Kann ich als Inhaber bzw. Betreiber einer dermatologischen Praxis meinen Mitarbeiterinnen ­muslimischen Glaubens das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz verbieten? Gründe könnten z.  B. der Wunsch sein, den Auftritt der Praxis nach außen neutral zu halten, und etwaigen Konflikten im Team vorzubeugen.

Nach Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes sind nicht nur „die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich“, auch ist die ungestörte Religionsausübung zu gewährleisten. Die Grundrechte als ­sogenannte Abwehrrechte gegen den Staat verpflichten grundsätzlich nur den Staat selbst. Sie können sich allerdings mittelbar auf die Beziehungen Privater bei der Anwendung des Zivilrechts auswirken. Man spricht in diesem Zusammenhang von ihrer mittelbaren Drittwirkung.

Das sagt das EU-Recht

Trotz des soeben Erläuterten entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz zur Umsetzung einer Neutralitätspolitik grundsätzlich zulässig sein kann. Eine interne Regelung des Unternehmens, die ein Verbot beinhaltet, jede sicht­bare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, ist also mit dem EU-Recht vereinbar.

Umfangreiche Voraussetzungen

Voraussetzung dafür ist einerseits, dass ein „wirkliches Bedürfnis“ der Arbeitgeber:in besteht, eine ­Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber Kunden und Nutzern zu verfolgen. Die Praxis hat somit nachzuweisen, dass entweder soziale Konflikte durch das Verbot verhindert werden oder die Wünsche der eigenen Patienten ein solches begründen.

Gleichbehandlungsgrundsatz

Gleichzeitig muss die Regelung für alle Teammitglieder unterschiedslos gelten. In der Konsequenz ist jedes noch so kleine Zeichen zu verbieten, um das Ziel der Neutralität nicht zu beeinträchtigen und Ungleichbehandlung zu vermeiden.

Im Ergebnis bedeutet dieses Urteil für ein etwaiges Kopftuchverbot in der Praxis also auch, dass Sie alle religiösen oder weltanschaulichen Symbole aus Ihrer Praxis zu entfernen hätten. Dazu zählt auch ein – nicht medizinisch, sondern religiös konnotiertes – Kreuz in den Praxisräumen.

Restrisiko und Nebeneffekt

Zusätzlich hätten Sie als Praxisinhaber im Konfliktfall nachzuweisen, dass das Verbot der Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile dient. Sofern es bereits zu Streitigkeiten mit Patient:innen gekommen ist oder diese Ihre ­Praxis infolge des Zeigens religiöser Merkmale meiden, sollte der Nachweis gelingen können. Eine bloße Sorge vor Nachteilen reicht jedoch nicht aus. Schließlich ist zu beachten, dass der EuGH den staatlichen Gerichten, die mit einer solchen Sache befasst wären, einen Wertungsspielraum einräumt. Wie dieser Spielraum durch die für den eigenen Fall zuständigen Gerichte genutzt würde, kann natürlich nicht vorhergesagt werden, sodass ein gewisses Restrisiko verbleibt.

Nicht unterschätzt werden sollte auch das positive Identifikationspotenzial, das Mitarbeiterinnen mit Kopftuch für Patienten mit einem vergleichbaren Background haben kann. Und auch beim Auftritt der Praxis nach außen als bunt gemischtes Team kann sich der „Faktor Kopftuch“ eher als Vorteil als als Zankapfel entpuppen, insbesondere bei der Personalgewinnung.



Autor:
Björn Stäwen 

Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (5) Seite 10