In der Attraktivitätsforschung gilt seit Jahren das primäre Interesse der Schönheit von Frauen. Vergleichsweise wenige Studien gibt es zur Attraktivität bei Männern, die dann auch noch widersprüchliche Ergebnisse liefern. Dennoch lassen sich einige klare Attraktivitätskriterien beschreiben.

Eine bekannte Redewendung sagt ja: „Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“ Ein Satz, den man sich eher als aufmunternden Trost für Personen merken sollte, die durch die Ungerechtigkeit der Natur nicht ganz so günstig ausgestattet wurden wie andere. Für Praktiker der ästhetischen Medizin ist so ein Sprichwort natürlich wenig hilfreich. Empirisch haltbar ist es ebenfalls nicht, denn die Attraktivitätsforschung zeigt seit über 30 Jahren, dass es in der Attraktivitätsbeurteilung von Gesichtern sehr wohl einen relativ großen Konsens gibt.

Attraktivitätsforscher sprechen hier von Urteilerübereinstimmung. Die Ähnlichkeit bzw. Übereinstimmung von Urteilen lässt sich dabei mit unterschiedlichen statistischen Verfahren sehr präzise messen. Grob gesagt: Bei Gesichtern setzt sich ein Attraktivitätsurteil etwa zur Hälfte aus Kriterien zusammen, bei denen sich alle Menschen einig sind (shared taste) und zur anderen Hälfte aus den individuellen Vorlieben jedes Einzelnen (private taste) [1]. Gleichzeitig wurden einige übergeordnete Attraktivitätsprinzipien bzw. konkrete Gesichtsmerkmale [2, 3] identifiziert, auf die das Schönheitsurteil zurückzuführen ist.

Ein Haken dabei: Die meisten dieser Studien untersuchten Schönheit von Gesichtern oder auch Figuren bei Frauen. Studien zu männlicher Schönheit sind in der deutlichen Unterzahl. Gleichzeitig sind die Ergebnisse dieser Forschung auch nicht so eindeutig, manchmal auch widersprüchlich. Ein männliches Schönheitsideal scheint in unserer Gesellschaft nicht in derselben Klarheit zu existieren wie ein weibliches. Liegt also vielleicht doch zumindest die männliche Schönheit im Auge des Betrachters? Beginnen wir daher mit einem einfachen, eindeutigen Beispiel:

Die beiden ersten Gesichter aus Abb. 1 sind etwas Besonderes, denn es sind keine Fotos von echten Personen. Es handelt sich dabei um Grafiken, die mithilfe sogenannter Morphing-Software von einem Computer berechnet wurden. Das linke Gesicht wurde dabei aus den vier unattraktivsten Gesichtern einer Stichprobe von 32 Männergesichtern berechnet – das mittlere hingegen aus den vier attraktivsten. Man kann daher sagen, dass die beiden Durchschnittsbilder jeweils diejenigen Merkmale in sich vereinen, die für ­unattraktive bzw. attraktive Männergesichter typisch sind. Es sind sozusagen Prototypen für ein unattraktives bzw. attraktives Männergesicht. Der attraktive Prototyp erzielt auf einer Skala von 1 = „sehr unattraktiv“ bis 7 = „sehr attraktiv“ einen signifikant höheren mittleren Attraktivitätswert von 5,55 (SD = 1,01), der unattraktive einen Wert von 3,94 (SD = 1,05, p < 0,001).

Das Elegante an solchen computergenerierten Prototypen ist, dass sie die charakteristischen Merkmale schöner bzw. wenig schöner Gesichter direkt visualisieren. Man muss nun lediglich die beiden Prototypen direkt miteinander vergleichen und erhält eine Liste von Merkmalen, in denen sich die beiden Prototypen voneinander unterscheiden:

Merkmale attraktiver Männergesichter

Der attraktivere Mann hat beispielsweise eine braunere Haut, ein schmaleres Gesicht, weniger Fettansatz, vollere, gepflegtere Lippen, ein helleres Augenweiß, dunklere, klarer konturierte Augenbrauen und höhere Wangenknochen. Diese Unterschiede finden wir nebenbei bemerkt auch bei weiblichen Prototypen für ein unattraktives und attraktives Gesicht – doch um Schönheit bei Frauen soll es hier mal ausnahmsweise nicht gehen. Zwei wichtige Unterschiede gibt es jedoch zusätzlich, die bei Frauengesichtern keine Rolle spielen: Attraktive Männer haben einen markanteren, deutlicher konturierten Unterkiefer und ein markanteres Kinn sowie keine Geheimratsecken.

Einige Studien zeigen, dass bei Männern insbesondere ein kräftiger, markanter Unterkiefer mit ­einem markanten Kinn besonders attraktivitätssteigernd ist [4]. Dieses Merkmal stimmt auch gut mit der Theorie des sexuellen Dimorphismus überein. Sie besagt, dass geschlechtstypisches Aussehen ein wichtiges Attraktivitätskriterium ist, d. h., Frauengesichter seien besonders attraktiv, wenn sie typisch feminin aussehen, und Männergesichter, wenn sie typisch maskulin aussehen. Ein markanter Unterkiefer ist ein solches typisch männliches Merkmal, denn es wird durch den Einfluss von Testosteron in der Pubertät hervorgerufen, das einen verstärkenden Einfluss auf das Knochenwachstum und damit auf die Schädelform hat. Bei Frauen hingegen ist in der Pubertät die Auswirkung von Testosteron schwächer. Dadurch besitzen ihre Schädel weniger dieser sogenannten Reifekennzeichen und stattdessen – im Durchschnitt – tendenziell mehr Merkmale des Kindchenschemas [5, 6].

Machen typisch maskuline Gesichtsmerkmale Männer wirklich attraktiver?

Um diese Theorie zu prüfen, kann man nun Männergesichter am Computer mithilfe von Morphing-Software so verändern, dass sie mehr dieser Kindchenschema-­Merkmale aufweisen. Das rechte Bild von Abb. 1 zeigt dies beispielhaft. Hier wurden die Gesichtsproportionen in Richtung des Kindchenschemas verzerrt. Das Kindchenschema wurde empirisch aus Fotos von 12 Kindergesichtern im Kindergartenalter berechnet und ging mit einer Gewichtung von 40 % in die Berechnung ein (zu Details siehe [2]). Erwartungsgemäß schneidet diese verkindlichte, feminisierte Variante im direkten Paarvergleich mit der unveränderten, erwachsenen Variante des männlichen Prototyps schlechter ab. Die Mehrzahl der befragten 104 Versuchspersonen (72 %, p < 0,001) bevorzugt die maskuliner wirkende Original-Variante.

Doch so einfach ist es nicht. Derselbe Test wurde mit insgesamt 10 Männergesichtern durchgeführt, je zur Hälfte mit einer höheren bzw. einer niedrigeren Ausgangsattraktivität. Das Resultat: sehr durchwachsen. Nur bei 2 von 10 Gesichtern bewirkte die Feminisierung am Computer eine Verschlechterung, wie die Theorie voraussagt. 5 Männergesichter wurden dadurch jedoch besser beurteilt (bei 3 gab es keinen Unterschied). Abb. 2 zeigt ein Beispiel für eine Attraktivitätssteigerung durch Verkindlichung/ Feminisierung.

Das Experiment bestätigt damit die unklare Befundlage des Stands der Forschung zum Effekt typisch maskuliner Gesichtsmerkmale bei Männern. Manche Studien haben Gesichter vermessen (mit tendenziell positiven Effekten), andere haben mit Morphing-Software durch die sogenannte Karikatur-Methode [7] typisch maskuline Gesichtsmerkmale verstärkt und fanden meist einen negativen Effekt (für einen Überblick siehe die Metaanalyse von Rhodes [3]).

Des Rätsels Lösung ist wohl, dass manche typisch maskulinen Merkmale einen attraktivitätssteigernden Effekt auf Männergesichter haben, andere hingegen einen negativen: Positiv sind ein markanter Unterkiefer und ein markantes Kinn. Negativ sind jedoch eine große Nase und eine ausgeprägte Orbitalwulst (die man am leichtesten in der Profilansicht erkennt). Ebenfalls negativ sind schmale Lippen und Geheimratsecken – beides ist typisch männlich, macht Männer aber trotzdem unattraktiv. ­Diese beiden Merkmale konkurrieren nämlich mit einem anderen übergeordneten Attraktivitätsprinzip: dem jugendlichen Aussehen. Denn mit zunehmendem Alter verliert das periorale Fettgewebe an Volumen und die Fläche des sichtbaren Lippenrots wird kleiner [8]. Der Zusammenhang von Alter und Glatzenbildung braucht nicht näher erläutert zu werden.

Maskuline Merkmale: wie das Salz in der Suppe

Eine weitere Schlussfolgerung aus der ambivalenten Wirkung typisch maskuliner Merkmale: Bei Männergesichtern sind solche typisch männlichen Merkmale eher so etwas wie das Salz in der Suppe. Ein bisschen davon ist notwendig (sonst sieht ein Männergesicht nicht nach Mann aus). Aber wird es zu viel, kippt das Ganze ins Negative. Damit bestätigen Männergesichter – noch deutlicher als dies für Frauengesichter gilt – eine Grunderkenntnis bei der Attraktivität von Gesichtern: Es geht nicht um Extremwerte oder Superlative, sondern letztlich um das rechte Maß und das harmonische Zusammenwirken von Einzelmerkmalen, bei denen bereits feine Nuancen entscheidend sind. So gesehen ist Schönheit von Männergesichtern ein besonders faszinierendes und anspruchsvolles Forschungsgebiet, auf dem immer noch vieles nicht verstanden ist.


Literatur:
1. Hönekopp J: Once More: Is Beauty in the Eye of the Beholder? Relative Contributions of Private and Shared Taste to Judgments of Facial Attractiveness. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 2006; 32: 199–209.
2. Gründl M: Determinanten physischer Attraktivität – der Einfluss von Durchschnittlichkeit, Symmetrie und sexuellem Dimorphismus auf die Attraktivität von Gesichtern, 2013. DOI: 10.5283/epub.27663
3. Rhodes G: The evolutionary psychology of facial beauty. Annual review of psychology 2006: 199–226.
4. Grammer K, Thornhill R: Human (Homo sapiens) facial attractiveness and sexual selection: the role of symmetry and averageness. Journal of Comparative Psychology 1994; 108: 233–42.
5. Enlow DH: Handbuch des Gesichtswachstums. Berlin, Quintessenz, 1989.
6. Lorenz K: Die angeborenen Formen möglichen Verhaltens. Zeitschrift für Tierpsychologie 1943; 5: 235–409.
7. Perrett DI, Lee KJ, Penton-Voak I, Rowland D, Yoshikawa S, Burt DM, Henzi SP, Castles DL, Akamatsu S: Effects of sexual dimorphism on facial attractiveness. Nature 1998; 394: 884–7.
8. Donofrio LM: Fat distribution: a morphologic study of the aging face. Dermatologic Surgery 2000; 26: 1107–12.


Autor:

© Hochschule Harz
Prof. Dr. Martin Gründl

Hochschule Harz
38855 Wernigerode

Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (6) Seite 16