Ältere Menschen mit Diabetes haben häufig Einschränkungen in der Sehfähigkeit und/oder der Feinmotorik. Ist für sie moderne, digitale Diabetestechnologie im täglichen Diabetesmanagement dann überhaupt sinnvoll? Betagte Diabetespatienten profitieren durchaus von der neuen Technik, etwa von der Alarmfunktion bei der kontinuierlichen Glukosemessung. Wesentlich ist aber ein auf den betagten Patienten und seine Bedürfnisse zugeschnittenes Gerät, das eine leichte Handhabung zulässt. Hilfreich sind auch Diabetes-Apps.

Bei Menschen mit Diabetes ist ein höheres Alter nicht per se eine Kontraindikation zur Diabetestechnologie. Im Gegenteil: Gerade ältere Patienten können davon in ihrem Diabetes-Selbstmanagement profitieren. Dafür ist ein altersgerechtes, intuitives Design der Technik zentral, vor allem bei Patienten mit speziellen (altersbedingten) Handicaps, wie Einschränkungen der Sehfähigkeit oder der Feinmotorik [1, 2]. Grundlegend für den Einsatz der Technik ist die individuelle Anpassung an Fähigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche des Patienten. Trotz der großen Zahl älterer Diabetespatienten ist die Mehrheit der Geräte leider noch nicht völlig barrierefrei, sodass der Arzt im Einzelfall die Vor- und Nachteile für den Nutzer abwägen muss (vgl. Kasten) [1, 3]. Die Geräte sollten das Selbstmanagement im Alltag vereinfachen und keine zusätzliche Belastung sein. Zentrale Ziele der Therapie sind entsprechend der S2k-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter [4], die Autonomie der Patienten möglichst lange zu unterstützen und die Lebensqualität zu verbessern.

Alarmfunktionen: Ältere profitieren

Ältere Diabetespatienten haben ein erhöhtes Risiko für (schwere) Unterzuckerungen, besonders bei beeinträchtigter Hypoglykämiewahrnehmung, stark schwankenden Glukosespiegel [5] oder einer Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit [6]. Unterzuckerungen steigern die Sturz- und Frakturgefahr [7], beeinträchtigen – zumindest vorübergehend – die kognitive Leistungsfähigkeit wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Reaktionszeit und Motorik älterer Menschen [8]. Sie stehen zudem im Verdacht, kardiovaskuläre Ereignisse [9] sowie demenzielle Prozesse [10] zu begünstigen. Hypoglykämien zu vermeiden ist daher ein zentrales Ziel der Diabetestherapie des älteren Menschen. Kontinuierliches Glukosemonitoring mit Alarmfunktion kann vor allem für Ältere eine sinnvolle technische Ergänzung des Diabetes-Selbstmanagements sein [11].

Kontinuierliches Glukosemonitoring

Beim kontinuierlichen Glukosemonitoring misst ein Sensor rund um die Uhr in Echtzeit (real time continuous glucose monitoring, kurz: rtCGM) den Glukosegehalt in der Gewebeflüssigkeit des Unterhautfettgewebes und sendet die Ergebnisse an ein Empfangsgerät. Der aktuelle Glukosewert lässt sich jederzeit ablesen und man kann Hoch- sowie Tiefalarme einstellen. Ist der Patient von der Vielzahl von Messwerten allerdings überfordert, helfen Systeme zum intermittierenden Scannen eines CGM-Sensors (iscCGM), auch als Flash-Glukosemonitoring (FGM) bezeichnet, weiter. Im Unterschied zu rtCGM-Systemen erfolgt hier keine kontinuierliche Übertragung der Messwerte. Der Patient muss den Sensor scannen, um Messwerte und Trends zum Glukoseverlauf zu sehen. Rückwirkend lassen sich die Werte der letzten sieben Tage anzeigen.

Die neue Generation der iscCGM-Systeme bietet zusätzliche Hoch- und Tiefalarme zwischen den Scanvorgängen, die sich auch als Vibrationsalarm (z. B. bei Schwerhörigkeit) einstellen lassen. Vor allem Ältere und auch Patienten mit Typ-2-Diabetes kommen mit den iscCGM-Systemen oft gut zurecht und schätzen die unblutige Messung. Klinische Studien zeigen bei ihnen eine Reduktion der Zeit im hypoglykämischen Bereich unter iscCGM-Nutzung – sowohl bei Menschen mit Typ-1- (IMPACT-Studie) als auch mit Typ-2-Diabetes (REPLACE-Studie) [12, 13]. Bei feinmotorischen Einschränkungen kann das Scannen den Messvorgang deutlich erleichtern und die Häufigkeit der Glukosemessungen gesteigert werden. So lässt sich die Lebensqualität der Patienten positiv beeinflussen und Behandler erhalten im Vergleich zur Blutzuckerselbstmessung ein realistisches Glukoseprofil. Das Setzen des Sensors ist bei allen erhältlichen Systemen anwenderfreundlich und kann durch den Patienten selbst oder durch Angehörige beziehungsweise Pflegekräfte erfolgen.

Grundlage für die sichere und effektive Nutzung der Sensoren ist die Schulung des Patienten und gegebenenfalls der Angehörigen oder Pflegekräfte. Die Vielzahl von Messwerten kann, wie erwähnt, überfordern und Ängste auslösen. Plötzlich werden
z. B. Glukoseschwankungen sichtbar, die vorher unbemerkt blieben. Der interstitielle Glukosewert entspricht erst mit einigen Minuten Verzögerung dem Blutzuckermesswert. Die Schulungsprogramme SPECTRUM (rtCGM) [14] und Flash (iscCGM) [15] klären über die Handhabung der Technik auf und helfen, aus den vielen Messwerten und Informationen sinnvolle Rückschlüsse für die Diabetestherapie abzuleiten. Für neuere rtCGM-Systeme und die iscCGM-Sensoren gibt es die Möglichkeit, anhand sogenannter Follower-Apps auch Angehörigen, Pflegekräften oder Behandlern die Glukosewerte auf dem Smartphone anzuzeigen, um im Notfall eingreifen zu können.

Apps

Für ältere Patienten kann es sinnvoll sein, sich die Glukosewerte von den Sensoren direkt über Apps auf dem Smartphone oder einem Tablet anzeigen zu lassen, um Parameter wie Schriftgröße, Helligkeit und Kontrast des Bildschirms anpassen zu können, Hoch- und Tiefalarme zu konfigurieren oder eine Sprachausgabe der Werte auszuwählen. Diese Funktion ist sowohl bei der Nutzung einiger neuerer rtCGM-Sensoren als auch für die iscCGM-Systeme möglich. Wie die DiMAPP-Studie zeigt, sind Nutzer aller Altersklassen und Diabetestypen an Apps zum Diabetes-Selbstmanagement interessiert [16].
Ein positives Beispiel ist hier die kostenlose und TÜV-geprüfte MyTherapy-App, die speziell für die Therapiebegleitung älterer Menschen mit chronischen Erkrankungen und deren Angehörige entwickelt wurde. Sie bietet eine Vielzahl von Funktionen, wie z. B. ein Gesundheitstagebuch und Medikamenten-Erinnerungen. Zusätzlich ist eine Follower-Funktion für Angehörige und Behandler verfügbar. Auf der Webseite der Initiative DiaDigital (http://www.diadigital.de) gibt es von Fachkräften zertifizierte Apps für das Diabetes-Selbstmanagement.

Kasten: Anforderungen an altersgerechte Insulinpumpen
  • Ein großes, gut ablesbares Display (ggf. die Möglichkeit, Werte auf das Smartphone zu senden)
  • Gut hörbare Alarme und Fehlermeldungen
  • Vorgefertigte Insulinampullen
  • Leichter Wechsel von Insulinampullen und Kathetersystem
  • Intuitive Menüführung
  • Deutlich zu fühlende Bedienungsknöpfe [1]

Insulinpumpen

Obwohl die meisten älteren Patienten weiter Pens zur Insulinapplikation nutzen, ist die Zahl der Pumpen-Nutzer bei den über 60-Jährigen mit Typ-1-Diabetes in den letzten Jahren weiter gestiegen. Heute ist eine Vielzahl an Modellen auf dem Markt, diese werden jedoch tendenziell immer kleiner und komplexer und sind somit für Ältere in der Handhabung oft schwierig zu bedienen. Es kann also sinnvoll sein, ein bekanntes Pumpenmodell mit weniger Funktionen möglichst lange beizubehalten. Viele Patienten haben auch Angst, ihre Pumpentherapie im Alter aufgeben zu müssen [17].
Eine Option können Patch-Pumpen sein, die ohne Schlauch auskommen und mit einem Pflaster auf den Oberarm geklebt werden. Sie sind kleiner, einfacher zu bedienen und bieten flexible Therapieoptionen, wie eine fixe Basalrate oder nur die Applikation von Boli.

Schwierigkeiten in der Handhabung

Idealerweise bemerken die Patienten ihre Schwierigkeiten bei der Handhabung selbst und sprechen diese beim Arzt an. Vielen Älteren fallen funktionelle Einschränkungen jedoch zunächst nicht auf oder werden aus Scham und Unsicherheit, die Technik abgeben zu müssen, ignoriert. Gerade bei Patienten mit langjährigem Typ-1-Diabetes besteht häufig die Angst, eine Vereinfachung der Therapie, z. B. durch die Abgabe komplexer Diabetestechnologie, könne ihre langfristigen Anstrengungen im Diabetes-Selbstmanagement zunichtemachen. Auch die Furcht vor einem Autonomieverlust kann psychisch belasten. In der Praxis sollte man deshalb auf mögliche Veränderungen des Patienten im Umgang mit seinen Geräten achten und die Therapie frühzeitig mit der zuständigen Schwerpunktpraxis anpassen. Häufige unerklärliche Blutzuckerschwankungen können ein erster Hinweis auf Probleme in der Handhabung sein. Im Idealfall findet frühzeitig ein Gespräch über die Therapieanpassung im Alter und bei funktionellen Einschränkungen statt. So gibt man dem Patienten auch die Chance zur aktiven Mitgestaltung.

Fazit für die Praxis
  • Ältere Patienten können in Abhängigkeit ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse von neuer Diabetestechnologie profitieren.
  • Die korrekte Handhabung der Geräte sollte regelmäßig überprüft werden: Wichtig sind insbesondere die Sehfähigkeit, Feinmotorik und die Fähigkeit, sinnvolle Therapieentscheidungen abzuleiten und umzusetzen.
  • Schulungen sind die Voraussetzung für eine optimale und sichere Nutzung der Technik.
  • Die Geräte sollten altersgerecht gestaltet und an die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse des Nutzers angepasst sein.
  • Ein enger Austausch mit der diabetologischen Schwerpunktpraxis ist sinnvoll.
  • Eine Veränderung der Therapie (z. B. Abgabe von Technik) kann Ängste auslösen, die ernst genommen und aufgefangen werden müssen.


Literatur
1. Heinemann L, Drossel D, Freckmann G, Kulzer B. Usability of Medical Devices for Patients With Diabetes Who Are Visually Impaired or Blind. J Diabetes Sci Technol. 2016;10(6):1382–1387.
2. Grammes, J., & Küstner, E. Diabetes-Technologie bei älteren Patienten mit Diabetes. [Diabetes technologies for older patients with diabetes]. Der Diabetologe 2016;12(8): 572-577
3. Heinemann L, Klonoff DC, & Kubiak T. Elderly Patients With Diabetes: Special Aspects to Consider. J Diabetes Sci Technol. 2019;13(4): 611-613.
4. Bahrmann, A., Bahrmann, P., Baumann, J., Bauer, J., Brückel, E., Dreyer, M., Freitag, M., Friedl, A., Gölz, S., Grundke, S., Hiddemann, S., Hodeck, K., Kern, W., Kintscher, U., Kubiak, T., Kulzer, B., Lee-Barkey, Y.H., Lobmann, R., Marx, N., Schröder, F., Tombek, A., Uebel, T., Wernecke, J., Zeyfang, A. (2018) S2k-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter. Diabetologie und Stoffwechsel; 13(05): 423-489.
5. Weinstock RS, DuBose SN, Bergenstal RM, et al. Risk factors associated with severe hypoglycemia in older adults with type 1 diabetes. Diabetes Care. 2016; 39: 603-610.
6. Prinz N, Stingl J, Dapp A, et al. High rate of hypoglycemia in 6770 type 2 diabetes patients with comorbid dementia: a multicenter cohort study on 215,932 patients from the German/Austrian diabetes registry. Diabetes Res Clin Pract. 2016; 1(12): 73-81.
7. Puar TH, Khoo JJ, Cho LW, et. al. Association between glycemic control and hip fracture. J Am Geriatr Soc 2012; 60(8):1493–7.
8. Feinkohl I, Aung PP, Keller M, et. al. Severe hypoglycemia and cognitive decline in older people with type 2 diabetes: the Edinburgh type 2 diabetes study. Diabetes Care 2014; 37(2): 507–15.
9. Goto A, Arah OA, Goto M, et. al. Severe hypoglycaemia and cardiovascular disease: systematic review and meta-analysis with bias analysis. BMJ 2013; 347: f4533.
10. Whitmer RA, Karter AJ, Yaffe K, et. al. Hypoglycemic episodes and risk of dementia in older patients with type 2 diabetes mellitus. JAMA 2009; 301(15): 1565–72.
11. DuBose SN, Weinstock RS, Beck RW, et al. Hypoglycemia in older adults with type 1 diabetes. Diabetes Technol Ther. 2016; 18: 765-771.
12. Bolinder J, Antuna R, Geelhoed-Duijvestijn P, Kroger J, Weitgasser R. Novel glucosesensing technology and hypoglycaemia in type 1 diabetes: a multicentre, non-masked, randomised controlled trial. Lancet 2016; 388(10057): 2254-2263.
13. Haak T, Hanaire H, Ajjan R, Hermanns N, Riveline JP, Rayman G. Flash Glucose-Sensing Technology as a Replacement for Blood Glucose Monitoring for the Management of InsulinTreated Type 2 Diabetes: a Multicenter, Open-Label Randomized Controlled Trial. Diabetes therapy : research, treatment and education of diabetes and related disorders 2017;8(1): 55-73.
14. Gehr B, Holder M, Kulzer B, et al. SPECTRUM: a training and treatment program for continuous glucose monitoring for all age groups. J Diabetes Sci Technol. 2017;11(2): 284-289.
15. Schipfer, M., et al., Makes FLASH the difference between the intervention group and the treatment-as-usual group in an evaluation study of a structured education and treatment programme for flash glucose monitoring devices in people with diabetes on intensive insulin therapy: study protocol for a randomised controlled trial. Trials 2018; 19(1): p. 91.
16. Kramer U, Zehner F (2016): Diabetes-Management mit Apps: Derzeitige und zukünftige Nutzung, Einstellungen, Erfahrungen und Erwartungen von Diabetikern. Online-Befragung von Diabetikern. Diabetologie und Stoffwechsel 2016; 11, P118
17. Grammes, J, Küstner, E, Demattio, S, Priesterroth, L, Heinemann, L, & Kubiak, T. Wünsche, Sorgen und Bedürfnisse bezüglich der Insulinpumpentherapie im Alter: Ergebnisse einer Befragung bei Menschen mit Typ-1-Diabetes mellitus im höheren Lebensalter und von Diabetesfachkräften. Diabetologie und Stoffwechsel 2018; 13(5): 492-499.



Autor:

Jennifer Grammes

Gesundheitspsychologie
Johannes Gutenberg-Universität
55122 Mainz

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (5) Seite 34-38