Chronischer Juckreiz wird häufig nur mit Hauterkrankungen assoziiert. Er ist jedoch ein Leitsymptom vieler, auch internistischer Erkrankungen. Eine neue Leitlinie gibt ausführliche Therapieempfehlungen zu bestimmten Pruritusformen. Sie betont die Notwendigkeit, die subjektive Belastung der Patient:innen zu erheben und zu berücksichtigen.

Chronischer Juckreiz geht mit einer hohen Krankheitslast und erheblichem Leiden der Betroffenen einher. Wenn es irgendwo am Körper akut juckt, ist das eine wichtige Warnfunktion: Vielleicht ist es ein Fremdkörper (Insekten oder Parasiten) oder ein schädlicher Kontakt mit einem Pflanzenbestandteil, auf den es zu reagieren gilt?

Juckreiz kann aber auch lang anhaltend sein, nach über sechs Wochen gilt er als chronischer Pruritus. "Manche Menschen werden beim Thema Jucken sofort an die Haut denken, an Neurodermitis oder Schuppenflechte. Pruritus ist aber ein fachübergreifendes Leitsymptom zahlreicher Erkrankungen", so Professor Sonja Ständer vom Universitätsklinikum Münster (UKM), Koordinatorin und Erstautorin der Leitlinie. So kann chronischer Pruritus auch Symptom eines Diabetes mellitus oder eines chronischen Nierenleidens sein, bei einer Eisenmangelanämie oder aber im Zusammenhang mit Infektionen wie HIV oder Herpes zoster auftreten. Pruritus ist somit eine interdisziplinäre diagnostische und therapeutische Herausforderung, und es ist sinnvoll, das Symptom unabhängig von der Grunderkrankung zu betrachten.

Hohe Krankheitslast

Für viele Menschen ist der Juck-Kratz-Zyklus ein Teufelskreis, der Entzündungen aufrechterhält und immer wieder zu Blutungen, Krusten und Narben führt. Als erste Hilfe werden einfache Maßnahmen empfohlen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen:
  • Haut bei Juckreiz prinzipiell zuerst mit kühlenden und juckreizlindernden Lotionen, Cremes oder Salben behandeln, statt zu kratzen.
  • Das Kratzbedürfnis umleiten: Anstatt die Haut zu kratzen, Bettdecke, Kissen oder Sofa "bearbeiten".
  • Körper und Seele entspannen mit autogenem Training, progressiver Muskelentspannung oder Akupunktur.

Surftipp
S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus

Die hohe Krankheitslast der Betroffenen äußert sich in Schlafstörungen, Ängsten, Depressivität, niedrigem Selbstwertgefühl und dem Erleben von Stigmatisierung. Die Folgen können sozialer Rückzug, Depression oder sogar Suizidalität sein. Deshalb wird in der Leitlinie empfohlen, die subjektive Belastung und die psychischen Auswirkungen zu erheben und bei Bedarf auch adäquat zu behandeln.

Den Patientinnen und Patienten wird empfohlen, ein Symptomtagebuch zu führen, gegebenenfalls in Form einer App (z. B. ItchyApp). Die gesammelten Informationen erleichtern es, den Verlauf zu beurteilen und die richtigen Therapieentscheidungen zu treffen.

Therapie

Es gibt keine allgemeingültige, einheitliche Therapie bei chronischem Pruritus. Das liegt an der hohen Diversität der möglichen Ursachen und der Patientenkollektive. Deshalb sollten individuelle Therapiepläne erstellt werden. Es können bis zu zwölf Wochen vergehen, bis eine Therapie ihre Wirkung entfaltet. Ebenso soll die Therapie nicht zu rasch beendet werden, wenn der Pruritus zurückgeht (stufenweise Ausschleichen über mindestens vier Wochen).

S2k-Leitlinien im Überblick

Wer hat die Guidelines erstellt? Expertengruppe unter Federführung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG).

Wann wurden sie erstellt? 2022

Für welche Patienten? Patienten mit chronischem Pruritus

Was ist neu?
  • Immunsuppressiva als 3. Wahl als systemische Therapie nach UV-Phototherapie und Gabapentin oder Pregabalin
  • Capsaicin bei brachioradialem Pruritus und Notalgia paraesthetica
  • keine topischen Steroide, wenn entzündliche Hautveränderungen fehlen
  • Empfehlungen für Schwangere
  • stärkere Empfehlung für topisches Menthol und/oder Polidocanol und für Lidocain
  • schwächere Empfehlung für nicht sedierende Antihistaminika
  • keine topischen Cannabinoidrezeptor- oder Serotoninrezeptoragonisten

In der Leitlinie geben Tabellen einen Überblick über evidenzbasierte, symptomatische Therapieempfehlungen, die aus allgemeinen Verhaltensempfehlungen, Phototherapie, topischen und systemischen Medikamenten bestehen. Generell sollte auf eine gute Basistherapie geachtet werden, weil trockene Haut Pruritus verursachen oder verstärken kann. Eine optimale Basistherapie sorgt für eine effiziente Rückfettung und Hydratisierung der Haut sowie für eine Stabilisierung der Hautbarriere. Diese Basistherapie kann auch für beschwerdefreie Intervalle empfohlen werden.

Auf der Basis von Fallberichten und Studien erarbeitete die Expertengruppe einige neue Empfehlungen. Für die systemische Therapie werden nun nach UV-Phototherapie und Gabapentin oder Pregabalin als 3. Wahl Immunsuppressiva wie Ciclosporin, Methotrexat oder Azathioprin empfohlen; Dupilumab kann zur Therapie bei chronisch nodulärer Prurigo (derzeit noch off-label) ebenfalls erwogen werden. 8%ige Capsaicin-Pflaster können bei brachioradialem Pruritus und Notalgia paraesthetica zum Einsatz kommen.

Topische Steroide werden bei Pruritus ohne entzündliche Veränderungen der Haut nicht empfohlen; nur wenn andere Therapieoptionen fehlen, kann man sie probatorisch anwenden.

Polidocanol und/oder Menthol sowie Lidocain haben einen höheren Empfehlungsgrad erhalten, während die Empfehlung, nicht sedierende Antihistaminika zu erwägen, in der aktualisierten Leitlinie abgeschwächt wurde. Nicht mehr empfohlen werden topische Cannabinoidrezeptoragonisten und Serotoninrezeptorantagonisten.

Essentials - Wichtig für die Sprechstunde
  • Juckreiz, der länger als sechs Wochen anhält, gilt als chronisch.
  • Kratzen führt zu Blutungen, Krusten und Entzündungen, was wiederum Juckreiz erzeugt.
  • Generell ist eine gute Basistherapie wichtig, weil eine trockene Haut Pruritus verstärken kann.

Quellen: Pressemitteilung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) vom 2. Mai 2022 und Ständer S et al.: S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. 2022. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/013-048.html. Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 14-16 2022



Autorin
Adela Žatecky



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (3) Seite 22-23