Unter den derzeit tätigen Hausärzt:innen ist jede dritte 60 Jahre oder älter, und trotz inzwischen steigender fachärztlicher Anerkennungszahlen ist der Bedarf an nachrückenden Allgemeinmediziner:innen derzeit nicht gedeckt [1–3]. Der Handlungsdruck ist hoch, und es liegen bereits einige Vorschläge auf dem Tisch, wie erreicht werden kann, dass es langfristig nicht zu schwerwiegenden Versorgungslücken kommt. In einer Untersuchung wurden nun Hausärzt:innen erstmals selbst befragt, was sie denken, wie die hausärztliche Versorgung wetterfest gemacht werden kann.

Zu den aktuell diskutierten Lösungsansätzen zählen die Einführung eines Primärarztsystems [4], die Stärkung multiprofessioneller ambulanter Zentren [5], ein Ausbau von Delegationsoptionen [6] oder auch eine bessere regionale Bedarfsplanung samt wirksamer Anreize zur Ansiedlung von Hausärzt:innen in ländlichen Gegenden [7–10]. Zudem gibt es eine Debatte über die Schaffung einer breiteren hausärztlichen Rekrutierungsbasis, etwa mit Blick auf das Thema Quereinstieg, oder eine Quotierung des Zugangs zur Spezialistenweiterbildung [5, 11]. Mit Blick auf Aus- und Weiterbildung gibt es über die teils erfolgte Etablierung von Landarztquoten Vorschläge einer curricularen Neugestaltung des Medizinstudiums sowie einer Veränderung von Zulassungskriterien, um die hausärztliche Perspektive zu stärken [12, 13].

Die hausärztliche Stimme hören

Während sich gesundheitspolitische Akteure vergleichsweise häufig in Bezug auf Maßnahmen zur Bekämpfung des allgemeinärztlichen Nachwuchsproblems äußern, kommen Hausärzt:innen selber vergleichsweise selten zu Wort, welche Rezepte aus ihrer Sicht und Erfahrung zielführend sind, um die hausärztliche Versorgung sicherzustellen. Dieses Defizit hat eine groß angelegte Studie der Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Mainz adressiert. Zwischen Sommer 2021 und Frühling 2022 wurden 64 Einzelinterviews mit Hausärzt:innen aus sämtlichen Bundesländern geführt. Die Ärzt:innen wurden anhand verschiedener Kriterien so ausgewählt, dass sie einem breiten Querschnitt der Hausärzteschaft in Deutschland entsprechen. Ziel der Studie war es, Positionen und Haltungen von Hausärzt:innen einzuholen.

Mangelnde Anziehungskraft für Nachwuchs

Dabei bekundet eine Mehrheit die Sorge, es könnte in den nächsten ein bis zwei Dekaden zu einer erheblichen Verknappung niedergelassener Allgemeinmediziner:innen kommen. Im Mittelpunkt sehen die Befragten eine "nicht ausreichende Attraktivität der Hausarztmedizin für angehende Mediziner". Dies habe maßgeblich mit der Stellung der hausärztlichen Versorgung im deutschen Gesundheitswesen zu tun. Mehr als die Hälfte der Befragten bescheinigt dem hausärztlichen Bereich eine aktuell zu niedrige Anziehungskraft für den ärztlichen Nachwuchs. Viele Interviewte kommen in diesem Zusammenhang auf eine ungeregelte und ineffektive Arbeitsteilung zwischen den Sektoren zu sprechen, die als "erheblicher Hemmschuh für die Hausarztmedizin" erlebt wird. Die Abwesenheit eines Primärarztsystems verkompliziere die Tätigkeit von Hausärzt:innen "wirtschaftlich, zeit- und ressourcenbezogen", das Navigationsverhalten von Patient:innen im Gesundheitssystem sei oftmals willkürlich. Hinzu komme in den vorhandenen Strukturen eine mangelnde Einbeziehung von Hausärzt:innen, insbesondere im interprofessionellen Zusammenhang.

Die Interviewten monieren zudem die Aus- und Weiterbildung. Derzeit sei es so, dass selbst diejenigen angehenden Mediziner:innen, die mit einer hausärztlichen Perspektive liebäugelten, aufgrund "mangelnder Vorbereitung durch eine Tätigkeit als Hausärzt:in abgeschreckt" würden. Als erhebliche Unsicherheitsfaktoren werden u. a. Fragen der Selbstständigkeit und des Praxismanagements genannt. Auch habe man zu lange vorausgesetzt, "dass ein Teil der Studierenden schon automatisch Hausärzt:innen werden", anstatt sowohl bei der Zulassung zum Studium als auch im Verlauf des Studiums und der Weiterbildung "nach den Richtigen Ausschau zu halten und [diese] zu fördern".

Wurde bereits genug getan?

Nach ihrem generellen Eindruck gefragt, wie sie die bislang ergriffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Hausarztmedizin beurteilen, fällt das generelle Fazit der meisten Befragten eher reserviert aus. Bislang ergriffene Maßnahmen werden zwar als in die richtige Richtung weisend, jedoch zu halbherzig wahrgenommen. Kritisiert wird etwa, dass viele Bundesländer keine On-top-Quoten für die teils eingerichtete Landarztquote beschlossen haben, sondern einen Anteil der bestehenden Studienplätze hierfür vorsehen. Auch dass längst nicht alle Länder die Landarztquote verfolgen und die Ausgestaltung uneinheitlich ist, nehmen die Interviewten als Anlass für Kritik.

Ferner sei die mit dem Masterplan 2020 initiierte Reform des Humanmedizinstudiums "keine grundsätzliche Wende gewesen, sondern höchstens eine Flickschusterei". Während beim Medizinstudium immerhin Reformbemühungen erkennbar seien, gebe es im Bereich der Weiterbildung noch "zu starke Beharrungskräfte". Immerhin die flächendeckend eingerichteten Kompetenzzentren, die die allgemeinmedizinische Weiterbildung flankieren sollen, werden klar positiv beurteilt.

Hohe Zustimmung zu Primärarztsystem

Die in Tabelle 1 aufgeführten Antworten zeigen, dass Hausärzt:innen Konzepten den Vorrang geben, die zu einer Stärkung der allgemeinärztlichen Rolle im Gesundheitssystem führen. Hoch ist der Zuspruch in Bezug auf die Einrichtung eines Primärarztsystems als Maßnahme, um die Handlungsfähigkeit und damit Attraktivität der Hausarztmedizin zu steigern. Auch wünschen sich viele Interviewte eine Anpassung der Aus- und Weiterbildung. Neben veränderten Zulassungskriterien oder einer stärkeren inhaltlichen Restrukturierung des Medizinstudiums plädieren die Interviewten für Interventionen im Verlauf des Studiums, die Studierenden hausärztliches Arbeiten erfahrbar machen, Unsicherheiten nehmen und diagnostische Fähigkeiten schulen. Der längsschnittliche Unterricht durch die Allgemeinmedizin ist ein Kernpunkt im Masterplan 2020 [14, 15]. Weitere Schwerpunkte gelten der Stärkung der Weiterbildung und dem (verstärkten) Aufbau multiprofessioneller Versorgungszentren, die interdisziplinäre Vernetzungsstrategien nutzen können. Vergleichsweise zurückhaltend sind die Befragten mit Blick auf den Nutzen der Landarztquote oder wenn es darum geht, Quer-
einsteiger:innen verstärkt für die Hausarztmedizin zuzulassen [11].

Es gibt noch viel zu tun

Die Interviews belegen, dass Allgemeinmediziner:innen durchaus mit Sorge auf die langfristige Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung schauen. Als Hauptprobleme werden vor allem strukturelle Problematiken im Zusammenhang mit dem deutschen Gesundheitssystem, aber auch der Aus- und Weiterbildung gesehen.

Die befragten Hausärzt:innen regen die Schaffung eines Primärarztsystems an. Auch wird eine stärkere Förderung von Interesse und Berührungspunkten in Bezug auf die Hausarztmedizin in Aus- und Weiterbildung für sinnvoll erachtet, darüber hinaus eine Restrukturierung von Curricula und Zulassungskriterien zum Medizinstudium sowie eine Reform und Stärkung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung. Nicht zuletzt wird eine stärkere Überführung der klassischen Hausarztmedizin in multiprofessionelle Zentren als wertvoller Beitrag angesehen. Damit einher geht die Schaffung neuer Arbeits- und Beschäftigungsmodelle als Antwort auf veränderte Bedürfnisse des hausärztlichen Nachwuchses [16, 17].

Insgesamt erscheint es empfehlenswert, Hausärzt:innen und deren Erfahrung bei der Planung, Implementierung und Evaluation von Maßnahmen zur Bekämpfung des (drohenden) Mangels von Primärversorger:innen konsequent einzubeziehen. In ärztlichen und wissenschaftsnahen Gremien ist ihre Berufsgruppe zumeist in der Minderheit und sollte daher verstärkt durch die politischen Entscheidungsträger:innen berücksichtigt werden.


Literatur:
1. KBV. Bedarfsplanung, 2019. http://www.kbv.de/html/bedarfsplanung.php
2. Robert Bosch Stiftung. Gesundheitszentren für Deutschland. Wie ein Neustart in der Primärversorgung gelingen kann. https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2021-05/Studie_Primaerversorgung_Gesundheitszentren-fuer-Deutschland.pdf
3. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Berlin: SVR, 2014
4. DEGAM. Wir brauchen ein Primärarztsystem. Positionspapier. www.degam.de/files/Inhalte/Degam-Inhalte/Ueber_uns/Positionspapiere/DEGAM_Positionspapier_Primärarztversorgung_final_neu.pdf
5. Van den Bussche H. Die Zukunftsprobleme der hausärztlichen Versorgung in Deutschland: Aktuelle Trends und notwendige Maßnahmen. Bundesgesundheitsbl 2019; 62: 1129.1137
6. Riisgaard H, Nexøe J, Le JV, Søndergaard J, Ledderer L. Relations between task delegation and job satisfaction in general practice: a systematic literature review. BMCFamPract 2016; 17: 168
7. Gemeinsamer Bundesausschuss. Über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung. https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1109/BPL-RL_2015-10-15_iK-2016-01-06.pdf
8. Delker P, Gensichen J. Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung – eine Erhebung zu bayerischen Fördermaßnahmen. Z Allg Med 2021; 97: 263-268
9. Kaplan M. Wer oder was motiviert zur Niederlassung in MVZ oder Praxis? In: Fuchs C, Kurth BM, Scriba PC, Hrsg. Perspektiven junger Ärztinnen und Ärzte in der Patientenversorgung. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 2013: 213-217
10. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Bedarfsgerechte Versorgung − Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche. https://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2014/Langfassung2014.pdf
11. DEGAM. https://www.degam.de/files/Inhalte/Degam-Inhalte/Ueber_uns/Positionspapiere/DEGAM-Positionspapier_WBO_Quereinstieg.pdf
12. Kaduszkiewicz H, Teichert U, van den Bussche H. Ursachen und Abhilfestrategien für den Mangel an Hausärzten und Amtsärzten in unterversorgten Gebieten – Eine kritische Analyse. Bundesgesundheitsblatt 2018; 61: 187-189
13. Van den Bussche H, Nehls S, Boczor S, et al. Was wissen wir über die reale Dauer der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland? Dtsch Med Wochenschr 2018; 143: 152-158
14. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Masterplan Medizinstudium 2020. https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/2017-03-31_masterplan-beschlusstext.pdf;jsessionid=59CD41D2433044888180C57B3A030893.live471?__blob=publicationFile&v=1
15. Shah A, Gasner A, Bracken K, et al. Early generalist placements are associated with family medicine career choice: A systematic review and meta‐analysis. Med Educ 2021; 55: 1242-1252
16. Huenges B, Weismann N, Osenberg D, et al. Weiterbildung aus Sicht der (Haus-)ärzte von morgen. Z Allg Med 2010; 10: 369-378
17. Van den Bussche H, Boczor S, Siegert S, et al. Die Resultate von sechs Jahren Weiterbildung für die hausärztliche Versorgung in Deutschland – Ergebnisse der KarMed-Studie. Z AllgMed 2019; 95: 9-13


Autor

Dr. Julian Wangler

Prof. Dr. Michael Jansky
Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie
UNIVERSITÄTSMEDIZIN Mainz
55131 Mainz
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (4) Seite 22-24