Der Verband der Ersatzkassen (vdek) hat nachgeforscht, wo es in der Versorgung denn genau hakt, und daraus Ideen entwickelt, wie solche Reformen zur Verbesserung der ambulanten Versorgung aussehen könnten. Manche Ärzteverbände zeigen sich wenig amüsiert.

In der Pressekonferenz, in der der vdek seine Pläne vorstellte, gab es von der vdek-Vorstandsvorsitzenden Ulrike Elsner zunächst einmal Zuckerbrot: Eine Befragung von GKV-Versicherten habe ergeben, dass 94 % mit der Versorgung ihrer Hausärzte insgesamt sehr bzw. eher zufrieden sind. Bei den spezialistischen Fächern schwankte der Zustimmungswert zwischen 83 und 98 % je nach Fachgruppe. Auch mit der Zeit, die sich Ärzte für die Behandlung genommen haben, zeigten sich 91 % zufrieden. Diese ­Werte seien sehr hoch, und das spreche für ein großes Vertrauen der Patienten in ihre Ärzte. Gerade in Pandemiezeiten hätten Ärzte und ihre Teams Enormes geleistet, um die Versorgung aufrechtzuerhalten und die Impfkampagne voranzubringen, lobte Elsner – um dann allmählich die Peitsche auszupacken.

Zu lange Wartezeiten sind ein Dorn im Auge der Kassen

Die Zahlen aus der Umfrage seien zwar gut, aber dennoch gebe es Verbesserungspotenzial, so die vdek-Chefin. Unzufrieden zeigte sie sich vor allem mit den nach wie vor zu langen Wartezeiten auf einen Termin in einer Arztpraxis, schränkte aber ein, dass dies vor allem den fachärztlichen Bereich betreffe. 38 % der Befragten mussten mindestens einen Monat lang auf einen Termin in einer Facharztpraxis warten, etwa jeder sechste sogar drei Monate oder länger. Und dies, obwohl mit der Errichtung der Terminservicestellen mit der Rufnummer 116 117 durch die Kassenärztlichen Vereinigungen seit Mitte 2019 eine schnellere Terminvergabe innerhalb von vier Wochen ermöglicht werden sollte. Elsner wies darauf hin, dass die Krankenkassen allein zur Verkürzung der Wartezeiten zwischen Mitte 2019 und Anfang 2021 fast 800 Millionen Euro Extrahonorar an die Vertragsärzte gezahlt hätten. Das Sprechstundenangebot müsse jetzt weiter ausgebaut und das Terminmanagement durch vermehrte Onlineangebote verbessert werden.

Doch das sei nur ein Manko, das der vdek ausgemacht habe. Letztlich sei es das Ziel der GKV, auch in Zeiten des demografischen Wandels eine flächendeckende ambulantärztliche Versorgung sicherzustellen – und das in Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl der Ärzte, die in Vollzeit oder auf dem Land tätig sind, in den nächsten Jahren weiter abnehmen werde. Das habe zur Folge, dass mindestens ein Drittel der Versicherten Fahrzeiten von mehr als 30 Minuten zur nächsten Arztpraxis in Kauf nehmen müssten.

Regionale Gesundheitszentren sollen die Versorgung sichern

Um die flächendeckende ambulant­ärztliche Versorgung zukunftssicher zu gestalten und Versorgungsengpässe in ländlichen Regionen zu vermeiden, schlägt der vdek ein Paket aus drei Maßnahmen vor. Erstens sollte das Versorgungsangebot so gebündelt werden, dass Behandlungen durch mehrere Leistungserbringer effizient koordiniert und zusätzlich unnötige Wege für die GKV-Versicherten vermieden werden. Dies könnte in sogenannten „Regionalen ­Gesundheitszentren“ geschehen, in denen eine Mindestzahl von Hausärzten und grundversorgenden Fachärzten gemeinsam mit anderen Gesundheitsfachberufen wie Physiotherapeuten „unter einem Dach“ tätig sind. Dieses Modell würde gleichzeitig durch moderne Arbeitszeitmodelle die Work-Life-Balance verbessern. Außerdem können dort einfachere Operationen, wie Leisten- oder HNO-OPs im Bedarfsfall auch mit Übernachtungsmöglichkeit stattfinden und somit kleinere Krankenhäuser entsprechend in regionale Gesundheitszentren umgewidmet werden. Dies sei insbesondere dann erforderlich, wenn kleinere Krankenhäuser in strukturschwachen Gebieten nicht mehr ausgelastet sind und daher nicht wirtschaftlich arbeiten können, wenngleich sie grundsätzlich aber noch bedarfsnotwendig sind. Immerhin 75 % der GKV-Versicherten würden sich laut der Umfrage für die Etablierung eines regionalen Gesundheitszentrums in ländlichen Regionen aussprechen, so der vdek.

Mehr Telemedizin soll entlasten

Als zweite Maßnahme sollte das Potenzial von Videosprechstunden und anderen telemedizinischen Angeboten besser ausgeschöpft werden. Nur 5 % der GKV-Versicherten haben laut Forsa-Umfrage bislang eine Videosprechstunde genutzt, obwohl 86 % hierzu technisch die Möglichkeit hätten. Natürlich eigne sich nicht jedes gesundheitliche Problem für einen Videokontakt, gibt Elsner zu, allerdings komme eine Videosprechstunde für viele Versicherte schon deshalb nicht infrage, weil ihr Arzt sie nicht anbiete. Und bei älteren Menschen und Menschen mit niedrigem Bildungsstand müsse man eben die digitale Gesundheitskompetenz stärken, damit auch sie telemedizinische Angebote in Anspruch nehmen können. Hierzu würden die Ersatzkassen derzeit bereits entsprechende Angebote entwickeln. Es gelte also, digitale Sprechstunden überall dort, wo es medizinisch und therapeutisch angezeigt ist, stärker in der Versorgung zu etablieren. Dies entlaste Ärzte und Patienten gleichermaßen und ­stärke ein ­hohes Behandlungsniveau und das Arzt-Patienten-Verhältnis, so die vdek-Vorstandsvorsitzende.

Delegation ärztlicher Aufgaben soll eine wesentliche Rolle spielen

Einen dritten Lösungsweg sieht der vdek in der Delegation von Aufgaben. So könnten auch Pflegekräfte oder medizinische Fachangestellte bei entsprechender Qualifikation stärker eingesetzt werden, um chronisch Kranke zu betreuen sowie Hausbesuche und Tätigkeiten wie Wundversorgung zu übernehmen. Über 80 % der GKV-Versicherten könnten sich eine Versorgung durch besonders qualifizierte Pflegekräfte bei leichteren medizinischen Fällen vorstellen, hob Elsner hervor. Die Delegation ärztlicher Leistungen sollte daher in bestehenden Arztpraxen und auch in zukünftigen Gesundheitszentren eine wesentliche Rolle spielen. Zum Thema Delegation gehöre dabei auch das Impfen in Apotheken, das bereits heute für Coronaimpfungen rechtlich möglich ist, aber auch für andere Standardimpfungen bei Erwachsenen denkbar sei. Für etwa drei Viertel der GKV-Versicherten sei dies laut der Umfrage vorstellbar. Man könne damit eine dauerhafte Möglichkeit schaffen, die Impfquoten in Deutschland insgesamt zu steigern. Erste Modellprojekte für Grippeschutzimpfungen in Apotheken würden bereits laufen, so Elsner.

Mit diesem Dreiklang aus dem Aufbau regionaler Gesundheitszentren in ländlichen Regionen, verstärkter Delegation und zielgerichteter Digitalisierung könnte die Versorgungsstruktur in Deutschland modern und zukunftssicher gestaltet werden, meint der vdek. Viele Aspekte seien auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung schon angesprochen. Die Ersatzkassen böten für die konkrete Ausgestaltung dieser Maßnahmen ihre Unterstützung an.

Versicherte zeigen sich aufgeschlossen

Um ihre Vorschläge noch zu unterstreichen, präsentierte der Kassenverband die Ergebnisse einer von ihm in Auftrag gegebenen Umfrage. Diese zeigten, dass auch die Versicherten der GKV diesen Vorschlägen offen gegenüberstehen. Befragt wurden 1.004 gesetzlich Krankenversicherte ab 18 Jahren in Form einer Onlinebefragung. 75 % der GKV-Versicherten sprechen sich demzufolge für die Etablierung eines regionalen Gesundheitszentrums in ländlichen Regionen aus. Bei einer einfachen Operation würden 71 % eine Übernachtung in einem regionalen Gesundheitszentrum bevorzugen. 17 % würden lieber einer entfernten Klinik den Vorzug geben.

Ärztevertreter fühlen sich brüskiert und empört

Bei einigen Ärzteverbänden stießen die Vorschläge des vdek hingegen auf wenig Gegenliebe. Insbesondere die Forderungen von vdek-Präsidentin Ulrike Elsner nach einer Ausweitung der Sprechzeiten in den Arztpraxen löste lautstarke Empörung aus. KBV-Vize Dr. Stefan Hofmeister nannte die Forderung zu diesem Zeitpunkt „obskur“ und „fragwürdig“. Wartezeiten in der ambulanten fachärztlichen Versorgung würden seit jeher genutzt, um gegen die Fachärztinnen und Fachärzte Stimmung zu machen, hieß es beim Spitzenverband Fachärzte Deutschland (SpiFa). Die Erhebung des Krankenkassenverbands offenbare eine negative Haltung gegenüber denjenigen, die im Rahmen der medizinischen Versorgung und einer Pandemie die Versorgung ihrer Versicherten sicherstellen. Die Praxen seien seit Anbeginn der Coronapandemie der Schutzwall für die Kliniken in Deutschland und kümmern sich um ihre Patienten, ob mit oder ohne Corona. Die medizinischen Fachangestellten demonstrieren seit Wochen und weisen auf die enormen Belastungen der Mitarbeiter:innen und die ambulante Versorgung hin. Die Forderungen und Bewertungen des vdek würden dabei wirken, wie aus der Zeit gefallen.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (5) Seite 4