Psychoemotionaler Stress stellt einen wesentlichen kardiovaskulären Risikofaktor dar, der eine ähnliche Relevanz wie z. B. Zigarettenrauchen aufweist. Eine besondere Form einer stressinduzierten Herzerkrankung ist die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie. Nach einem solchen Ereignis sowie nach einem Myokardinfarkt sind eine Sekundärprävention und regelmäßige Kontrollen in der Hausarztpraxis empfehlenswert.

Bereits Aristoteles hatte einen Zusammenhang zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem psychoemotionalen Wohlbefinden beobachtet und lehrte, dass die Seele des Menschen im Herzen sitzt. Diese enge Verknüpfung zwischen Emotionalität und Herz hat sich bis in die Neuzeit hinein gehalten. In Redewendungen werden emotionale Ereignisse und Herzprobleme eng miteinander verbunden, wenn beispielsweise gesagt wird "das habe ich mir zu Herzen genommen" oder "das Herz ist vor Schreck stehen geblieben". Auch im Zweiten Weltkrieg wurden außergewöhnliche, psychische Belastungen als Auslöser von Herzinfarkten erkannt. Englische Pathologen beobachteten nach Kampfeinsätzen junger Piloten eine erhöhte Inzidenz von plötzlichen Myokardinfarkten.

Stress als Ursache von Herzerkrankungen

In der FRAMINGHAM HEART STUDY wurden ab 1948 Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Zunächst wurden 5.209 männliche Einwohner aus dem Ort Framingham nahe Boston an der Ostküste der USA klinisch untersucht und zu kardiovaskulären Erkrankungen befragt. Nach zehn Jahren konnte gezeigt werden, dass es für Herzerkrankungen wesentliche Risikofaktoren gibt. Dabei wurden psychosoziale Faktoren als Ursache von Herzerkrankungen erst 30 Jahre nach Studienbeginn anerkannt. Damit legte die FRAMINGHAM HEART STUDY das wesentliche Fundament für die heutige Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen [1].

Während andere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck oder das Rauchen heutzutage aufgrund eindeutiger Evidenz als kardiovaskuläre Risikofaktoren unangefochten sind, werden psychische Belastungen nicht in gleichwertiger Weise berücksichtigt. So wurde z. B. die Bedeutung von psychosozialen Faktoren erst 20 Jahre nach Studienende in der KOPENHAGEN CITY HEART STUDY erfasst [2]. Psychoemotionale Faktoren konnten jedoch tierexperimentell an Primaten eindeutig nachgewiesen werden. Makaken entwickeln bei psychosozialem Stress eine chronische Überaktivierung des sympathischen Nervensystems, was zu vermehrtem Auftreten von Koronararteriosklerose und erhöhter Inzidenz von endothelialer Dysfunktion führt [3]. Daneben wurden aufgrund von psychosozialem Stress eine ovarielle Dysfunktion, Hypercholesterinämie und erhöhte Kortisolspiegel festgestellt, wodurch insbesondere weibliche Primaten ein fast dreifach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufwiesen.

Welche Stress-Faktoren gibt es?

Aus epidemiologischen Studien wissen wir heute von fünf psychosozialen Hauptfaktoren, welche die Verbindung zwischen psychoemotionalem Stress und dem Auftreten der koronaren Herzerkrankung darstellen:

  1. Depression
  2. Angst
  3. Persönlichkeits- und Charaktereigenschaften
  4. Soziale Isolation
  5. Chronischer Alltagsstress (familiär oder beruflich)

Hierunter haben zahlreiche Studien eine erhöhte Inzidenz an Angina pectoris, angiographisch manifester koronarer Herzerkrankung sowie an Myokardinfarkten beschrieben. Die Folgen von psychoemotionalem Stress, z. B. Rauchen, Inaktivität, abnormes Essverhalten mit Adipositas, sind hierbei als negative Verstärker für die Entwicklung manifester Herzerkrankungen anzusehen [4] (Abb. 1).

Stressbewältigung in der Primär- und Sekundärprävention

Neben dem Erkennen und Behandeln psychoemotionaler Faktoren in der Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen stellt die psychosoziale Intervention im Rahmen der Sekundärprävention seit 20 Jahren eine wesentliche Säule, insbesondere bei Rehabilitationsmaßnahmen, dar [5]. So müssen 62 Raucher den Nikotinkonsum beenden, um einen erneuten Myokardinfarkt pro Jahr zu verhindern. Der Abbau von chronischen Stressbelastungen verhindert dagegen bereits bei jedem 24. Betroffenen den Re-Infarkt. Wird im Rahmen der Rehabilitation eine psychosoziale Behandlung eingeleitet, so wird das Risiko für erneute kardiovaskuläre Erkrankungen in den nächsten zwei Jahren um bis zu 70 % reduziert [6]. Während Arbeitslosigkeit das kardiovaskuläre Risiko um das 2,2-Fache erhöht, sinkt mit steigendem Einkommen das Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden. Neben dem psychosozialen Stress durch die Arbeitsumgebung hat auch die familiäre Situation einen Einfluss auf das individuelle Risiko. Während verheiratete Männer nach einer Studie aus Dänemark ein niedrigeres kardiovaskuläres Risikoprofil aufweisen und eine um ein Jahr verlängerte Lebenserwartung haben, konnte eine Studie aus Saudi-Arabien unlängst zeigen, dass die Polygamie das Risiko für eine koronare Herzerkrankung um das 4-Fache erhöht [7]. Insgesamt sollten also alle Bereiche des Lebens, von denen psychoemotionaler Stress ausgehen kann, als mögliche Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen Berücksichtigung finden.

Tako-Tsubo-Kardiomyopathie

Eine besondere Form der stressinduzierten Herzerkrankung stellt die sogenannte Tako-Tsubo-Kardiomyopathie dar. Aufgrund der japanischen Erstbeschreibung ist sie benannt nach einer Tintenfischfalle (Tako-Tsubo). In der Akutphase kommt es hierbei zu einer Akinesie oder Dyskinesie des linken Ventrikels in Kombination mit einer Hyperkontraktilität der Herzbasis. Entsprechend stellt sich in der Lävokardiographie ein amphorenartiges Bild dar, welches der Form einer Tintenfischfalle entspricht [8]. Dem Ereignis geht eine außergewöhnliche Stressbelastung meist psychoemotionaler Art voraus. Die Patienten beschreiben heftige Angina pectoris, Dyspnoe und weisen Zeichen der kardialen Insuffizienz bis zum kardiogenen Schock auf. Die damit einhergehenden EKG-Veränderungen können typische ST-Strecken-Elevationen wie beim akuten Myokardinfarkt, aber auch T-Negativierungen und Verlängerungen der QT-Zeit zeigen [9]. Bei Patienten mit Tako-Tsubo-Kardiomyopathie wurden erhöhte Kortisol- und Katecholamin-Konzentrationen im Blut festgestellt. Koronarangiographisch können jedoch relevante Okklusionen infolge atherosklerotischer Plaque-Ruptur ausgeschlossen werden.

Die Therapie der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie umfasst neben der hämodynamischen Stabilisierung und intensivmedizinischen Überwachung die psychoemotionale Ruhigstellung und Stressbewältigung. Insbesondere bei Auftreten eines kardiogenen Schocks ist die Akutmortalität und auch die Langzeitprognose ähnlich schlecht wie beim akuten Myokardinfarkt. Diese Form der Stress-Kardiomyopathie betrifft häufiger Frauen, weshalb hormonelle Einflüsse als Kofaktor zu berücksichtigen sind. Ist die Akutphase überstanden, ist bei entsprechender Behandlung die Prognose gut [10]. Es ist jedoch mit einer erhöhten Rezidivrate zu rechnen. Daher sollten diesen Patienten psychotherapeutische Behandlungsangebote sowohl in der Akutphase als auch im Langzeitverlauf gemacht werden.

Fazit
  • Psychosozialer Stress weist als Risikofaktor für Myokardinfarkte eine vergleichbare Relevanz wie z. B. Zigarettenrauchen auf.
  • In der Primär- und Sekundärprävention wird Stress zu wenig berücksichtigt.
  • Den Patienten sollten psychotherapeutische Therapieangebote zur Prognoseverbesserung gemacht werden.
  • Eine Stress-induzierte Kardiomyopathie stellt sowohl in der Akutphase als auch im Langzeitverlauf ein dem Myokardinfarkt vergleichbares Risiko dar.


Literatur:
1. Mahmood, S.S., et al., The Framingham Heart Study and the epidemiology of cardiovascular disease: a historical perspective. The Lancet. 383(9921): p. 999-1008.
2. Schnohr, P., et al., Ranking of psychosocial and traditional risk factors by importance for coronary heart disease: the Copenhagen City Heart Study. Eur Heart J, 2015. 36(22): p. 1385-93.
3. Hamm, T.E., Jr., et al., Effects of gender and social behavior on the development of coronary artery atherosclerosis in cynomolgus macaques. Atherosclerosis, 1983. 48(3): p. 221-33.
4. Everson-Rose, S.A., et al., Chronic stress, depressive symptoms, anger, hostility, and risk of stroke and transient ischemic attack in the multi-ethnic study of atherosclerosis. Stroke, 2014. 45(8): p. 2318-23.
5. Rozanski, A., J.A. Blumenthal, and J. Kaplan, Impact of Psychological Factors on the Pathogenesis of Cardiovascular Disease and Implications for Therapy. Circulation, 1999. 99(16): p. 2192.
6. Linden, W., C. Stossel, and J. Maurice, Psychosocial interventions for patients with coronary artery disease: A meta-analysis. Archives of Internal Medicine, 1996. 156(7): p. 745-752.
7. Daoulah, A., et al., Polygamy and Risk of Coronary Artery Disease in Men Undergoing Angiography: An Observational Study. Int J Vasc Med, 2017. 2017: p. 1925176.
8. Tsuchihashi, K., et al., Transient left ventricular apical ballooning without coronary artery stenosis: a novel heart syndrome mimicking acute myocardial infarction. Angina Pectoris-Myocardial Infarction Investigations in Japan. J Am Coll Cardiol, 2001. 38(1): p. 11-8.
9. Desmet, W.J., B.F. Adriaenssens, and J.A. Dens, Apical ballooning of the left ventricle: first series in white patients. Heart, 2003. 89(9): p. 1027-31.
10. Pelliccia, F., et al., Pathophysiology of Takotsubo Syndrome. Circulation, 2017. 135(24): p. 2426-2441.


Autor:

Prof. Dr. med. Dr. disc. pol. Markus Ferrari

Innere Medizin I HELIOS Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken
65199 Wiesbaden

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (15) Seite 48-51