Den aktuellen Kenntnisstand zu Ursachen, Diagnose und Therapie der chronischen Urtikaria („Nesselsucht“) präsentierten Prof. Dr. Torsten Zuberbier und Prof. Dr. Marcus Maurer, beide Charité Berlin, in 2 Seminaren im Rahmen der virtuellen DDG-Jahrestagung 2021.

„Urtikaria ist ein spannendes Feld, eine systemische Erkrankung, bei der wir sehr unterschiedliche Präsentationen sehen“, betonte ­Zuberbier: „Einige Patienten haben Quaddeln, die manchmal wie Insektenstiche aussehen, andere haben Angioödeme, die ebenfalls zum Krankheitsbild gehören, wenn sie histaminbedingt sind, und wieder andere haben mehr als einen Subtyp der Urtikaria.“ (Abb. 1/2)

So komme es durchaus vor, dass ein Patient an einer chronischen spontanen Urtikaria (CSU) ohne bekannten Auslöser leidet (Abb. 3) und zugleich an einer chronischen induzierbaren Urtikaria (CindU), etwa einer Urticaria factitia (Abb. 4). Zur Erinnerung: Als chronisch gilt die Urtikaria bei wiederholtem Auftreten der Symptome über mehr als sechs Wochen.

Sowohl bei CSU als auch bei CindU ist der nesselartige Hautausschlag, der große Körperareale bedecken kann, mit starkem Juckreiz assoziiert. Quaddeln und/oder Angioödeme können jederzeit und ohne Vorwarnzeichen auftreten; dies belastet die Patienten oftmals stark.

Ursachen: Autoimmunität vs. Autoallergie

Maurer ging detaillierter auf die möglichen Krankheitsursachen der CSU ein, soweit diese bekannt sind. Er stellte die autoimmune CSU (Typ IIb aiCSU) der autoallergischen CSU (Typ I aiCSU) gegenüber. Beide Formen unterscheiden sich in der Krankheitsaktivität, in Laborbefunden und im Ansprechen auf die leitlinien­gerechten Therapien (Tabelle) [1].

Tests zur Unterscheidung autoimmuner vs. autoallergische CSU

Welcher Anteil der Patienten an der einen oder anderen Form der CSU leidet, ist noch nicht endgültig geklärt. Zuberbier konstatierte, Allergien seien seltener der Auslöser der Urtikaria, jedoch häufig als Komorbiditäten zu beobachten.

Maurer verwies auf mögliche Tests, um autoimmune vs. autoallergische CSU zu unterscheiden: Auf den Basophilentest und den autologen Serumtest (ASST) reagieren jeweils > 40 % der Patienten, was für eine autoimmun verursachte Erkrankung spricht. Beim ELISA für IgG-anti-FcεRI bzw. für IgG-anti-IgE, der ebenfalls auf die autoimmune Form verweist, sind es > 50 % [3]. Auch der Anti-TPO-Test (Schilddrüsenperoxidase) ist bei der autoimmunen Form häufig positiv. Für eine autoallergische Krankheits­ursache dagegen spricht u. a. ein positiver Test auf IgE-anti-TPO oder auf IgE-anti-Interleukin-24.

Nicht immer stehen diese hochspezifischen und teils kostenintensiven Tests zur Verfügung. „Spricht ein Patient nicht gut auf die Standardtherapien gegen Urtikaria an, hat er vielleicht eine autoimmune Urtikaria und es lohnt sich eine Überweisung in ein spezialisiertes Urtikariazentrum, UCARE“, regte Maurer an.

Therapie bei CSU und CindU jeglicher Genese: Dauerbehandlung erforderlich

Zuberbier beschrieb eine Besonderheit im Pathomechanismus jeder chronischen Urtikaria: „Der Histaminrezeptor wird durch Histamin hochreguliert. Es ist der einzige Rezeptor, der durch seinen Liganden hochreguliert wird.“

Deshalb sei es keineswegs ausreichend, Patienten mit chronischer Urtikaria nur bei Auftreten von Symptomen zu behandeln, sondern es sei eine Dauertherapie erforderlich, um die Schübe zu verhindern: „Wir müssen die Patienten so gut behandeln, dass der Histamin­rezeptor gar nicht mehr gereizt und hochreguliert wird“, so Zuberbier.

Dies gilt nicht nur für Patienten mit Quaddeln, sondern auch für diejenigen, die ausschließlich Angio­ödeme bekommen: „Sie benötigen eine ebenso konsequente Behandlung“, betonte Maurer.

Keine „alten“ Antihistaminika verordnen

Der Therapiealgorithmus der aktuellen internationalen Leitlinie, an der beide Experten maßgeblich beteiligt waren und deren Neuauflage in Kürze erwartet wird, gilt für CSU und CindU jeglicher Ursache.

Hier werden in der 1. Therapie­stufe H1-Antihistaminika der neueren Generation (nicht sedierende Anti­histaminika) in der jeweils zugelassenen Dosis empfohlen. Ältere Antihistaminika sind laut Zuberbier unbedingt zu vermeiden: Sie machen nicht nur müde, sondern verändern auch die REM-Schlafphase und können letztlich kognitive Einschränkungen verursachen.

Nicht zu lange warten; Histaminika nicht miteinander kombinieren

Ist die Erkrankung innerhalb von 2 bis 4 Wochen nicht ausreichend unter Kontrolle, sollte die Dosis in der 2. Stufe bis auf das Vierfache erhöht werden. Nicht empfohlen wird dagegen eine Kombination mehrerer Antihistaminika.

Ist nach weiteren 2 – 4 Wochen noch keine Krankheitskontrolle erreicht oder wird die hoch dosierte Antihistamika-Therapie nicht gut vertragen, so sollte in der 3. Stufe Omalizumab hinzugegeben werden. Und genügt auch dies nicht, so wird in der 4. Stufe nach spätestens 6 Monaten Cyclosporin als Add-on-Therapie empfohlen. 2. Ziel der Behandlung ist es, die Symptome vollständig unter Kontrolle zu haben.

Regelmäßiges Monitoring von Krankheitsaktivität, Lebensqualität und Therapieerfolg!

Die Ausprägung der Erkrankung und der Therapieerfolg können gemessen werden: Die Krankheits­aktivität kann mittels Urtikaria- bzw. Angioödem-Aktivitätstest (UAS/AAS) ermittelt werden. Mit speziellen Fragebögen kann man die Lebensqualität erfassen (CU-Q2oL/AE-QoL). Und mit dem Urtikaria-Kontrolltest und neuerdings dem Angioödem-Kontrolltest (UCT, AECT) kann die Messung der Krankheitskontrolle erfolgen.

Es handelt sich jeweils um einfache retrospektive Fragebögen, die der Patient selbstständig ausfüllt und für die es klar definierte Grenzwerte gibt. Maurer mahnte: „Messen Sie die Urtikaria Ihrer Patienten. Messen Sie die Quaddeln mit dem UAS7 und messen Sie die Angioödeme mit dem AAS. Und jetzt neu: Messen Sie die Krankheitskontrolle mit dem UCT und dem AECT. Es wird Sie zu besseren Urtikaria-Behandlern machen, denn die Therapieentscheidungen erfolgen dann nicht mehr im Blindflug, sondern sie basieren auf Daten und wir können die Behandlung entsprechend anpassen.“

Die 7Cs für Diagnostik und Therapie bei chronischer Urtikaria

Für einen umfassenden Blick „über den Tellerrand“ bei der Diagnose und Therapie von Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria (CSU) empfahl Maurer die sogenannten 7Cs (in englischer Sprache) zu beachten:

  • confirm (Bestätigung der CSU, Ausschluss von Differenzialdiagnosen),
  • cause (Suche nach Autoimmunität vs. Autoallergie),
  • cofactors (Suche nach Triggerfaktoren wie Speisen, Medikamenten, Infektionen),
  • comorbidities (Berücksichtigung von Komorbiditäten der CSU wie CindU, Autoimmunerkrankungen, Angst, Depression),
  • consequences (Probleme bei Schlaf, Arbeit, Sozialleben, Sexualität vorhanden?),
  • components (Suche nach Biomarkern für Erkrankungsverlauf und Therapieresponse),
  • course (Monitoring von Krankheitsverlauf und Therapieerfolg) [4].


Literatur
1. Kolkhir P et al., JACI 2017;139:1772–81 e1
2. Zuberbier T, Maurer M et al., Allergy 2018; 73:1393–414
3. Konstantinou GN et al., Allergy 2013; 68:27–36
4. Metz M, Maurer M et al., J Allergy Clin Immunol Pract 2021

Veranstaltung: 51. Jahrestagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, DDG (virtuell), 16. April 2021: Seminar 13, Facharztwissen für Assistenten, Vortrag „Allergie und Urtikaria“ (Prof. Dr. T. Zuberbier); Seminar 17, Track Allergologie, Vortrag „Soforttypallergie, Urtikaria und spezifische Immuntherapie“ (Prof. Dr. M. Maurer).



Autorin:
Simone Reisdorf

Erschienen in: DERMAforum, 2021; 25 (9) Seite 12