Während Phytopharmaka aus der Taigawurzel (Eleutherococcus senticosus) in Russland, in den asiatischen Ländern, in den USA und Australien sehr beliebt sind, wird diese Heilpflanze bei uns kaum genutzt. Aber gerade für ältere Menschen ist die Taigawurzel – auch Eleuwurzel genannt – eine empfehlenswerte Heilpflanze.

Hier wird die Taigawurzel erstmals im 3. Jahrhundert vor Chr. im "Shennung’s Herbal" zur Steigerung der Vitalität und zur Prophylaxe von Atemwegsinfektionen erwähnt. 1962 wurde in der damaligen Sowjetunion nach umfangreichen klinischen Studien ein Extrakt aus den Wurzeln von Eleutherococcus senticosus als "allgemeines Mittel zur gesundheitlichen Wiederherstellung, als Tonikum und als Adaptogen" zugelassen. Eleutherococcus senticosus ist ein 2 bis 3 m hoher, schlanker Strauch, dessen Zweige mit nadelförmigen, verholzten Stachelborsten besetzt sind. Die Blätter sind fünfzählig gefingert und die Blüten klein, gelblich (weiblich) bzw. blauviolett (männlich). Die Droge – die Wurzel – stammt aus Wildvorkommen, hauptsächlich aus den riesigen Waldgebieten im Osten Russlands, der Taiga. Daher auch der Name "Taigawurzel".

Taigawurzel mit Positiv-Monografie

Die Wurzel-Inhaltsstoffe wurden früher mit dem Sammelnamen "Eleutheroside" bezeichnet. Doch das ist nicht korrekt. Denn bei den Eleutherosiden handelt es sich nicht um eine einheitliche und für die Wurzel (Radix Eleutherococci) charakteristische Gruppe von Inhaltsstoffen. Vielmehr umfassen die Eleutheroside Verbindungen, die chemisch ganz unterschiedlichen Stoffklassen angehören. Wichtig sind hier die:
  • Lignane
  • Phenylpropanderivate
  • Cumarine
  • Triterpensaponine
  • Polysaccharide

Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Eleuwurzel ergeben sich aus dem pharmakologischen Zusammenwirken der einzelnen Wirkstoffgruppen (Tabelle 1).

Die Positiv-Monografie nennt als Anwendungsgebiete für diese Heilpflanze:

Als Tonikum zur Stärkung und Kräftigung bei Müdigkeits- und Schwächegefühl, nachlassender Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie in der Rekonvaleszenz.

Im Fachbuch "Leitfaden Phytotherapie" [1] bescheinigen die Autoren der Taigawurzel nach Auswertung umfangreichen wissenschaftlichen Materials folgende Wirkungen:
  • Immunmodulierend
  • Adaptogen
  • Aktivierung bzw. Verbesserung kognitiver Leistungen
  • Leistungssteigernd – gegen Stressbelastung
  • Prophylaxe gegen virale Infektionen

In der Therapie werden alkoholische Extrakte aus der Taigawurzel als Phytopharmaka verwendet. Als Gegenanzeige wird Hypertonie genannt, obwohl dokumentierte Fälle bis jetzt nicht vorliegen. Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sind nicht bekannt. Phytopharmaka aus der Taigawurzel können zurzeit nicht für Säuglinge und Kleinkinder empfohlen werden, da es keine klinischen Dosisfindungsstudien gibt. Aufgrund fehlender Langzeitstudien sollte ein Extrakt nicht länger als drei Monate angewendet werden. Eine erneute Anwendung kann nach einem Monat Pause erfolgen. Eine internationale wissenschaftliche Bestätigung der Anwendungsgebiete der deutschen Positiv-Monografie hat Eleutherococcus senticosus durch ESCOP-, WHO- und HMPC-Monografien erhalten.

Alternative zu Ginseng?
Taigawurzel und echter Ginseng zeigen in puncto adaptogene Eigenschaften keine Unterschiede. Aber nur die Taigawurzel zeichnet sich aufgrund ihrer Polysaccharide durch immunstimulierende Eigenschaften (nachgewiesene Steigerung der Zahl und Aktivität der Lymphozyten) aus. Deshalb sollte nur die Taigawurzel zur Prophylaxe und unterstützenden Therapie von Erkältungskrankheiten eingesetzt werden. Dies ist auch durch eine Vielzahl von Studien belegt.

Schutz vor Infektionen

Hier sind Extrakte aus der Eleuwurzel eine wertvolle Hilfe, da sie zu einer deutlichen Stärkung des Immunsystems führen und die Abwehrbereitschaft des Körpers gegen Infekte erhöhen. Viele der mehreren hundert wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema "Eleutherococcus senticosus" beschäftigen sich mit den immunstimulierenden bzw. immunmodulierenden Eigenschaften der Pflanze, für welche die Polysaccharide verantwortlich gemacht werden. Eine Reihe von klinischen Studien belegt dies. In einer doppelblinden plazebokontrollierten Studie mit 36 gesunden Probanden [2] wurde der Effekt eines Fluidextrakts aus der Eleuwurzel auf das Immunsystem untersucht. Schon nach vier Wochen waren u. a. die Anzahl immunkompetenter Zellen wie der Lymphozyten vom Helfer- bzw. Induktor-Typ sowie die Zahl von zytotoxischen und natürlichen Killerzellen signifikant erhöht. Die Phagozytosetätigkeit der Makrophagen und Granulozyten war deutlich verstärkt. In der damaligen Sowjetunion nahmen in einer großen medizinischen Anwendungsbeobachtung (AWB) mehr als 15.000 Arbeiter des Wolga-Automobilwerkes in Togliatti zehn Jahre lang kurmäßig über zwei Monate im Frühjahr oder Herbst täglich 2 ml eines Fluidextrakts ein. Im Ergebnis kam es zu einem Rückgang grippaler Infekte um 30 bis 40 % und einer Abnahme krankheitsbedingter Fehlzeiten um 20 bis 30 %.

Adaptogene im Alter und bei Burnout

Viele ältere Menschen fragen nach einem wirksamen Tonikum, um geistig und körperlich so lange wie möglich fit zu bleiben oder um nach Krankheiten die Rekonvaleszenz-Phase zu unterstützen. Hier ist die Taigawurzel mit ihren adaptogenen Eigenschaften hilfreich, was auch Studien belegen. Adaptogene sind Stoffe, die Effekte auf den gesunden und kranken Organismus ausüben, indem sie Dysfunktionen beseitigen und die Anpassungsfähigkeit an die verschiedensten äußeren und inneren Bedingungen verbessern. Dabei führt das Adaptogen bei einer Stressreaktion zu einer Verkürzung der Alarmphase, einer Verlängerung der Widerstandsphase und zu einem Ausbleiben bzw. einer Verzögerung der Erschöpfungsphase.

In plazebokontrollierten Studien wurde der Effekt von Extrakten aus der Taigawurzel auf die Widerstandskraft von Probanden gegen Hitze (Sauna), gegen optische und akustische Reize sowie auf mentale Reaktionen geprüft. Es kam mehrheitlich zu signifikanten Verbesserungen gegenüber Plazebo. Die Beeinflussung der Stressreaktion im Körper durch Extrakte aus der Eleuwurzel erklärt auch den therapeutischen Effekt dieser Heilpflanze bei stresstypischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, wie z. B. Konzentrationsstörungen und Erschöpfungserscheinungen – Beschwerden, über die Senioren häufig klagen. Aufgrund ihrer adaptogenen Eigenschaften gilt diese Heilpflanze auch als Therapie-Empfehlung bei Burnout, einer Erkrankung, die viele Menschen in der Mitte ihres Berufslebens trifft.

Taigawurzel als Fluidextrakt

In Deutschland sind nur wenige pflanzliche Arzneimittel aus der Taigawurzel im Handel. Sie enthalten einen Trocken- oder Fluidextrakt wie z. B. das Phytopharmakon Eleu Curarina® Tropfen. Die Dosierung für Heranwachsende über 12 Jahre und Erwachsene beträgt zweimal täglich 30 Tropfen Eleu Curarina® unverdünnt oder in etwas Wasser. Die maximale Einnahmedauer von drei Monaten sollte eingehalten werden. Nach einer Pause von einem Monat kann die Kur mit diesem Phytopharmakon wiederholt werden. Hervorzuheben ist die gute Verträglichkeit des Präparates. Der Alkoholgehalt beträgt 32 Vol.-% (keine Anwendung bei Alkoholkrankheit). Da keine ausreichenden Erfahrungen bei Kindern unter 12 Jahren, Schwangeren und Stillenden vorliegen, darf dieses pflanzliche Arzneimittel hier nicht angewendet werden.


Literatur:
(1) Schilcher H.,(Hrsg.): Leitfaden Phytotherapie, Elsevier GmbH München 2016
(2) Bohn B., Nebe C.T., Birr C.: Arzneimittelforschung /Drug Res. 1987, 37: 1193-1196




Autor:

Ernst-Albert Meyer

Fachapotheker für Offizin-Pharmazie und Medizin-Journalist
31840 Hessisch Oldendorf

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (5) Seite 56-59