Das Jahr 2020 hat viele Veränderungen gebracht. Neue und vorher unbekannte Herausforderungen verlangten nach schnellen und innovativen Lösungen – auch in den Hausarztpraxen. So hat die Corona-Pandemie z. B. der Videosprechstunde einen unerwartet deutlichen Schub verliehen. Mehr als die Hälfte der niedergelassenen Ärzt:innen insgesamt und immerhin rund ein Drittel der Allgemeinärzt:innen würden sie inzwischen nutzen, behaupten aktuelle Auswertungen, die auf dem diesjährigen Europäischen Gesundheitskongress präsentiert wurden.

Während der akuten Pandemie bot die Videosprechstunde sich als nützliches Hilfsmittel an, Ansteckungsgefahren zu reduzieren und gleichzeitig eine medizinische Versorgung sicherzustellen. Die Anbieter digitaler Praxisanwendungen wie beispielsweise das Unternehmen Doctolib werben damit, wie hilfreich digitale Erweiterungen für Arztpraxen seien und welche Vorteile sie bringen. So ermögliche die Videosprechstunde Ersteinschätzungen, Beratungsgespräche und Befundbesprechungen ohne Ansteckungsrisiko für die Patient:innen. Symptome können bereits vor einem Gang in die Praxis geklärt werden, sodass sich Patient:innen nicht unnötig auf den Weg in die Praxis machen müssen, obwohl eine Kolleg:in einer anderen Fachrichtung eventuell die passendere Ansprechpartner:in wäre. Heil- und Medikationspläne könnten online besprochen werden. Und inzwischen sei ja auch die Krankschreibung bei Bestandspatient:innen für eine Dauer von bis zu 7 Tagen digital möglich.Auch die Bundesärztekammer möchte telemedizinische Angebote als Ergänzung zum Arztbesuch fördern und hat aus diesem Grund eine Handreichung erstellt, die Behandler:innen einen Überblick über organisatorische, technische und rechtliche Aspekte der Fernbehandlung geben soll.

Das erfolgreiche Gespräch

Optimal nutzen lasse sich die Videosprechstunde, wenn sie in ein Online-Terminmanagement inte-
griert sei, empfiehlt Doctolib. Vor-Ort-Termine ließen sich so ganz einfach in digitale Konsultationen umwandeln. Dazu gibt es den Tipp, feste Blöcke im Tagesablauf für die Videotelefonie zu definieren, z. B. eine Stunde täglich zu Beginn und am Ende der Sprechzeiten, die online buchbar sein sollten. In dieser Zeit werden dann außer akuten Notfällen nur Video- oder eventuelle Telefonkonsultationen durchgeführt. Das sei effizienter, da Patient:innen so keine Wartezeiten vor dem Computer hätten.

Klar ist: Die Videosprechstunde ist zunächst eine ungewohnte Situation für Ärzt:in und Patient:in. Ein großer Teil der physischen Sprechstunde, mit dem Abtasten und Betrachten bestimmter Körperpartien, entfällt komplett. Die Ärzt:in muss nun alles erfragen und die Patient:in dazu bewegen, Symptome möglichst genau zu schildern. Hierfür sei es besonders wichtig, die richtigen Fragen zu stellen. Dazu sollte man sich für die digitale Sprechstunde einen Gesprächsleitfaden zurechtlegen, dem man folgt, um das Gespräch so zielführend wie möglich zu gestalten.

Die Videosprechstunde kann eine nützliche Ergänzung im Praxisalltag sein. Eine aktuelle Umfrage des Branchenverbandes Bitkom kommt zu dem Ergebnis, dass mittlerweile jede achte Deutsche (13 %) schon einmal von Bildschirm zu Bildschirm mit einer Mediziner:in sprach. 87 % von ihnen waren mit ihren virtuellen Arztbesuchen sogar sehr zufrieden. Das zeige: Wenn es um das eigene Wohlbefinden geht, seien die Deutschen eben keine Technikmuffel. Tatsächlich würden sie sogar mehrheitlich weit mehr digitale Gesundheitsangebote einfordern, so die Studie.

In Anbetracht der nicht absehbaren Fortdauer der Corona-Pandemie haben einige Anbieter von Videosprechstunden ihre Angebote für eine kostenlose Nutzung der Videosprechstunde verlängert, bei Doctolib geht das bspw. noch bis zum 30. Juni 2021. Zudem werde diese von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifizierte Videosprechstunde von der KBV mit 710 Euro pro Ärzt:in im Quartal gefördert.

Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt bleibt die Regel

Beim Europäischen Gesundheitskongress 2020 wies der in München niedergelassene Allgemeinarzt Dr. Michael Weier, der die Videosprechstunde und das Online-Terminmanagement von Doctolib bereits intensiv nutzt, allerdings darauf hin, dass die meisten Ärzt:innen der Videosprechstunde noch Ende 2019 skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden hätten. Erst Corona habe einen Stimmungsumschwung herbeigezwungen. Ohne Zweifel werde die Videosprechstunde auch nach Corona eine Option bleiben, so Dr. Weier, allerdings würden wohl die meisten Ärzt:innen doch weiterhin den persönlichen Kontakt zu Patient:innen bevorzugen. Über die Videosprechstunde würden wohl maximal 10 bis 15 % der Patientenkontakte erfolgen.

Essentials: Die Videosprechstunde ...
kann helfen, Ansteckungsgefahren zu reduzieren.sollte mit festen Blöcken in den Tagesablauf integriert werden.sollte mit dem Termin-Management gekoppelt sein.

Dr. Ingolf Dürr


Erschienen in: doctors|today, 2020; 1 (1) Seite 24-25