Kasuistik: Ein 34-jähriger Ingenieur muss in zwei Wochen beruflich für drei Monate nach Nigeria fliegen. Er benötigt Impfungen gegen Gelbfieber, Meningokokkenmeningitis, Hepatitis A und eine Auffrischimpfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Poliomyelitis. Durch einen Lieferengpass kann der Hepatitis-A-Impfstoff erst in einer Woche geliefert werden.
Sind zwischen den einzelnen Impfungen Mindestabstände erforderlich?
Grundsätzlich können alle erforderlichen Lebend- und Totimpfungen gleichzeitig verabreicht werden. Dieses Vorgehen ist zu bevorzugen, da sich die Impfungen gegenseitig sogar etwas verstärken. Wie bei Kombinationsimpfstoffen kann die lokale Impfreaktion etwas ausgeprägter ausfallen. Bei zwei Impfungen werden die Impfstoffe an den kontralateralen Musculi deltoidei verabreicht. Bei mehr als zwei Impfungen können aber durchaus auch zwei Impfungen in einen Muskel injiziert werden.
Ein Mindestabstand zwischen verschiedenen Totimpfstoffen ist nicht erforderlich. Auch nach einer Lebendimpfung ist kein Mindestabstand zu einer anderen Impfung mit Totimpfstoff erforderlich. Laut STIKO sollten allerdings Impfreaktionen der vorherigen Impfungen abgeklungen sein.
Der Ingenieur sollte also sofort gegen Gelbfieber (Lebendimpfung) geimpft werden – die Impfung wird ja erst nach zehn Tagen "gültig". Die übrigen Totimpfungen werden gleichzeitig gegeben. Die Impfung gegen Hepatitis A kann ohne Einhaltung eines Mindestabstandes erfolgen, sobald der Impfstoff verfügbar ist. Es gibt für die Routine nur wenige relevante Lebendimpfstoffe: Gelbfieber, Varizellen, Herpes zoster, Masern, Mumps und Röteln. Wenn eine entsprechende Indikation besteht, sollten diese nach Möglichkeit gleichzeitig appliziert werden. Sofern dies nicht möglich ist, muss ein Mindestabstand von vier Wochen zwischen den verschiedenen Lebendimpfungen eingehalten werden. Eine Ausnahme stellt der orale Typhusimpfstoff dar: Obwohl es sich um einen Lebendimpfstoff handelt, ist kein Mindestabstand zu anderen Lebendimpfungen erforderlich.
Die Angaben der Hersteller zu Mindestabständen sind häufig strenger. Dies resultiert meist daraus, dass keine entsprechenden Studien vorliegen. Die oben angegebenen Regeln entsprechen den pragmatischeren Empfehlungen der STIKO.
Abstände zu Operationen
Zwischen einer Impfung und zwingend erforderlichen Operationen ist kein Mindestabstand erforderlich und dringend erforderliche Impfungen (z. B. eine postexponentielle Tollwutimpfung) können direkt nach einer Operation durchgeführt werden. Bei Wahleingriffen empfiehlt die STIKO für Totimpfstoffe einen Abstand von mindestens drei, für Lebendimpfstoffe von mindestens zehn Tagen. Grund ist, dass Impfreaktionen (z. B. Fieber) nicht mit Operationskomplikationen (z. B. postoperative Infekte) verwechselt werden sollen.
Abstände zu Chemo- und Strahlentherapie
Nach Möglichkeit sollten vor einer Chemo- oder Strahlentherapie alle fehlenden Impfungen nachgeholt bzw. aufgefrischt werden.
In den ersten Wochen nach einer Chemo- oder Strahlentherapie besteht eine Immunsuppression – der Impferfolg bei Totimpfstoffen kann dadurch eingeschränkt sein. In Zweifelsfällen sollte hier eine Titerkontrolle erfolgen.
Bei der Anwendung von Lebendimpfstoffen bei immunsupprimierten Patienten kann es zu einer überschießenden Vermehrung der Impfviren kommen, was zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild führen kann. Ein Beispiel hierfür ist das "Impfgelbfieber" nach einer Gelbfieberimpfung. Lebendimpfungen einschließlich der oralen Typhuslebendimpfung sind deshalb während und bis zu ein Jahr nach einer Chemotherapie kontraindiziert.
Teil 1: Mindestabstände von Impfungen
Teil 2: „Echte“ und „falsche“ Kontraindikationen
Teil 3: Vorgehen bei ungeimpften Erwachsenen
Teil 4: Zoster-Impfung: wann und für wen?
Teil 5: Impfungen in der Schwangerschaft
http://Teil6: STIKO-Empfehlungen 2015
Teil 7: Influenza: Für jeden der passende ImpfstoffDr. Andreas H. Leischker, M.A., Krefeld
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (5) Seite 36