Die Videosprechstunde findet aufgrund der Corona-Pandemie mehr und mehr Zuspruch in den Arztpraxen – auch wenn viele Ärzt:innen darauf nicht wirklich gut vorbereitet waren. Man kann davon ausgehen, dass dieses Instrument der Kommunikation mit Patient:innen auch nach der Pandemie nicht wieder verschwinden wird. Im Saarland lernen angehende Ärzt:innen deshalb jetzt schon im Studium, wie man das Videogespräch optimal einsetzt.

Die Corona-Pandemie hinterlässt auch im Medizinstudium ihre Spuren, und zwar nicht nur medizinisch betrachtet: Ein Seminar, in dem die angehenden Ärzt:innen bisher das direkte Patientengespräch mit versierten Schauspieler:innen trainiert haben, soll künftig auch als Videosprechstunde fest im Lehrplan angeboten werden. Die ersten Video-Übungen im Sommersemester verliefen sehr erfolgreich, die Studierenden seien begeistert gewesen, berichtet der Psychologe Roberto D’Amelio, der das Konzept zur Durchführung des Online-Trainings Videosprechstunde erarbeitet hat.

Was man beachten sollte

Dabei zeigte sich: Eine zielführende Videosprechstunde abzuhalten, sei alles andere als trivial. Keineswegs genüge es, einen Laptop mit Kamera aufzubauen und ansonsten alles so zu machen, wie es in der normalen Sprechstunde ebenfalls der Fall wäre. Das gehe ja auch gar nicht, wenn man an Untersuchungen denkt, die die Ärzt:in am Körper direkt vornehmen muss. Statt bestimmte Körperpartien abzutasten, muss die Ärzt:in alles erfragen und die Patient:in dazu bewegen, ihre Symptome möglichst genau und detailliert zu schildern.

Außerdem müssten die angehenden Ärzt:innen versuchen, ihren Patient:innen ebenso wie in der echten Sprechstunde das Gefühl zu vermitteln, dass sie für sie da sind, dass sie bei ihnen sind. Das funktioniere aber beispielsweise nur, wenn sie ganz bewusst in die Kameralinse schauen statt auf den Computerbildschirm. Denn schaut man einfach nur auf den Bildschirm, erwecke dies beim Gegenüber den Eindruck, als schaue man an der Person vorbei, mit der man redet.

Auf das Drumherum achten

Die Studierenden werden nach und nach mit immer neuen, vielfältigen medizinischen Feldern konfrontiert. Und dabei lerne man, dass auch das "Drumherum" wichtig sein kann. Also wenn z. B. der Hund ständig durchs Bild rennt oder durchs geöffnete Fenster Baulärm hereindringt und das Gespräch stört. Die Lehrenden wollen dann sehen, wie die Studierenden darauf reagieren und ob sie die Schauspieler-Patient:innen beispielsweise bitten, das Fenster zu schließen oder den Hund von jemandem beaufsichtigen zu lassen, während Ärzt:in und Patient:in miteinander sprechen. Solche scheinbaren Nebensächlichkeiten seien wichtig für ein konzentriertes und gelingendes Patientengespräch.

Mehr noch könne ein Videogespräch auch Einblicke in das häusliche Umfeld der Patient:in ermöglichen, die man so bei einem Praxisbesuch nicht gewinnen könne. So schildert einer der Studienmanager eine Szene aus dem Kommunikationstraining: "Der ‚Patient‘ saß vor der Kamera des Computerbildschirms und hat dem Medizinstudenten, der vor seinem eigenen Laptop saß, seine Situation per Videosprechstunde geschildert. Dabei klagte er über Herz-Kreislauf-Beschwerden und sprach über seine derzeitige Situation: drohende Arbeitslosigkeit, daraus resultierenden Stress, familiäre Belastungen. Und ganz unvermittelt greift er neben sich zur Bierflasche und nimmt einen kräftigen Schluck." Der wollte mal sehen, wie der Student darauf reagiert, erklärt der Studienmanager. Sollte der Studierende da nicht von sich aus darauf kommen, den Patienten nach seinen Trinkgewohnheiten zu fragen, erhält er hinterher ein entsprechendes Feedback, um es beim nächsten Mal besser zu machen.

Videosprechstunde sinnvoll nutzen

Bei allem Positiven, was man der Videosprechstunde abgewinnen könne, bleibe der direkte Kontakt mit den Patient:innen nicht ersetzbar, schränken die saarländischen Mediziner:innen ein. Was eine Ärzt:in unmittelbar sehe, spüre und höre, wenn eine Patient:in vor ihr sitzt, könne ein Computerbildschirm mit Kamera und Mikrofon aber doch nicht ersetzen. Unter den gegebenen Umständen könne eine gut durchgeführte Videosprechstunde aber eine sehr sinnvolle Alternative zum Arztbesuch vor Ort sein. Mit einem niedrigschwelligen Angebot, die Symptome erst einmal per Videosprechstunde mit der Ärzt:in zu besprechen, könnte eine Möglichkeit geschaffen werden, medizinische Behandlungen sinnvoll zu kanalisieren. Stellt die Ärzt:in im Videogespräch fest, dass es nicht so dringend ist, kann sie die Patient:in für einen späteren Zeitpunkt einbestellen, zu dem das Wartezimmer nicht mehr so voll ist. Und zeigt sie Symptome einer schwereren Krankheit, kann sie sie stattdessen sofort zu sich in die Praxis bitten.

Außerdem rollt jedes Jahr zuverlässig eine Grippewelle über das Land hinweg, wahrscheinlich auch in diesem Winter. Und da böte sich den Ärzt:innen mit der Videosprechstunde ein Mittel, sich um Grippepatient:innen zu kümmern, ohne dass die Wartezimmer überfüllt sind und die Ansteckungsgefahr – auch mit Corona – damit steigt.

Dr. Ingolf Dürr


Erschienen in: doctors|today, 2020; 1 (1) Seite 16-18