Wenn Tumoren im Gesicht und an den Lippen schnell wachsen und möglicherweise bösartig sein könnten, wird meist rasch operiert mit der Konsequenz, dass dann aufwendige plastische Rekonstruktionen nötig werden. Es gibt aber Tumoren, bei denen andere Therapien helfen.

Wann ist eine Operation nötig und wann greifen „einfache“ Verfahren oder konservative Therapien? Mit dieser Frage befassten sich Experten der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft e. V. (DDG) bei der 51. DDG-Tagung.

Pandemie hat OP-Kapazitäten eingeschränkt

Zu Beginn der Coronapandemie waren auch dermatologische Kliniken gezwungen, sich auf dringliche operative Eingriffe zu beschränken, um Kapazitäten für an COVID-19 erkrankte Patienten verfügbar zu machen. „In besonderem Maße war hiervon die Indikationsstellung auf dem Gebiet der Hautoperationen betroffen, die rein von der Anzahl her die häufigsten Operationen betreffen“, erklärt Professor Dr. med. Roland Kaufmann, Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Es galt also, in einer noch differenzierteren Art und Weise als sonst bei jedem einzelnen Fall „klug“ zu entscheiden.

Keratoakanthom oder Plattenzellkarzinom?

Besonders gut veranschaulichen könne man dies auf dem Gebiet der Tumortherapie im Bereich der Kopfhautregion an Gesicht und Lippen. Hier spielten bei der Wahl der Therapie funktionell-ästhetische Aspekte eine wichtige Rolle. Das Keratoakanthom beispielsweise ist ein epidermaler Tumor, der sich bevorzugt im Gesicht oder am Kopf bildet, schnell wächst und sich auch spontan zurückbilden kann. Der kraterartige Tumor, aus dem ein Hornkegel herauswächst, wird meist bei Menschen über 60 Jahren diagnostiziert. Herausfordernd beim Keratoakanthom sei, dass es dem bösartigen Plattenepithelkarzinom (Spinaliom) ähnelt, erklärte Kaufmann. Differenzialdiagnostisch sei die Abgrenzung zum Plattenepithelkarzinom zudem nicht einfach, da sie sich von außen betrachtet und histopathologisch ähneln.

Weil das Keratoakanthom so schnell wachse, werde es nicht selten unter der Diagnose eines Plattenepithelkarzinoms leitlinienkonform mit Sicherheitsabstand operativ entfernt, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass es zu einer bösartigen Weiterentwicklung kommt. Für den DDG-Experten ist das nicht der richtige Weg: „Klinisch-pathologische Fehleinschätzungen von Tumoren führten zu unnötigen Über-Operationen mit der Notwendigkeit ausgedehnter plastischer Rekonstruktionen, wo es einfache Verfahren oder konservative Therapien ebenfalls getan hätten. Mithilfe einer Querschnittsbiopsie könne man das Keratoakanthom auch feingeweblich gut von einem bösartigen Lippenkarzinom abgrenzen und die richtigen Weichen stellen. Dann ließen sich beispielsweise durch Injektionen oder wenig ausgedehnte Operationen die Funktionalität und Integrität der Lippe erhalten. Therapien sollten nicht durch die Verfügbarkeit einer speziellen Technik, sondern durch den Sachverstand bei Diagnosestellung gesteuert werden – das mache „klug entscheiden“ aus, fasste Kaufmann zusammen.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: DERMAforum, 2021; 25 (6) Seite 6