Die Telematik-Infrastruktur sorgt weiter für Unmut unter den Ärzten. Nicht nur, dass die Konnektoren-Technik über Wochen nicht reibungslos funktionierte. Ab Januar 2021 soll auch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) verpflichtend werden. Wer sich bis dahin nicht an die TI angeschlossen hat, der verletzt dann seine vertragsärztlichen Pflichten und kann womöglich keine Kassenpatienten mehr behandeln. In der Ärzteschaft rumort es erheblich.

Noch in diesem Jahr sollen die ersten medizinischen Anwendungen in der Telematik-Infrastruktur (TI) bereitstehen, hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Anfang Juli angekündigt. In den Startlöchern stehe das Notfalldaten-Management (NDFM) und der elektronische Medikationsplan (eMA). Für deren Nutzung ist ein Update des Konnektors erforderlich (E-Health-Konnektor), zudem werden die Praxen einen Dienst für Kommunikation in der Medizin, kurz KIM, benötigen für die sichere Kommunikation von Daten sowie einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) für die Signatur. Den sollte man sich so rasch wie möglich bei seiner Ärztekammer beschaffen, rät die KBV.

eAU sorgt für Wirbel

Für richtig Ärger sorgte allerdings der Hinweis, dass Ärzte ab dem 1. Januar 2021 nur dann noch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausstellen dürfen, wenn alle diese digitalen Geräte und Dienste in den Praxen auch tatsächlich vorhanden sind. Denn ab dann ist die elektronische AU (eAU) für alle Arztpraxen Pflicht. Der TI-Anschluss ist dann Voraussetzung für eine rechtskonforme vertragsärztliche Tätigkeit. Wer sich bislang, aus welchen Gründen auch immer, der TI verweigert hat – und das soll noch fast ein Drittel der niedergelassenen Ärzte sein –, dem drohen dann nicht nur Sanktionen beim Honorar. Da sie ihre vertragsärztliche Pflicht verletzen, wenn sie die AU nicht elektronisch ausstellen, könnten sie eben keine Kassenpatienten mehr behandeln, so die Drohung.

KVen platzt der Kragen

Für große Teile der organisierten Ärzteschaft war dies nun wohl der Tropfen, der das Fass des Unmuts zum Überlaufen gebracht hat. Schon der teilweise Ausfall der TI über mehrere Wochen im Frühsommer hatte die Nerven gereizt, jetzt aber platzte den Verantwortlichen in einigen Landes-KVen der Kragen und sie machten ihrem Ärger in einem offenen Brief an den KBV-Vorstand Luft.

Die Landesvorstände der KVen von Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein, Rheinland-Pfalz, Saarland und Westfalen-Lippe seien nicht mehr in der Lage, die TI mit ihren inzwischen unendlichen Reihen von Pannen und Peinlichkeiten, verbunden mit einem Null-Nutzen, ihren Mitgliedern zu vermitteln, heißt es da. Zwar begrüße man weiterhin eine digitale Vernetzung und einen deutlich verbesserten Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten im Gesundheitswesen. Die hierfür zur Verfügung stehende Technik in Form eines "Steinzeitkonnektors" und die Rahmenbedingungen der TI-Ausgestaltung in der derzeitigen Form sowie ungeklärte Fragen zur Kostenübernahme würde man jedoch nicht länger akzeptieren.

In der derzeitigen Situation fühle man sich nicht mehr in der Lage, die niedergelassenen Kolleg/innen für die Akzeptanz der TI-Struktur zu motivieren. Und vom KBV-Vorstand fühle man sich nicht mehr wirklich vertreten, beklagen die Landesvorstände.

Ist der Sicherstellungsauftrag gefährdet?

Unter diesen Bedingungen würden die Proteste der Ärzte beim erforderlichen KIM-Update im Herbst 2020 erheblich sein, kündigen sie an. Es sei vorhersehbar, dass ein flächendeckendes Update angesichts der Protesthaltung der Ärzte nicht erreichbar sein wird und somit zum 1. Januar 2021 die eAU nicht etabliert werden könne.

Was ändert sich durch die eAU?
Ab dem 1. Januar 2021 ändert sich das Verfahren der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Der Versicherte erhält zwar nach wie vor eine AU als Papierausdruck, den er an seinen Arbeitgeber weiterreicht. Die Zuleitung der AU an die Krankenkasse übernimmt dann aber nicht mehr der Versicherte selbst, sondern der ausstellende Arzt. Er signiert die elektronische AU mit dem elektronischen Heilberufsausweis und übermittelt sie über die Telematik-Infrastruktur an die zuständige Kasse. Für Hausärzte bedeutet die Papier-AU und die eAU also doppelte Arbeit.

Die Menge an Vorgaben durch die TI sei den Kassenärzten nicht mehr vermittelbar, da für sie kein Mehrwert zu erkennen sei. Wenn sich daran nichts ändere, lägen die Folgen auf der Hand: "Hier lässt sich niemand mehr nieder und der, der gehen kann, geht lieber heute als morgen." Damit wäre der Sicherstellungsauftrag der KVen akut gefährdet.

Forderungen an die KBV

Eine letzte Chance wollen die Unterzeichner des offenen Briefs dem KBV-Vorstand noch geben. So fordern sie diesen auf, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu bitten, durch eine Gesetzesänderung die Sanktionen einer nicht vorhandenen TI-Anbindung bis zu dem Zeitpunkt auszusetzen, an dem eine sichere Vernetzungsstruktur für die Praxen geschaffen ist. Außerdem solle auf eine vollständige Finanzierung aller TI-Kosten durch die GKV hingewirkt werden. Von einem Rücktritt des KBV-Vorstands, wie die KVen von Baden-Württemberg und Bayern bereits zuvor gefordert hatten, ist in dem offenen Brief nicht explizit die Rede. Aber unterschwellig steht er auch hier im Raum.

In einer ersten Reaktion auf den Brandbrief verteidigte sich der KBV-Vorstand gegen den Vorwurf, untätig geblieben zu sein. Bereits im April habe man sich an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gewandt und um die Verlängerung verschiedener Fristen bezüglich der Umsetzung einiger Vorgaben zur Telematik-Infrastruktur gebeten. Der Grund: Man habe Zweifel daran, dass die für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erforderlichen Konnektoren rechtzeitig zur Verfügung stehen werden, und befürchte auch Verzögerungen bei der notwendigen Technik zur Anwendung des Dienstes zur Kommunikation im Medizinwesen sowie bei den Konnektoren, die für die Nutzung der elektronischen Patientenakte erforderlich sind.

KBV droht mit Verweigerung

Das BMG reagierte darauf jedoch abschlägig: Die bestehenden Fristen seien zwar "weiterhin anspruchsvoll, aber gleichzeitig realistisch". Der KBV-Vorstand will dies wohl nicht widerstandslos hinnehmen, sondern kündigt in einem
Schreiben an die Landes-KVen Widerstand an. Dort heißt es: "Wenn auch unsere gemeinsamen Bemühungen weiterhin erfolglos bleiben sollten, wird der KBV daher auch nichts anderes übrig bleiben, als im Rahmen des Möglichen die Umsetzung der Vorgaben gegenüber dem BMG zu verweigern, da der KBV-Vorstand sehr genau um die Bedeutung dieser Forderungen für unsere Vertragsärzteschaft weiß." Der Herbst verspricht heiß zu werden.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (14) Seite 30-31