In der Corona-Pandemie haben Menschen auch ihre sportlichen Aktivitäten zurückgefahren. Besonders erschreckend sind die Auswirkungen auf das Körpergewicht und die Beweglichkeit der Kinder. Das Problem betrifft aber auch Erwachsene. Höchste Zeit also, auf den protektiven Nutzen regelmäßiger körperlicher Bewegung aufmerksam zu machen und Tipps zu geben, wie man Patient:innen zum Sport motivieren kann.

Zahlreiche Studien belegen eine Gewichtszunahme von 10 – 25 % während der Pandemie [1, 2]. Laut einer Untersuchung des Instituts für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München sind hier besonders diejenigen betroffen, die bereits zuvor ein Gewichtsproblem hatten. Für die Betroffenen sind langfristige Folgen der Pandemie daher zu befürchten. Und das sollte Anlass für eine ärztliche Beratung sein.

Individuelles Risiko einschätzen

Über Jahre basierte das Konzept der kardiovaskulären Prävention auf den Begriffen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention, wo sich Empfehlungen an vorausgegangenen kardiovaskulären Ereignissen orientierten. Demgegenüber formulierte Prof. H. Golke aus Bad Krozingen schon 2007 ein Konzept, dass Prävention primär auf dem Boden einer Risikostratifizierung beruhen sollte. Inzwischen liegen validierte Datenbanken vor, die eine Abschätzung des individuellen kardiovaskulären Risikos ermöglichen. Aus den Risikofaktoren Geschlecht, Alter, Raucherstatus, Blutdruck, HDL- und LDL-Cholesterin lässt sich eine Unterteilung in niedriges, moderates, hohes und sehr hohes kardiovaskuläres Risiko vornehmen [3]. Leitliniengemäß soll das Präventionsprogramm primär dem entsprechenden Risiko angepasst werden. Laut amerikanischer Leitlinien soll ab dem 40. Lebensjahr eine gründliche Evaluation der Familienanamnese und der Risikokonstellation erfolgen, um daraus weiterführende Empfehlungen zu Ernährung, Sport und Körpergewicht treffen zu können.

Bewegung trägt zum Wohlbefinden bei

Solche Daten haben den Charme, einheitliche Konzepte zu formulieren, bergen aber das Problem, dass individuelle Konstellationen untergehen. So ist es beispielsweise schwierig, die Effekte von Übergewicht von denen durch Bewegungsmangel zu trennen. Zahllose Studien haben den protektiven Nutzen von regelmäßiger körperlicher Bewegung und Sport auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität hervorgehoben. Auch tragen indirekte Effekte wie beispielsweise die bessere Blutzuckerkontrolle durch körperliche Bewegung dazu bei. Sport hat sehr viele Facetten, die zum allgemeinen Wohlbefinden beitragen und deren präventiver Schutz vor kardiovaskulären Schäden gesichert ist. Es ist das Ziel und die Schwierigkeit, jeden Einzelnen zu körperlicher Bewegung zu motivieren. Die amerikanische Präventions-Leitlinie [4] fasst den vielleicht wichtigsten Ansatz wie folgt zusammen:

Aerober Sport ist grundsätzlich sehr sicher für jedermann

Bei Menschen mit überwiegend sitzender Tätigkeit sollen sportliche Aktivitäten langsam und sukzessive gestartet werden, diese Menschen tragen das größte kardiovaskuläre Risiko. Die jüngsten amerikanischen Leitlinien aus 2019 empfehlen 150 Minuten moderaten Ausdauersport oder 75 Minuten intensiven Sport pro Woche als Mindestleistung. Gleichzeitig gilt aber:

Jede sportliche Leistung zählt!

Es besteht eine enge umgekehrte Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen moderatem und intensivem Sport und der kardiovaskulären Morbidität [5]. Es gibt kein unteres Limit, bei dem erst die Wirkung des Sportes zutage tritt. Wie der Alltag der ärztlichen Praxis zeigt, ist der erste Schritt in den Sport der schwierigste und bedarf einer sehr individuellen Auslotung der Möglichkeiten und Präferenzen. Der Kauf einer 10-Karte im Sportstudio oder ähnliche Ansätze sind meist kontraproduktive Vorschläge, dagegen führt der langsame Start mit einer selbstgewählten Aktivität – vielleicht auch mit einer Partner:in – eher zum Ziel.

Moderat ist besser als intensiv

Der präventive Effekt von intensivem und besonders intensivem Sport auf kardiovaskuläre Morbidität ist weitaus geringer als beim moderaten Ausdauersport, zudem können neue Risiken wie Verletzungen und auch kardiovaskuläre Ereignisse beim Sport hinzutreten. Gerade bei älteren Menschen gilt es, das Trainingsausmaß und auch die Obergrenzen individuell zu besprechen. Marathonlaufen oder sehr hohe Berge zu besteigen ist bei vielen Menschen in ihren Fünfzigern sehr populär, diese Aktivitäten haben sicher keinen präventiven Charakter, sie dürften vielmehr als besonderes Risiko eingestuft werden. Wenn geeignete Voraussetzungen vorliegen und eine gründliche Vorbereitung unter medizinischer Betreuung gegeben ist, bestehen keine Einwände. Wie bei jedem Gelegenheitsportler gilt jedoch auch hier die Notwendigkeit, die individuellen Risiken und Grenzen zu besprechen.

Beispiele moderater Ausdauersport (4)
  • Schnelles Gehen
  • Radfahren
  • Wasser-Aerobics
  • Tennis-Doppel
  • Tanzen
  • Gartenarbeit

Für Herzkranke gelten andere Regeln

Sport für herzkranke Menschen ist ebenfalls ein wesentlicher und wichtiger Therapieansatz. Herzsportgruppen in Deutschland sind weit verbreitet und oft ein guter Start nach der Verunsicherung durch eine Herzerkrankung. Sport sollte nur in stabilen Krankheitsphasen gestartet werden. Bei Herzkranken gelten andere Regeln und Grenzen im Sport, die nicht Thema dieser Abhandlung sind. Es sollte jedoch hervorgehoben werden, dass Menschen mit Synkopen und/oder ernsthaften Herzrhythmusstörungen keinen Intensivsport betreiben sollten.

Nicht übertreiben!

Hochleistungssport gehört nicht zur kardiovaskulären Prävention. Dessen Ausübung erfordert nicht nur einen versierten Trainer, sondern auch eine regelmäßige medizinische Betreuung. Kliniken für Sportmedizin oder Ärzt:innen mit der Zusatzqualifikation Sportkardiologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sind hier die Ansprechpartner. Hochleistungs- bzw. Intensivsportler:innen sind speziellen kardiovaskulären Risiken ausgesetzt, die noch nicht hinreichend geklärt sind. Hierzu zählt insbesondere das gehäufte Auftreten von Vorhofflimmern überwiegend bei männlichen Ausdauersportlern mittleren Alters. Das in zahlreichen Studien beschriebene Phänomen soll möglicherweise auch eine genetische Disposition haben.

Doping gehörte vormals in den Leistungssport, hat aber seit Jahren auch den "normalen" Sportler erreicht. Die Situation mit den vielen und unterschiedlichen Substanzen ist völlig unübersichtlich. Anabole Substanzen beschleunigen die Atherosklerose, andere Substanzen beeinflussen Ermüdungserscheinungen. Insgesamt bleibt zumindesten festzuhalten, dass der reine Leistungsgedanke beim Sport nicht primäres Ziel der kardiovaskulären Prävention ist.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Kardiovaskuläre Morbidität wird wesentlich durch Risikofaktoren bestimmt.
  • Körperliche Bewegung und Sport zeigen einen dosisabhängigen schützenden Effekt.
  • Motivation zum Sport ist der wesentliche Faktor in der ärztlichen Praxis.
  • Individuelle Beratung ist besonders bei speziellen Fragestellungen notwendig.


Literatur:
1. Baysun S, Akar MN. Weight gain in children during the COVID-19 quarantine period. J Paediatr Child Health 56, 1487-1488 (2020)
2. Rundle AG, Park Y, Herbstman J, Kinsey EW. Wang YC. COVID-19 Related School closing and rRsik of weight gain among children. Obesity 28, 1008-1009 (2020).
3. Score2 working group and ESC Cardiovascular risk collaboration. SORE" risk prediction algorithms: new modelst o estimate 10 year risk of cardiovascular disease in Euope. Eur Heart J 42, 2439-2454 (2021)
4. 2019 ACC/AHA Guideline on the Primary Prevention of Cardiovascular Disease. J Am Coll Cardiol 74; e177-e232 (2019)
5. Eijsvogels TMH, Molossi S, Lee DC, Emery MS, Thompson PD. Exercise at the Extremes: The Amount of Exercise to Reduce Cardiovascular Events. J Am Coll Cardiol 67; 316-329 (2016)


Autoren

© privat
Prof. Dr. med. Damian Franzen

FA Innere Medizin/Kardiologie/Pneumologie

Dr. med. Jens Hagemeister
FA Innere Medizin/Kardiologie/Sportmedizin
50968 Köln
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
Teile der Arbeit wurden auf der Herztagung 2021 der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie vorgetragen.



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (10) Seite 42-44