Beim 42. Deutschen Hausärztetag zeigten sich die Delegierten einerseits stolz darauf, was die Hausarztpraxen in der Pandemie geleistet hatten und noch leisten. Die große Bedeutung von Hausärzt:innen für eine funktionierende Gesundheitsversorgung sei hier noch einmal sehr deutlich geworden. Andererseits stand auch die Sorge im Raum, wie es nach der Bundestagswahl mit der Gesundheitspolitik weitergeht und ob hart erkämpfte Errungenschaften wie die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) womöglich wieder auf den Prüfstand gestellt werden könnten.

Unter 3G-Bedingungen tagten die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbands (DHÄV) nach langer Pause wieder in Präsenz in Berlin. Gleich zu Beginn betonte der DHÄV-Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt: "Ohne hausärztliche Versorgung gibt es kein stabiles Gesundheitssystem! Was unsere Patient:innen längst wissen, hat die Corona-Pandemie noch einmal drastisch hervorgehoben." Der Schutz vor einer Überforderung des Gesundheitswesens in der Pandemie sei nicht vornehmlich durch kluges politisches Handeln erreicht worden, sondern wesentlich durch effektives und rasches Handeln vor Ort, in den Praxen, durch die mobilen Impfteams und durch stetige Absprachen zwischen den ärztlichen Organisationen, zog Weigeldt ein vorläufiges Fazit. Ein großer Fehler sei es gewesen, die Hausärzt:innen nicht in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, das dürfe nicht wieder vorkommen, forderte Weigeldt.

Blockade beim Masterplan

Doch ob diese Erkenntnis vom Wert der hausärztlichen Versorgung auch bei der Politik angekommen ist, sei fraglich, so Weigeldt. In den Wahlprogrammen der Parteien erscheine die ambulante und speziell die hausärztliche Versorgung jedenfalls bestenfalls als Randnotiz.

Und dabei habe selbst die letzte Regierungskoalition noch einiges unerledigt liegen gelassen. Ein Beispiel sei die Novellierung der Approbationsordnung, mit der der Masterplan Medizinstudium 2020 hätte umgesetzt werden sollen. Darin war unter anderem eine Stärkung des Fachs Allgemeinmedizin an den Universitäten vorgesehen, damit junge Ärzt:innen frühzeitiger mit der Hausarztmedizin in Berührung kommen können und sich so hoffentlich mehr am Ende ihres Studiums für den Hausarztberuf entscheiden. Auch wenn das Jahr 2020 nun schon länger verstrichen ist, hänge dieser Masterplan noch immer in der Luft, weil der Medizinische Fakultätentag die Landeskultusministerien verunsichert und mit einer "irren Zahlenakrobatik den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen hat", so der DHÄV-Chef.

Man habe in den letzten 10 Jahren viel erreicht und gemeinsam mit der DEGAM an fast allen Universitäten Lehrstühle und Institute für Allgemeinmedizin einrichten können, Kompetenzzentren aufgebaut und damit viel für den hausärztlichen Nachwuchs getan. Da könne und werde man nicht akzeptieren, dass diese Fortschritte in der universitären Ausbildung einem nun einfach so "um die Ohren gehauen werden", zeigte sich Weigeldt kampfbereit.


HzV als Rettungsschirm in der Pandemie

Eine ähnlich große Kampfbereitschaft offenbart der Hausärzte-Chef auch bei der Hausarztzentrierten Versorgung im Rahmen des § 73b im Sozialgesetzbuch V. Offenbar haben einige Abgeordnete aus verschiedenen Parteien hier bereits Änderungsideen, berichtete Weigeldt. Diesen habe man allerdings deutlich signalisiert, dass man für Änderungen des § 73b keinen Anlass sehe. Die HzV sei der "beste Rettungsschirm" für die Hausarztpraxen in der Pandemie gewesen. Mittlerweile seien über 8 Millionen Versicherte in die HzV eingeschrieben, davon 6 Millionen in Vollversorgungsverträgen. Verbesserungsvorschläge bei Details gebe es allerdings schon, so Weigeldt: So müsste geklärt werden, dass sich eingeschriebene Patient:innen auch bei einem Praxisübergang auf eine Nachfolger:in nicht erneut einschreiben müssen. Denn dieses Aus- und Wiedereinschreiben sei ein völlig überflüssiger und sinnloser bürokratischer Akt.

In diesem Zusammenhang betonte Weigeldt auch, dass es ihm fernläge, die Internist:innen in der hausärztlichen Versorgung zu diskriminieren oder zu diskreditieren. Man organisiere die Versorgung sehr gut gemeinsam, und die HzV stehe den hausärztlich tätigen Internist:innen genauso offen wie den Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin. Eine Änderung der Mandatierungsvorgaben oder sonstiger Bestimmungen im § 73b, wie von verschiedener Seite gefordert, sei jedenfalls nicht nötig.

Praxen sind nicht die Betatester der gematik

Last but not least widmete sich der Hausärztetag auch dem leidigen Thema Digitalisierung. Viele der Gesetze dazu aus dem Bundesgesundheitsministerium hätten eigentlich nur einen Nutzen für die Krankenkassen, aber kaum für die hausärztliche Versorgung, monierte Weigeldt. Vieles sei zu bürokratieaufwendig und dazu noch unwürdig vergütet. Als Beispiel nannte er die elektronische Patientenakte (ePA). In ihrer aktuellen Form sei diese nur ein Angebot der Kassen für ihre Versicherten. Wenn dann noch Kassenvertreter:innen behaupten, "das Befüllen der ePA sei doch nur ein Klick und den müsse man ja nicht gesondert bezahlen", dann sei dies schlichtweg unverschämt und re-
spektlos gegenüber den Hausärzt:innen.

Tatsächlich seien die Hausärzt:innen keine Gegner der Digitalisierung. Allerdings müssten digitale Anwendungen einen Mehrwert für Patient:innen und Ärzt:innen erbringen, forderte Weigeldt. Bis dato sei es aber eher so, dass vieles ungeprüft und kaum getestet in die Praxen gespült werde – und dann auch noch strafbewehrt sei. "Die Praxen sind aber nicht die Betatester der gematik", stellte der Hausärzte-Chef unter dem Beifall der Delegierten klar.

Digitalisierung muss Mehrwert bieten

Wenig begeistert zeigen sich die Hausärzt:innen aus diesen Gründen auch von der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), die zum 1. Oktober eingeführt wurde. Bei einer Presseveranstaltung im Rahmen des Hausärztetags kritisierte Dr. Barbara Römer, die Vorsitzende des Hausärzteverbands Rheinland-Pfalz, dass manches an der eAU oft nicht funktioniere. Wenn sie eine eAU abschicke, dann sollte man eigentlich erwarten, dass diese auch ankommt. Tatsächlich sei aber bekannt, so Römer, dass bis Anfang Oktober nur 7 von mehr als 100 Krankenkassen überhaupt in der Lage sind, eine eAU bereits entgegenzunehmen. Römer appellierte daher an die Politik und die gematik, dafür zu sorgen, dass es funktioniert. Dann würden die Hausärzt:innen es auch machen. Römer selbst sieht in der ePA durchaus einen großen Mehrwert – aber nicht in der gegenwärtigen Form. So sei es nicht die Aufgabe einer Hausärzt:in, den Patient:innen zu erklären, wie sie ihre ePA bedienen sollen. "Wir werden nicht die IT-Beratung für die Patient:innen übernehmen, machte Römer deutlich. Hausärzte-Chef Weigeldt verwies auf die HzV in Baden-Württemberg, wo es bereits seit einem Jahr eine gut funktionierende eAU gebe sowie elektronische Lösungen für Arzneimittelverordnungen, innerärztliche Kommunikation oder Terminvergabe. All dies könne hilfreich sein und auf mittlere Sicht die Arbeit in der Hausarztpraxis erleichtern. Den Hausärzt:innen Digitalisierungs- und Fortschrittsfeindlichkeit vorzuwerfen sei also nur ein untauglicher Versuch der gematik, vom eigenen Versagen abzulenken. Besser sei es für die Hausärzt:innen, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 34-35