Rund 1,8 Millionen Menschen im Alter über 18 Jahren leben in Deutschland mit den Folgen eines Schlaganfalls. Ca. 25 % aller Schlaganfälle gehen auf Rezidivereignisse zurück und wären somit durch eine verbesserte Sekundärprophylaxe potenziell vermeidbar. Die Schlaganfallnachsorge stellt daher eine bedeutende gesundheitspolitische Herausforderung dar. Jedoch wurde dem dritten Standbein der Schlaganfallversorgung – der ambulanten Schlaganfallnachsorge – bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dies trägt zu hohen Rezidivraten in Deutschland bei.
Die aktuellen Versorgungsstrukturen werden der hohen Komplexität und den Anforderungen der Schlaganfallnachsorge nur bedingt gerecht. Es gilt daher, eine engere Zusammenarbeit zwischen Hausärzt:innen, Neurolog:innen und anderen Facharztgruppen im Rahmen der ambulanten Schlaganfallnachsorge zu etablieren.
Was läuft schief?
Versorgungsdefizite bestehen sowohl bei der Einstellung von Gefäßrisikofaktoren, der Diagnose und Behandlung von Komplikationen sowie im Rahmen der Heil- und Hilfsmittelversorgung bei der ambulanten Schlaganfallnachsorge. Viele dieser Komplikationen entstehen erst nach dem Krankenhaus- bzw. Reha-Aufenthalt. Gerade der Behandlung von Gefäßrisikofaktoren als auch der Sicherstellung der korrekten Medikamenteneinnahme kommt bei der Vorbeugung von Rezidivschlaganfällen eine besondere Bedeutung zu. Rund 80 % der ischämischen Schlaganfälle lassen sich durch Gefäßrisikofaktoren erklären wie z. B. die arterielle Hypertonie. Jedoch erreichen nach den Ergebnissen einer aktuellen randomisierten Studie zur Schlaganfallnachsorge in Deutschland (INSPiRE-TMS-Studie) nur 42 % der Teilnehmer:innen im Rahmen der allgemein üblichen Versorgung die empfohlenen Blutdruckzielwerte. Andere Daten zeigen, dass fast ein Drittel aller Patient:innen im ersten Jahr nach einem Schlaganfall unter einer Post-Stroke-Depression (PSD) leidet und häufig unzureichend therapiert wird. Zudem erhalten weniger als die Hälfte aller Schlaganfallpatient:innen eine Heilmittelversorgung innerhalb eines Jahres nach einem Schlaganfall. Was fehlt, sind flächendeckende Behandlungsnetzwerke.
Was muss sich ändern?
Um dahin zu gelangen, bedarf es einer engen sektorenübergreifenden Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, aber auch einer stärkeren Vernetzung der Akteur:innen der ambulanten Schlaganfallnachsorge untereinander. Konkret sollte die ambulante Schlaganfallnachsorge folgende Anforderungen erfüllen:- Strukturiertes und evidenzbasiertes Vorgehen mit regelmäßigen Nachuntersuchungsterminen und gezielter Erfassung möglicher Komplikationen (z. B. Screening auf Depressionen und Angstzustände, kognitiven Abbau oder Sturzneigung)
- Sektorenübergreifende und multidisziplinäre Vernetzung
- Leitliniengerechte Therapie kardiovaskulärer Risikofaktoren und Sicherstellung der Medikamentenadhärenz sowie eine ausreichende Bereitstellung von Heil- und Hilfsmitteln
- Festlegung von Behandlungszielen zusammen mit der Patient:in und seinen Angehörigen und Überprüfung des Erreichens der Ziele
- Hinreichende Prävention, zuverlässige und rechtzeitige Diagnose sowie angemessene Therapie von Sekundärkomplikationen
Gibt es vielversprechende Ansätze?
Zwar entstanden im letzten Jahrzehnt zahlreiche Schlaganfallnachsorge-Projekte im Rahmen der Integrierten Versorgung (IV) nach § 140 SGB V und einige neurologische Schwerpunktpraxen für Schlaganfallpatient:innen. Doch eine flächendeckende Versorgung wird weiter nicht gewährleistet. Der weitestgehende Ansatz sind bisher aktuelle Versorgungsforschungsstudien. Das STROKE-OWL-Projekt verfolgt unter Leitung der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe hier einen Case- und Caremanagement-zentrierten Ansatz zur Integrierung der Akteure der Schlaganfallnachsorge durch Schlaganfalllotsen. Ein weiteres Projekt des Innovationsfonds zur Strukturierten ambulanten Schlaganfallnachsorge (SANO) greift diesen sektoren- und berufsgruppenübergreifenden Netzwerkgedanken auf, stellt dabei jedoch die enge Zusammenarbeit zwischen Hausärzt:innen sowie einem geschulten Team aus der Schlaganfallklinik – bestehend aus ärztlichen Schlaganfallkoordinatoren und nichtärztlichen Stroke Nurses – in das Zentrum des Behandlungsnetzwerks. Damit wird die unverzichtbare Kompetenz von Hausärzt:innen mit der fachlichen Expertise der Schlaganfallklinik verbunden.
Wer ist in der Pflicht?
Die Politik: Effiziente Projekte zur Schlaganfallnachsorge müssen in die Regelversorgung überführt werden. Hierbei sind sowohl die Etablierung eines DMP für die Schlaganfallnachsorge als auch neue Konzepte zur integrierten sektorenübergreifenden Versorgung oder eine analoge Versorgung durch Schwerpunktpraxen denkbar. Neue Versorgungsformen müssen auf jeden Fall auf den etablierten Strukturen der ambulanten Versorgung aufbauen und dabei die Kompetenzen der jeweiligen Leistungsträger der ambulanten Versorgung einbeziehen und eng miteinander verzahnen. Das wäre dann im besten Sinne eine Nachsorge, die zugleich die Vorsorge vor Rückschlägen und erneuten Schlaganfällen mit einbezieht.
Interessenkonflikte: C. J. Schwarzbach und A. J. Grau sind Mitglieder der Kommission Nachsorge der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und berichten über eine projektgebundene Förderung durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Literatur bei den Verfassern.
Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (9) Seite 26-27