten kompetente Ansprechpartner für dieses komplexe Krankheitsbild zu finden. Bei der Eingabe des Begriffs "Fußnetz" in Internet-Suchmaschinen tauchen die regionalen Adressen gleich auf. Sie finden die meisten der in Abb. 6 gezeigten Akteure – von den diabetologischen Schwerpunktpraxen mit Fußambulanzen über Podologen, Orthopädieschuhmacher bis zu den Spezial-Fachärzten auch in Ihrer – zumindest weiteren – Nähe.

Patienten mit diabetischem Fußulkus müssen rasch und zielgerichtet von Spezialisten behandelt werden!

Fazit für die Praxis
Für keines der untersuchten Materialien (Alginat, Schaumstoff, Acrylat, Hydrokolloid, Hydrofaser, feuchte Kompresse, Gaze) konnte in Studien gegenüber anderen Materialien ein Vorteil für die Wundheilung nachgewiesen werden.

Schmerzen vermeiden, Granulationsgewebe schonen: Wichtigste Gesichtspunkte bei der Materialauswahl sind Schmerzvermeidung, Praktikabilität für den Patienten, Zustand von Wundrand und Wundumgebung, Haftstärke, Exsudataufnahme und -rückhaltefähigkeit, Allergien und Verträglichkeit [3]. Hinzu kommen Schonung des frisch entstehenden Granulationsgewebes und – last but not least – der Preis.


Literatur
1. Morbach S, Müller E, Reike H, Risse A, Rümenapf G, Spraul M (2013) Diabetisches Fußsyndrom: Praxisleitlinie DDG. Diabetologie 2013;8:180-188
2. Kröger J, Gallwitz B (2017) Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2017; Kirchheim & Co. GmbH; Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
3. S 3 Leitlinie Chronische Wunden , Herausgeber: Leitlinienkommission; Gültigkeit verlängert bis 2017)
4. Hochlenert D,Engels G, Morbach S, Das diabetische Fußsyndrom, Springer2014, .
160-166
5. Armstrong DG et al; (2004); Guidelines regarding NPWT in the diabetic foot; Ostoma wound manager 50(4Bsuppl) 3-275 )



Autor:

Dr. med. Arthur Grünerbel

Diabeteszentrum München Süd/Oberland
Diabetologicum DDG; Fußambulanz DDG
81477 München

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (12) Seite 40-43